Weiblichkeit und Krankheit in Fontanes ‚Cécile‘ – ein Einblick

Wie feministisch war eigentlich Fontane? War er es überhaupt? Denkt man an seine Texte, so fallen sicherlich vielen zunächst die weiblichen Protagonistinnen seiner Romane ein. Fast jedem/-r Schüler*In ist der Name Effi Briest ein Begriff, für manche noch Jenny Treibel, Stine Rehbein oder Melanie van der Straaten. Ihre Gemeinsamkeit ist, dass sie zu den ersten weiblichen Hauptfiguren zählen und nahezu in ihrer Gesamtheit an psychischen Erkrankungen leiden. Es sind Überschneidungen, die Lilo Weber „Weiblichkeitsmuster“ (S. 94) bei Fontane nennt. Doch worin genau bestehen diese Muster? Für die Antwort auf diese Frage soll ein Blick in den Roman Cécile geworfen werden, in der eine der komplexesten Frauenfiguren Fontanes entworfen wird:

Das Beispiel Cécile:

In dem 1887 erschienenen Roman Cécile von Theodor Fontane wird die Herkunftsgeschichte der jungen Cécile enthüllt, die, gemeinsam mit ihrem Ehemann Pierre St. Arnaud auf Reisen einen Mann namens Robert von Gordon-Leslie kennenlernt. Durch gemeinsame Ausflüge und Mutmaßungen sowie unter stetiger Umwerbung durch Gordon entfaltet sich die Geschichte Céciles. Diese Brautwerbung endet in einem Duell zwischen St. Arnaud und Gordon, bei dem letzterer im Kampf verstirbt. Cécile nimmt sich schließlich selbst das Leben.

Der Begriff der Weiblichkeit wird oft mit der Hauptfigur Cécile in Verbindung gebracht: „Sie erscheint als die personifizierte imaginierte Weiblichkeit des Jahrhunderts.“ (S. 58). Das Bild der kränkelnden Cécile scheint folglich eine Abbildung realer Verhältnisse gewesen zu sein. Sie ist gefangen zwischen einerseits männlicher Fremdbestimmung und andererseits mangelnder Möglichkeiten zur eigenen Interessens- und Persönlichkeitsbildung. Durch das Wechselspiel wird das psychosomatische Leiden Céciles verstärkt, das allerdings vorrangig von männlichen Protagonisten diagnostiziert wird. Die Ursachen ihres Leidens, also eine konkrete Krankheitsgeschichte, muss ebenfalls ungeklärt bleiben:

„Nein, nein“, fuhr Gordon in immer wärmer und leidenschaftlicher werdendem Tone fort. „Nein, nein; nicht krank. Sie dürfen nicht krank sein. Und diese dummen Tropfen; weg damit samt der ganzen Doktorensippe. Das brüstet sich mit Ergründung von Leib und Seele, schafft immer neue Wissenschaften, in denen man sich vor ‚Psyche‘ nicht retten kann, und kennt nich ´mal das Abc der Seele. Verkennung und Irrtum, wohin ich sehe. […]“ Sie sog jedes Wort begierig ein, aber in ihrem Auge, darin es von Glück und Freude leuchtete, lag doch zugleich auch ein Ausdruck ängstlicher Sorge. Denn ihr Herz und ihr Wille befehdeten einander, und je gewissenhafter und ehrlicher das war, was sie wollte, desto mehr erschrak sie vor allem, was diesen ihren Willen ins Schwanken bringen konnte. (Theodor Fontane: Cécile. Frankfurt am Main/Hamburg 1961, S. 146 f. )

Cécile ist keine starke Frauenfigur, denn, obgleich sie zwar namensgebend für den Roman fungiert, spielen ihre Aktionen sowie Redeanteile für den Handlungsverlauf eine verschwindend geringe Rolle. Passivität und Hysterie stellen für ihre Figur keinen Widerspruch dar. Weber stellt in diesem Zusammenhang die These auf, dass ihr Schweigen sowie Handlungslosigkeit unabdinglich mit der „Beredsamkeit der Männerfiguren“ (S.49) verknüpft sind. Männer- und Frauenwelten scheinen undurchdringbar voneinander getrennt und in binärer Monotonie verwurzelt. Innerhalb dieser Muster werden außerdem Widersprüche deutlich, die Cécile in sich vereinen muss: Zum einen muss sie erotisch anziehend und verführerisch sein, zum anderen keusch und ihrem Ehemann St. Arnaud treu ergeben (vgl. S. 59).

Fluch oder Segen?

Arme Cécile! Sie hat sich dies Leben nicht ausgesucht, sie war darin geboren, und als der Langerwartete kam, nach dem man vielleicht schon bei Lebzeiten des Vaters ausgeschaut hatte, da hat sie nicht nein gesagt. Woher sollte sie dies ‚Nein‘ auch nehmen? Ich wette, sie hat nicht einmal an die Möglichkeit gedacht, daß man auch <nein> sagen könne; die Mutter hätte sie für närrisch gehalten und sie sich selbst auch. (Fontane, S. 141)

In dem Diskurs um die Darstellung Céciles bilden die Begriffe von Weiblichkeit, Krankheit und Schwäche eine Einheit (vgl. S. 59). Den Darstellungen zufolge läge es also in der Natur Céciles, dass sie leidet und auf diese Weise ihre Weiblichkeit herausstellt (vgl. S. 79). Dabei wird in der Forschung auch die Frage aufgeworfen, ob es sich bei der Krankheitsdarstellung um ein „Verteidigungsinstrument“ (S. 61) handeln könnte, das der jeweiligen Frauenfigur eine Kritik seiner Weiblichkeitsstereotype ermöglicht.


Für Cécile scheint dies nicht möglich gewesen zu sein und es ließen sich sicherlich weiterführende Vor- und Nachteile einer solchen Darstellung in ergänzenden Beiträgen ausführen. Es kann jedoch festgestellt werden, dass die Darstellung der Frau bei Fontane, am Beispiel Céciles, gekennzeichnet ist durch die vermeintlichen Verzweigungen von Krankheit und Weiblichkeit, die, in den meisten Fällen, die Protagonistinnen gänzlich charakterisieren. So werden die festgetretenen Pfade der Weiblichkeitsbilder des 19. Jahrhunderts repräsentiert und lassen bis hierhin noch keine Grundzüge einer feministischen Position Fontanes erkennen. Es bleibt trotzdem einer der lesenswertesten Romane Fontanes, gerade hinsichtlich seines revolutionären Diskurses und kann in eine Reihe mit Effi Briest oder Jenny Treibel gestellt werden.

 

Literaturnachweise

Lilo Weber: Fliegen und Zittern. Hysterie in Texten von Theodor Fontane, Hedwig Dohm, Gabriele Reuter und Minna Kautsky. Bielefeld 1996.
Theodor Fontane: Cécile. Frankfurt am Main/Hamburg 1961.

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