Beginnen möchte ich die Reihe der literarischen Fürsprecher Theodor Fontanes mit Thomas Mann (1875-1955). Zumindest seine Begeisterung für Effi Briest dürfte den meisten durch folgendes Zitat bekannt sein: „Eine Romanbibliothek der rigorosesten Auswahl, und beschränkt man sie auf ein Dutzend Bände, auf zehn, auf sechs, – sie dürfte ,Effi Briest‘ nicht vermissen lassen.“ (Thomas Mann zum 100. Geburtstag Theodor Fontanes im Berliner Tagblatt vom 25. Dezember 1919).
Auch dass Thomas Manns Interesse besonders dem alten Fontane galt, hat man zumindest irgendwann schon mal gehört. Aber worin bestand denn nun eigentlich die Faszination der Briefe, Romane aber auch der Gedichte des „alten Fontane“ für Thomas Mann? Erstmals öffentlich zu Fontane geäußert hat sich Thomas Mann 1910 in seinem Essay Der alte Fontane, den er anlässlich der Herausgabe eines Briefbändchens für die Zeitschrift Zukunft verfasste. Private Äußerungen in Briefen und Tagebüchern belegen, dass er schon seit den 1890er Jahren ein begeisterter Fontane-Leser war. Die folgenden Zitate sollen einen ersten Eindruck von Thomas Manns einflussreichem Fontane-Bild vermitteln und die Literaturhinweise zu weiterer Recherche anregen.
Thomas Mann und der alte Fontane
Thomas Manns essayistische Auseinandersetzung mit Theodor Fontane beeinflusste und formte das Bild Fontanes über Jahrzehnte. Mithilfe vieler Briefzitate vermittelt Thomas Mann in seinem Essay Der alte Fontane von 1910, wie er Fontane sieht und versteht. Dabei entsteht das Bild eines Autors, dessen Fähigkeiten sich erst im Alter voll entfalten konnten. Zu Beginn des Essays vergleicht Thomas Mann zwei Bilder Fontanes, die beide im Briefband abgedruckt wurden. Leider stand mir dieser Briefband nicht zur Verfügung und es war mir nicht möglich nachzuprüfen, ob es sich tatsächlich um diese Bilder handelt.
„Man betrachte seine Bildnisse: das jugendliche im ersten Bande der Briefe an seine Freunde etwa neben der späteren Profilaufnahme, die den Nachlassband schmückt. Man vergleiche das blasse, kränklich schwärmerische und ein Bischen fade Antlitz von dazumal mit dem prachvollen, fest und gütig und fröhlich dreischauenden Greisenhaupt, um dessen zahnlosen, weiß überbuschten Mund ein Lächeln rationalistischer Heiterkeit liegt, wie man es auf gewissen Altherren-Porträts des achtzehnten Jahrhunderts findet, – und man wird nicht zweifeln, wann dieser Mann und Geist auf seiner Höhe war, wann er in seiner persönlichen Vollkommenheit stand.“
„Scheint es nicht, daß er alt, sehr alt werden mußte, um ganz er selbst zu werden?“ (Der alte Fontane)
„[…] so gibt es offenbar Naturen, denen das Greisenalter das einzig gemäße ist, klassische Greise sozusagen, berufen, die idealen Vorzüge dieser Lebensstufe, als Milde, Güte, Gerechtigkeit, Humor und verschlagener Weisheit, kurz, jene höhere Wiederkehr kindlicher Ungebundenheit und Unschuld, der Menschheit auf vollkommenste vor Augen führen.“ (Der alte Fontane)
„Das Bild zeigt den Fontane der Werke und Briefe, den alten Briest, den alten Stechlin, es zeigt den unsterblichen Fontane.“ (Der alte Fontane)
„[…] ich lese den Alten jetzt wieder, mit unglaublichem Genuß.“ (Brief an Paul Amann, 2.3.1918)
„Die Fontane-Briefe haben mich, wie alles, was von dem Alten kommt, sehr erwärmt und erheitert.“ (Brief an Friedrich Michael, Reaktion auf zwei bis dahin ungedruckte Briefe Fontanes, 17.4.1920)
Stilistisches Vorbild
Thomas Mann und Theodor Fontane sind sich nie begegnet. Manns Novellenband Der kleine Herr Friedemann (1896) erschien im selben Jahr wie Fontanes vorletzter Roman Die Poggenpuhls. Fontane scheint den jungen Thomas Mann nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Thomas Mann war aber überzeugt, dass sein Roman Buddenbrooks (1901) Fontane gefallen hätte. In vielerlei Hinsicht fühlte er sich Fontane verwandt, schätzte ihn als einen der größten Novellisten der deutschen Sprache und sah in ihm ein stilistisches Vorbild.
„Es ist etwas unbedingt Zauberhaftes um seinen Stil und namentlich um den seiner alten Tage, wie er uns in den Briefen der achziger und neuziger Jahre wieder entgegentritt. Mir persönlich wenigstens sei das Bekenntniß erlaubt, daß kein Schriftsteller der Vergangenheit oder der Gegenwart mir die Sympathie und Dankbarkeit, dies unmittelbare und instinktmäßige Entzücken, diese unmittelbare Erheiterung, Erwärmung, Befriedigung erweckt, die ich bei jedem Vers, jeder Briefzeile, jedem Dialogfetzchen von ihm empfinde. Diese bei aller behaglichen Breite so leichte, so lichte Prosa hat mit ihrer heimlichen Neigung zum Balladesken, ihren zugleich mundgerechten und versmäßigen Abbreviaturen etwas bequem Gehobenes, sie besitzt, bei scheinbarer Lässigkeit, eine Haltung und Behältlichkeit, eine innere Form, wie sie wohl nur nach langer poetischer Übung denkbar ist, sie steht in der That der Poesie viel näher, als ihre unfeierliche Anspruchslosigkeit wahrhaben möchte, […] so ist es das Merkwürdige, daß seine Prosa sich in demselben Maße sublimiert, in welchem sie (Erlaubniß für das Wort!) verbummelt. […] sein Causeurthum […] besteht in einer Verflüchtigung des Stofflichen, die bis zu dem Grade geht, daß schließlich fast nichts als ein artistisches Spiel von Ton und Geist übrigbleibt.“ (Der alte Fontane)
„Wenn ‚Effi Briest‘ in sozialethischer Hinsicht am weitesten über Fontanes Epoche hinausreicht, so ist es der ‚Stechlin‘, der dies in artistischer Beziehung tut, der Wirkungen kennt, Kunstreize spielen läßt, die weit über allen Bürgerlichen Realismus hinaus liegen.“ (Thomas Mann zum 100. Geburtstag Theodor Fontanes im Berliner Tagblatt vom 25. Dezember 1919)
Thomas Mann war sein Leben lang ein begeisterter Fontane-Leser. Fontane war einer der Autoren, die auf Thomas Manns literarische Entwicklung und sein Selbstverständnis als Schriftsteller prägend wirkten. So war seine Beschäftigung mit Fontane und dessen Werk stets auch Auseinandersetzung mit seinem eigenen Schreiben. Noch 1954 schrieb er den Essay Noch einmal der alte Fontane.
Zahlreiche Literaturwissenschaftler haben sich mit dem Einfluss von Fontanes Werk auf Thomas Manns Schreiben beschäftigt. Interessant ist beispielsweise die These, die Figur des kleinen Herrn Friedemann sei durch den Apotheker Gieselhübler aus Effi Briest angeregt worden. Überhaupt scheint besonders Effi Briest wichtig für Thomas Mann gewesen zu sein. So wird die Figur der Tony Buddenbrook häufig mit Effi in Verbindung gebracht und auch der Titel des Romans könnte ein Verweis auf den Sekundanten Crampas‘ sein, der Buddenbrook heißt.
Effi Briest
„Neulich las ich auch Fontanes neuen Roman Effi Briest, der ganz vortrefflich ist.“ (Brief an Otto Grautoff, 17.2.1896)
„Effi Briest“ ist für mich noch immer der beste deutsche Roman seit den „Wahlverwandtschaften.“ (Brief an Hadern (Fontane-Verleger), 30.8.1910)
„Meisterwerk[…]“ (Brief an Conrad Wandrey, 19.11.1918)
Immer wieder zitiert Thomas Mann den Ausspruch des alten Briest „das ist ein zu weites Feld“ in seinen Briefen.
„Verantwortungsvolle Ungebundenheit“
Auch Fontanes politische Haltung beschäftigte Thomas Mann. Insbesondere in seinem Essay von 1910 scheint dabei auch immer wieder die Frage durch, welche Haltung Schriftstellern in Bezug zur aktuellen politischen Lage angemessen ist.
„In seinem Gemüt wußte er sich nicht nur unabhängig von den „etabblierten Mächten“, sondern hielt es für thöricht, mit der Menschheit überhaupt, mit Beifall, Zustimmung, Ehren zu rechnen, als ob damit Etwas getan wäre.“ (Der alte Fontane)
„Verantwortungsvolle Ungebundenheit: vielleicht hätte er sich das Wort zur Bezeichnung seines politischen Verhältnisses gefallen lassen.“ (Der alte Fontane)
„Ein unsicherer Kantonist. Hat er nicht als Theaterkritiker einmal gestanden, eigentlich könne er immer geradeso gut das Gegenteil sagen?“ (Der alte Fontane)
„Wußten doch vorher schon, daß er plauderhaft, gesinnungsschwach und skeptisch bis zur vollkommenen Unzuverlässigkeit war. […] ‚Falschheit‘ ist ein hartes Wort für Eigenschaften, die am Ende der Nährboden seines milden, stillen und weisen Dichtertums waren[…].“ (30.8.1910 an Maximilian Harden, Herausgeber der Zeitschrift Zukunft, dem er den Essay Der alte Fontane zugeschickt hatte)
Literaturverzeichnis:
Thomas Mann: Essays I. 1893-1914. Hrsg. von Heinrich Detering unter Mitarbeit von Stephan Stachorski. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002.
Thomas Mann: Briefe I. 1889 -1913. Hrsg. von Thomas Sprecher, Hans R. Vaget und Cornelia Bernini. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002.
Ich meine gelesen zu haben, dass T.M. über Fontanes Gedichte sinngemäß gesagt hat, sie seien vorher nie so intensiv gewesen wie nach der Trennung (?) von seiner Frau.
Ich kann diese Stelle nicht mehr finden.
Kann mir geholfen werden?