Auf den Spuren Fontanes zu Weihnachten in London

Richmond Hill. Foto: Rob Packer

Da es seit 2012 mein erstes Weihnachten bei meinen Eltern im Südwesten Londons war, wollte ich eigentlich alle Weihnachtsgeschenke schon in Deutschland kaufen und in Ruhe die letzten Adventstage mit der Familie verbringen. Das klappt ja nie und auch letztes Jahr wieder nicht, weil Bücher schöne Geschenke sind und es eine größere Auswahl an Büchern auf Englisch in London gibt. Obwohl die Engländer erst am 25. Dezember die Geschenke austauschen, bedeutet das nicht, dass man mehr Zeit hat, um alles einzuplanen. Ausgerechnet soll man damit rechnen, dass nicht jede Buchhandlung genau das passendste Geschenk für meine Eltern, ein schönes deutsches Kochbuch von Alfons Schuhbeck, haben wird. Man bereitet sich auf das vorweihnachtliche Gedränge in Kingston (etwa ein Londoner Steglitz) vor, aber sieht schnell ein, dass eine Reise nach Richmond (ein viel volleres Zehlendorf) auch nötig wird. Da wartet man an der Haltestelle auf den 65er Bus und ist im Handumdrehen auf dem Oberdeck, um von einem Bezirkszentrum zum anderen zu fahren.

Wie alle europäischen Großstädte hat auch London seine ländliche Umgebung aufgezehrt, aber zwischen Kingston und Richmond dürfen die Dörfer Ham und Petersham etwas gemeinsam mit den Orten haben, die Fontane vor mehr als 160 Jahren kennenlernte. Der Bus fährt an Äckern und an dem größten Park Londons, Richmond Park, vorbei und nach 20 Minuten sieht man schon die Themse im abnehmenden Tageslicht. Es ist gar nicht weit von den Stadtvierteln entfernt, in denen ich aufgewachsen bin, aber es fühlt sich sehr anders an.

Fontane war dreimal in Großbritannien und hat insgesamt fast vier Jahre dort verbracht. Es waren zwei kürzere Reisen im Frühling 1844 und im Sommer 1852 und ein Aufenthalt von mehr als drei Jahren ab September 1855. Er soll auch an das Auswandern gedacht haben. Tatsächlich ist im Juli 1857 sogar seine Frau, Emilie, mit den Kindern nach London gezogen. Sie wohnten in der 52 St. Augustine’s Road im nördlichen Camden Town – damals noch Vorstadt, heutzutage innerstädtisches alternatives Viertel. Im Januar 1859 war der Auslandsaufenthalt zu Ende: Fontanes sind zurück nach Deutschland gezogen und haben sich in Berlin eingerichtet.

Zu dieser Zeit war Richmond ein beliebtes Ausflugsziel für alle, die wie Fontane die Langeweile eines Londoner Sonntags nicht aushielten. In seinen Wanderungen durch England und Schottland beschreibt er einen Ausflug am Pfingstsonntag nach Richmond und einen weiteren, der als Ziel ein Picknick im Park vor Hampton Court Palace hatte. Ich kenne diesen Abschnitt der Themse sehr gut, weil ich in der Schule gerudert habe. Es ist seltsam, so viele vertraute Namen zu lesen und zu denken, dass Fontane auf dieser Strecke auch flussaufwärts gerudert wurde. Vieles hat sich geändert, aber die Aussichten bleiben dieselben:

So reich die Nähe, aber reicher noch die Ferne. Am Fuß des Abhangs dehnt sich ein weites Tal, drin Rasen und Ginster sich um den Vorrang streiten; Laubwald, hoch und dicht, umschreibt einen grünen Kreis um so viel Lieblichkeit, und das blaue Band der Themse, bedeckt mit Inseln und Böten, gleitet mitten hindurch wie ein Streif herabgefallenen Himmels.

Auch vor Weihnachten hatten wir noch Zeit auszusteigen, den Aussichtspunkt am Richmond Hill zu erreichen und Luft zu holen. Danach …

… kehrst du zurück an das große Schwungrad der Welt, das sich London nennt, und gibst dich aufs neue ihm hin, mutig, aber dir selber unbewußt, ob es dich fördern oder zermalmen werde.

 

Quelle: Theodor Fontane: Wanderungen durch England und Schottland. Berlin: Verlag der Nation 1979, S. 117-118.

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