Eine merkwürdige Gesellschaft versammelt der Erzähler da am Ufer des geheimnisvollen weltverbundenen märkischen Orakel-Sees – um eine alte, heilige Ruhmes-Eiche (Dubslav): ein hoffnungsgrünes Waldmärchen (Woldemar), ein eigenwilliges Klein-Raubtier (Katzler), einen martialischen Blechhelm (Czako), einen Imperator (Rex) in spe, eine geheimnisvolle schöne Melusine (was tief blicken lässt), einen Getreuen aus Laurentum (Lorenzen), einen imkernden Pädagogen namens Krippenstapel, als wenn das Weihnachtswunder lehr- und reproduzierbar wäre, eine Amphibie (Uncke), ein Lamm (Agnes), unschuldig, beladen mit der Erbsünde, sogar der Diener noch ein Angelus minor (Engelke). Die Aufzählung der Preziosen in diesem Kuriositätenkabinett ließe sich fortsetzen. Herr und Frau von Gundermann passen gut in diese Runde. Am Abend nach dem Souper befragt Rex den Freund Czako nach seinem Eindruck: »Sonderbare Leute – haben Sie schon mal den Namen Gundermann gehört?« Czako repliziert schlagfertig: »Ja. Aber das war in ›Waldmeisters Brautfahrt‹.« Rex bestätigt: »Richtig, so wirkt er auch.« Tatsächlich gibt es in Otto Roquettes Rhein-, Wein- und Wandermärchen eine Figur, die diesen Namen trägt. Im Rahmen einer von Maibowle beschwingten allegorischen Traumgeschichte erzählt Roquette von der romantischen Brautfahrt des Prinzen Waldmeister nach Rüdesheim, um die Prinzessin Rebenblüte zu freien, die Tochter des Königs Feuerwein.
Gundermann, Kanzler am Hofe und Gegenspieler von Haushofmeister Wachholder, wird hier als »pedantisch alter Tropf«1 [Stuttgart u. Tübingen: Cotta 1851, S. 17] dargestellt. Und daran erinnern sich die beiden Freunde nach jenem denkwürdigen Souper an ihrem ersten Abend auf dem Gut ihres Freundes Woldemar. Der Mühlenbesitzer Gundermann und seine Frau haben sich in der Tafel-Runde nach Kräften als lächerliche Gestalten präsentiert, er mit seiner stets disponiblen Redensart, sie mit ihrer naiven Geltungssucht. Der Hinweis auf Roquettes romantisches Rhein-, Wein- und Wandermärchen beweist, dass der Autor beabsichtigte, dieses Paar bereits durch die Namensgebung zu charakterisieren. Was über sie gesagt wird, ist wenig schmeichelhaft. Er sei ein ›Klutentreter‹, dumm, Intrigant, ein Esel und ein Jämmerling; – Bourgeois und Parvenu, kurz »so ziemlich das Schlechteste, was einer sein kann«. Dabei ist Gundermann eine durchaus bemerkenswerte Pflanze, als Heilkraut wie als Küchenkraut vielfältig verwendbar. Die zahlreichen Namen, die die Pflanze erhalten hat, zeugen noch davon, dass sie ganz erstaunliche Eigenschaften besitzt. Unscheinbar in der Natur, in der Literatur ein großer Held: Gundermann, Glechoma hederacea, Hederich, Gundelrebe, Erdhopfen oder Soldatenpetersilie genannt, Lippenblütengewächs, aromatisch, bitter schmeckend, überall verbreitet, eine Randerscheinung, oft mit Füßen getreten, in Sage und Geschichte mit großer Tradition. Hoppenmarieken hat ein Büschel davon in ihrer Hexenküche. Melanie findet Sprößlinge dieser Art unter dem alten Laub und nimmt dies als Zeichen für einen neuen Anfang. Horst Pulkowski hat zusammengetragen, was aus germanistischer Sicht über Gundermann zu sagen ist. Sein Buch sei jeder Fontane-Bibliothek für die botanische Ecke empfohlen.
Horst Pulkowski: Mein Name ist Gundermann. Eine (außer)gewöhnliche Pflanze im Spiegel der deutschsprachigen Literatur. Bielefeld: Aisthesis Verlag 2015, 158 S.