Effi geht – Premiere am Potsdamer Hans-Otto-Theater

Warum Fontanes Effi Briest so beliebt ist und welche Wandlungen dieser Roman in seiner nun bereits 1¼  Jahrhundert währenden Rezeptionsgeschichte durchlaufen hat, darüber ließe sich ein ganzes Buch schreiben. Darüber, was für Tode Effi stirbt oder auch wieder nicht stirbt, wieso Marianne Hoppe den Regisseur Gustav Gründgens heiratet und von diesem das Drehbuch einer Ehebruchsgeschichte geschenkt bekommt, in der sie als Diva brillieren und die herrlich­sten Kleider vorführen darf, die je in einer Kostüm­schneiderei genäht wurden, über die Manns­bilder, die Effi umkuren, schwächliches Material bis auf Sebastian Koch, den besten Innstetten aller Zeiten, was dieser vielleicht gar nicht als Kompliment gelten lassen wird, über einen Salto rückwärts aus dem Pferdesattel in den Dünensand von Leba, über Nacktheit und Orgasmen, darüber weshalb Hermine Huntgeburth Julia Jentsch eine Zigarette rauchen und einen der historischen Bücherkarren der alten Königlichen Bibliothek schieben lässt, was bibliophile Insider mit Wehmut gesehen haben, über Wedekinds Parodie vom Beginn des 20. Jahrhunderts, über die kleine böse Effie, die Botho Strauß in Angelas Kleiderschrank entdeckt, über Ibsens Meerfrauen und den Lesben-Club, in dem Annie ihre Mutter endlich wieder­findet, die gar nicht wirklich tot war, sondern nur von der Familie für tot erklärt wurde, ihrer unmoralischen (unangepassten) Existenz wegen, was Dorothea Keuler, alle Rätsel des Romans lösend, mit femininem Spürsinn richtigstellte, über Böhmermanns Deutschstunde, Hochhuths Mono­log, der eigentlich Elisabeths Nacht heißen müsste, Rollos Rolle, Vexierspiele mit Figuren-Namen, heimliche Kaiserkinder und verborgene Facetten, darüber, wie die wahre Geschichte war, hätte sein können, sollen, müssen. Denn der Roman ist ein offenes Werk, das erst durch die Lektüre seine Abrundung erfährt. Es wird einmal.

Am 8. Juni 2018 feierte Effi Briest Premiere als Sommer-Open Air des Potsdamer Hans-Otto-Theaters. Auch dieser Premieren-Abend, von dem hier berichtet werden soll, und die geplanten 10 Vorstellungen bilden ein eigenes kleines Kapitel in der Rezeptions­geschichte von Fontanes Meisterwerk. Etwa 100 Mal wurde Effi Briest seit 1998 deutschland­weit insze­niert. Ein Roman wohlgemerkt, konvertiert zum Bühnenstück. Auch dieses erstaunliche Interesse der Gegenwart an einem literarischen Erzeugnis einer längst vergange­nen Epoche müsste erklärt und ausführ­lich dargestellt werden. In diesem Kontext steht die neue Potsdamer Bühnenversion, im Ver­gleich mit den anderen Theaterpräsentationen ist sie zu würdigen.

Bereits 2006/2007 stand Effi Briest einmal auf dem Spielplan des HOT, damals in einer von Petra Luisa Meyer zusammengestrichenen Version. Wenige Wochen nachdem das architekto­­nisch und leider auch akkustisch aufregende neue Haus eröffnet wurde, erschien Effi auf einem Lauf­steg, der sich durch den ganzen Zuschauerraum zog, den neuen Spielraum quasi erobernd und bis an den äußerten Rand ausschreitend. Auf diesem Catwalk wurden die Szenen präsentiert wie die Nummern einer Moden­schau. Jana Klinge gefiel als Effi. Ihren Traum trug sie vor sich her, das »vornehme Haus« – ein Modell von Sanssouci. Am Ende waren alle auf schöne Weise gescheitert. Innstetten (Philipp Mauritz) und Wüllersdorf (Moritz Führmann) saßen zusammen in einem Strandkorb (gestrandet), das Preußenlied singend: »Ich bin ein Preuße, will ein Preuße sein.« Aber wer arbeitet sich heute noch ab an den Problemen von anno Dazumal? Eine Inszenierung, die das Publikum erobern will, muß heutig sein, die Menschen abholen, wo es sie jetzt bedrückt, an historischen Texten sichtbar machen, was die Gegenwart bewegt.

Das ist auch der Potsdamer Inszenierung von 2018 nur zum Teil gelungen. Was hier zu sehen war, ist gediegene Theater­arbeit, ein durch und durch gelungener Abend. Selbst die Natur schien mitzu­spielen und zeigte sich von ihrer besten Seite an diesem herrlichen Abend des wunder­baren Frühsommers 2018, der wegen seiner Hitzigkeit schon in die allgemeine Kritik geraten war. Sogar die Sterne funkelten in das offene, amphitheatra­lische Rund (Blechbüchse) herunter. Die Havel plätscherte leise vorüber. Die Schiffbauer­gasse drehte sich unbekümmert um sich selbst, Musik, Tanz, Gelächter. Da draußen. Hier drinnen waltet ein anderer Geist.

Effi Briest als Sommer-Theaterinszenierung in eine Reihe zu stellen mit Shakespeares Sommer­nachtstraum und Neil Simons Ein seltsames Paar, vielleicht ein Akt trotziger Selbst­behaup­­tung, jedenfalls ein Wagnis, kam beim Publi­kum gut an. Alle Karten für sämtliche Vorstellungen sind bereits vor der Premiere ausver­kauft. Nur mit etwas Glück lassen sich an der Abendkasse noch Tickets ergattern. Offenbar sind die angesetzten Aufführungen nicht hinreichend. Fontane geht immer, besonders am Vorabend des Jubiläumsjahres 2019. Wie die Inszenierungen der letzten Jahre beweisen, lässt sich das Werk ganz unterschiedlich auffassen. Ironische Distanz und heiteres Darüber­stehen erleichtern der modernen Bühne den Zugang zu diesem Text. ­­Das Gorki-Theater (2012) und das Hamburger Schauspielhaus (2015), um nur zwei Beispiele zu nennen, haben gezeigt, wie weit man den Plot postmodern auflockern kann, ohne den elegische Grund­ton und die Empathie mit dem Schicksal Effis zu gefährden. Der Potsdamer Inszenierung von 2018 gelingt wenig von der Leichtigkeit und der modernistischen Verspielt­heit anderer Version­en. Effis Schicksal entwickelt sich mit unerbittlicher Konse­quenz. Die Stimmung des Abends passt nicht recht zu dem bitteren Ernst der Tragödie. Die spärlich eingestreuten Gags zünden nicht, obwohl die Zuschauer sommer­lich locker und aufgeräumt erschienen sind. Wer rechnet an so einem Abend mit einem Sommer­nachts-Alptraum?

Woher soll es auch kommen! Es ist die Stunde des Abschieds. Effi Briest ist die letzte Inszenie­rung der Ära Wellemeyer. Leitung und Ensemble befinden sich im Umbruch. Die Darsteller des Abends gehören fast durchweg zu denen, die fortgehen werden. Das ist gewiss auch eine Chance, es ist aber zunächst einmal ein Abschied. Jedenfalls ist das nicht die Zeit für Genie­streiche und Experi­mente, es ist der Moment, auf bewährte Klassiker zurück­zugrei­fen. »In den Staub mit allen Feinden Branden­burgs.« Shakespeares Sturm. Letzte Worte des scheidenden Intendanten, der die Potsdamer Bühne seit 2009 geleitet hat. Und nun noch »Effi komm«. Immerhin ein Abgang mit Format.

Ich bin weit davon entfernt, die Intendanz von Tobias Wellemeyer in verklärendem Licht zu sehen. Zu sehr ist noch der Laufenberg-Phantomschmerz in Potsdam spürbar. Das Palais Lichte­nau in festlichem Glanz, Katharina Thalbach als Frau Jenny Treibel, das bleibt unvergessen. Damit soll der neuen Inszenierung von Effi Briest keineswegs Mangel an schauspielerische Prominenz vorgehalten werden. Im Gegenteil. Die Schauspieler haben ihre Figuren vorzüglich und mit angemessenem Engagement bzw. Degagement gespielt. Denia Nironen, die Haupt­darstel­lerin, ist in ihrer Rolle geradezu über sich hinausgewachsen. Sie gibt Effi als das einzige lebendige Wesen in einer Welt von Zombies, die gespensterhaft erstarrt, leblos, ohne Freude am Dasein nur noch vor sich hin vegetieren, teilweise reduziert auf eine Redensart (Schallplatte). Alle anderen sind gezeichnet durch starre Haltung und dunkle Augenringe. Allein Effi lebt. Sie scheitert bei dem Versuch, sich einzuordnen, muss scheitern. Das kindliche Herum­tollen mit Hulda nimmt man ihr nicht ab, (endlich mal keine Schaukel, wo hätte man die auch festmachen sollen?, sondern passend zum Sommer 2018 ein Fußball als Tollgerät), aber die junge Ehefrau, die sich fürchtet in ihrer Vereinsamung und die sich nach einem ganz anderen Leben sehnt, das spielt sie mit Bravour. Meike Finck, die während ihrer Potsdamer Jahre auch in ganz anders gearteten Rollen zu sehen war, überzeugt als abgetakelte Luise von Briest und ist als Marietta Tripelli mit Walkürenfrisur und Hasch­zigarette fast nicht wiederzuerkennen. Auch Marianna Linden zeigt als Hulda und als Roswitha noch einmal, was sie kann. Nicht was in ihr steckt, das lassen diese beiden kleinen Rollen nicht zu. René Schwittay gibt den Innstetten als dauer­überfor­dertes Ehescheusal, auch der legere Morgenmantel, den er als als geschiedener Macho Oscar dauernd trug, kam wieder zum Einsatz, ja man hat mitunter den Eindruck, als ob ihm dieses Kostümstück schon ein wenig anhaftet. Zu der Rolle, die Schwittay hier spielt, passt das alles jedenfalls ausgezeichnet. Welche Entsagung, diesen Mann zu heiraten! Er gibt vielleicht doch noch einen besseren Innstetten als Sebastian Koch. Auch Peter Pagel bewährt sich in seinen beiden Rollen. Er mimt den alten Briest und den auch alten Alonzo Gieshübler, beide gleichermaßen zurückhaltend und stimmig. Friedemann Eckert verkörpert mit Crampas und Wüllers­dorf zwei Charaktere, die gegensätzlicher nicht sein können. Als rebelli­scher Sports­mann und Liebhaber überzeugt er nicht, muss er ja auch gar nicht. Mit großer Geste trägt er eine Passage aus Heines Seegespenst vor (»meertief«, gerade das Wort fehlt!). Das passt eigentlich nicht so recht in Fontanes Konzept, eher zu Spielhagen, aber der Figurenstudie sind solche Brüche durchaus angemessen. Eine Besonder­heit der Potsdamer Inszenie­rung ist, dass Annie durch ein etwa gleichaltriges Mädchen gespielt wird. Das verleiht diesen Szenen eine besondere Intensität.

Gespielt wird die Bühnenbearbeitung von Peter Haller und Bernd Schmidt, eine an der epischen Vorlage orientierte Instant-Version. Ausgangspunkt ist die Schuldfrage, die sich Effis Eltern nach dem frühen Tod ihres einzigen Kindes stellen. Das Geschehen dreht sich unentrinnbar im Kreis. Wohin passt eine solche Rahmen­handlung besser als ins Gasometer? Die Bühne wird nach hinten durch eine hohe Fensterfront abgegrenzt, die das zwanghafte, herabgewirtschaftete, verrostete Rund der Außenhülle aus genieteten Metallplatten wiederholt. Schon von Anfang an sind die langen, völlig verschlissene Vorhänge präsent. Die Hand­lung ist damit komplett in den unheimlichen Gespenster­saal verlegt. Kessin ist überall. Diese Fenster sind blind. Sie lassen sich wohl noch öffnen. Aber eigentlich versperren und verhindern sie Ein- und Ausblicke wie überhaupt jede Art von Austausch und Veränderung. Die Fenster werden auf und zugeklappt, durch ihre Öffnungen werden Gegenstände herausgeworfen, ja sogar Abgänge (Flucht) erfolgen durchs Fenster. Frische Luft kommt nicht herein. The wall (Oh Wand!) als Grenz­scheide ohne Aussicht und Entrinnen (»sich einmauern ist Tod«).

Eine Schubkarre Sand (Kessin), ein paar unbequeme Sitz- und Liegemöbel komplettieren den Spielraum. Mehr benötigt die Requisite nicht. Sogar ein Birnbaum ist auf der Bühne präsent, als bedürfe es einer Erinnerung daran, wer der Autor dieses Stückes ist, ein Bäumchen mit drei Früchten, von denen zwei während der Vorstellung gepflückt werden. Krampas nascht nur davon und wirft die Birne (Segen!) achtlos fort. Effi verzehrt ihre Frucht nach ihrem endgültigen Abgang. Solche Motive sind viel zu zaghaft gesetzt, sie reißen die Inszenierung nicht aus dem Sumpf der Tragödie heraus. Auch die Kostüm­schneiderei, die mit Stoffen, knalligen Farbtupfern und historischen Reminiszenzen bewundernswertes geleistet hat, schafft das nicht.

Christian von Treskow führte Regie, klar, gekonnt, ohne Schnökrel und Radau, mit Respekt vor dem Text. Un­mittelbar zum Publikum spricht seine Inszenierung überall da, wo es gelingt, aktuelle Lebenserfahrungen hinter der historischen Folie aufleuchten zu lassen. Wenn es heute auch seltener vorkommen mag, dass Ehen aus Berechnung ­geschlossen werden, so sind doch die Geschlechter­verhältnisse nach wie vor belastet von ökonomischen Zwängen und Rücksichten, Projektionen und Traditionen. Ein Ehe­partner, der für seine Karriere lebt, sich zu Hause aber als Langweiler erweist, das dürfte manchem bekannt vorkommen. Ohnmacht, die in Kontrollwahn (Innstetten als Erzieher) umschlägt, gab es zu allen Zeiten, genauso wie Dreiecksbeziehungen und tödliche Rivalität. Auch dass nach einer Scheidung ein Elternteil dem andern die Kinder mißgönnt, soll außer bei Angelina Jolie und Brad Pitt auch schon bei andern vorgekommen sein. Offen­sichtlich ist es trotz all dieser Parallelen gar nicht so einfach, das Aktualitäts-Level durchweg zu halten. Das postfaktische Pistolen-Duell wirkt heute nur noch atavistisch. Ähnlich verhält es sich mit dem unvermeidlichen Chinese, der wieder als Angstfigur (Xenophobie?) bemüht wird, obwohl die anderen Figuren viel mehr Anlaß zu Beängsti­gung geben. So, wie es hier geschieht, ist dies Motiv längst nicht mehr Dreh- und Angel­punkt der ganzen Geschichte und durchaus entbehrlich. Und wenn Effi zu großem Monolog aufläuft: »Ehre, Ehre, Ehre … und dann hat er den armen Kerl totgeschossen … Mich ekelt, was ich getan, aber was mich noch mehr ekelt, das ist eure Tugend. Weg mit euch.«, dann fühlte sich aus dem Potsdamer Theater­publi­kum von 2018 garantiert keiner mehr angesprochen. Diese Türen muss man nicht mehr einrennen, sie sind längst offen.

Geschlossene Fenster, offene Türen. Was ist, was soll das ganze Theater? Welche Antworten hat es zu den Fragen unserer Zeit? Herein denn also, dreimal seis gesagt, für Bettina Jahnke, die sich auf Christoph Schroth als ihren Mentor beruft. Kommen jetzt die glücklichen Jahre der Theater-Entdeckungen nach Potsdam? Oder Visionen vom Zonenrand her? Was auch immer. Fontane wird diese Bühne nicht das letzte Mal gesehen haben. Er ist ja so etwas wie der Shakespeare des HOT, wenn er auch kein einziges Theaterstück geschrieben hat. Immerhin übersetzte er den »Hamlet« und verfasste alles, was man an Romanen und Novellen aus dem 19. Jahrhundert überhaupt noch kennt. Das HOT ist nahe am Wasser gebaut. Da will die neue Intendantin noch näher ran (Sehbühne? Klagenfurt?). Was heißt, Effi geht? Effi kommt! Die Frage ist, wer den Zauberspruch ruft und – wozu!

Effi Briest in Potsdam, weitere Termine, Ort: Schiffbauergasse, Gasometer:

21.6. Donnerstag (21-23.20 Uhr)

22.6. Freitag (21-23.20 Uhr)

23.6. Samstag (21-23.20 Uhr)

24.6. Sonntag (18-20.20 Uhr)

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