Mein Fontane der Woche

Ich hatte Harry Nutt, Ressortleiter des Feuilletons der Berliner Zeitung eine E-Mail geschrieben mit der Frage, ob einer der Redakteure, die unter der Rubrik Unterm Strich und dem Titel Fontane der Woche Beiträge veröffentlicht haben, auch etwas zu Fontane für unseren Blog schreiben könnte. Mit Freude las ich die Antwort des Kulturredakteurs Ulrich Seidler, der „in aller Kühle“ die Möglichkeit einer Kooperation unseres Fontane-Blogs mit der Rubrik Unterm Strich zu prüfen in Aussicht stellt. Man darf gespannt sein, wie sich die Sache entwickelt.

Nach unserer Überlegung Interviews mit Menschen zu führen, die in einer nach Fontane benannten Straße wohnen, was wir in Kürze realisieren wollen, hatte ich die Idee, Menschen die ich zufällig treffe zu fragen, was ihnen zu Fontane spontan einfällt. Ich werde die Personen willkürlich auswählen, ihre Identität nicht preisgeben, keine Fragen als Systematik oder Raster haben, sondern möchte erkunden, wie weit es her ist mit dem Erinnern an den großen märkisch-preußischen Dichter des 19. Jahrhunderts.

TAG 1

Die erste Gelegenheit ergab sich gleich am Dienstagabend nach unserer Sitzung am 15. Januar im Sportstudio und beide Antworten waren erstaunlich: Pensionierter Akademiker, 65, Kenner und Liebhaber klassischer Musik: „Stechlin, Rheinsberg mit dem Liebespaar, Gripsholm.“ Ich schob ein, dass Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte und Schloss Gripsholm von Kurt Tucholsky sind. Personaltrainer und Hobbyfotograf, 59: „Fontane hat Texte von Ovid übersetzt und in seine Werke eingearbeitet, hat tolle Liebesgedichte geschrieben und war Kenner von Brandenburg, immer wieder Brandenburg.“ Die Sache mit Ovid ist mir völlig unbekannt, dazu werde ich recherchieren müssen, halte es aber für sehr unwahrscheinlich. Meine Frage nach Romanen, Balladen oder Gedichten, die früher in der Schule gelesen wurden, wurde bejaht, „aber das sei schon so lange her.“ Ich wurde konkreter und fragte nach Effi Briest. „Nein, da erinnere er nichts mehr“, sagte der zuerst Befragte.

Das erste Ergebnis meiner Idee zu den Spontaninterviews hat mich nicht entmutigt, sondern erst recht neugierig gemacht. WER weiß also WAS über Theodor Fontane.

TAG 2

Wieder war ein Mann, Akademiker und Fußballfan, 39, am nächsten Morgen die erste Person, die ich traf und fragte. Dieses Mal wollte ich drei Dinge wissen, die ihm spontan einfallen. Antwort: „Fontane Therme, Brandenburg natürlich und Ribbeck, stimmt doch oder?“ Ja, Ribbeck stimmt. In der Mittagspause auf dem Weg in die Kantine traf ich eine Angestellte, 56, früher Reiseleiterin: „Brandenburg, Wandern in Brandenburg, Ribbeck im Havelland und Effi Briest. Da gab es doch einen Film im Fernsehen der DDR auch über Jenny Treibel  glaube ich, mit Gisela May und dem coolen Henry Hübchen.“ Nun wollte ich doch mehr erfahren, weshalb erinnert sich eine zur Zeit als der Film im Fernsehen lief 14jährige Schülerin heute noch an den Treibel-Film mit May und Hübchen und warum ist Henry Hübchen cool? Die Antwort ist einfach: die Klasse hat den Film im Rahmen des Deutschunterrichts gesehen und die von mir Interviewte saß das erste Mal im abgedunkelten Unterrichtskabinett neben dem Jungen aus ihrer Klasse für den sie damals schwärmte. Und Henry Hübchen fand sie schon immer cool. Fertig.

Vielleicht sollten Schulklassen wieder die Fontaneverfilmungen ansehen? Ein Versuch wäre es wert. Und wenn nicht 42 Jahre zwischen Film und der Frage nach dem Inhalt gelegen hätten, wäre die Erinnerung an die Handlung auch noch da.

TAG 3

Heute kam ich aus dem Büro nicht heraus, so dass ich mich entschloss, Umfragen per SMS mit dem Hinweis Googlen verboten! zu starten. Gedacht, getan.

Pensionierte Studienrätin, 69, schrieb Sekunden nachdem die SMS verschickt war: „Neuruppin; Ribbeck/Birnbaum (liegt auf dem Weg nach Jerichow) Wanderungen durch die Mark … einfach die große Liebe (und Kenntnisse) zu einer Landschaft, die wir auch sehr mögen! Das wird Dir vielleicht nicht viel nützen, aber Fontane ist ein Heimatgefühl! “

Ich zitiere weiter in der Reihenfolge des SMS-Feuerwerks. Rentnerin, 65: „Fontane; Schriftsteller, Rheinsberg, Irrungen und Wirrungen oder so ähnlich“; Dozent an einer Wirtschaftshochschule, 71:“meine Spontan-Assoziationen zu Fontane: Neuruppin, Apotheker, Wanderungen durch die Mark Brandenburg“; Student, 27: „Jenny Treibel, Neuruppin und der Herr Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“; Beamtin in Pension, 65: „Mark Brandenburg, Wanderung, Journalist“; Assistentin eines CEO, 54: „Ganz spontan: Birnbaum, Mark Brandenburg und Effie“; Studentin, 25: „Da fällt mir ein Gerhard Westphal, Brandenburg & Herr von Ribbeck“.

Fazit nach 3 Tagen: Elf Personen habe ich befragt, davon haben fünf ihre Schulausbildung in der DDR, vier in der Bunderepublik absolviert und zwei sind Abiturienten aus der ersten Dekade der 2000er Jahre.  Es gab keine einzige Person, der zu Fontane nichts einfiel!

Den Rest der Woche las ich mit zunehmender Freude und Begeisterung in der außergewöhnlichen Fontane-Biografie von Iwan-Michelangelo D’Aprile. Und siehe da: da war sie, die von mir vermutete Verbindung zwischen den Zeitgenossen Theodor Fontane und Karl Marx. Es ist eine Verbindung zweier Journalisten die 1857 zum Thema Der Große Indische Aufstand schreiben. Fontane für die Kreuzzeitung und Marx als London-Korrespondent der New York Daily Tribune. Dieses Buch ist mein Fontane der Woche.

One comment

  1. Adi Henke says:

    Na dann kommen Sie doch mal nach Berlin-Buch. An drei Positionen im Ort
    gibt es Erinnerungsorte an Th. F. . Auch ein Birnbaum zeigt erste Blueten.
    Weitere Infos auch im Fontane Blog. Frohsinnige Gruesse von den Henke’s.

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