Autorenaberglaube

Wann beginnt die Arbeit an einem Text? Und womit? Mit einem Gedanken, einer Idee oder mit dem ersten Satz, wenn ich ihn aufschreibe und wieder durchstreiche, neu formuliere, am Ende noch einmal durchstreiche und dann ist der zweite Satz der erste Satz? Oder beginnt die Arbeit an einem Text schon viel früher? Arbeite ich mit jedem Text schon am nächsten? Begann sie mit dem ersten Buchstaben, den ich schrieb, mit dem ersten Satz, den ich las, mit der ersten Geschichte, die mir vorgelesen oder erzählt wurde?

Die Arbeit an einem Text für die Fontane-Anthologie des VS Brandenburg, die Ende 2019 erscheinen wird, hat ganz sicher nicht am 13. September begonnen, als wir uns in Friedrichshagen mit Prof. Berbig trafen und über Fontane redeten. Ohne zu wissen, dass es einmal eine solche Anthologie geben wird, zu der ich aufgefordert sein würde, einen Text beizutragen, habe ich schon vor Jahren und immer wieder Fontane gelesen. Davon werde ich profitieren, wenn ich beginne, den Text für die Anthologie zu schreiben. Die Idee zur Anthologie wurde schon vor Monaten zum ersten Mal besprochen. Seitdem lauern in meinem Kopf alle Fontane-Erfahrungen samt Verknüpfungen zu Sinnesreizen, anderen Texten und Erinnerungen darauf, aufgerufen zu werden.

Ich neige dazu, die Wanderungen als Anknüpfungspunkt zu nehmen, weil ich selbst in Brandenburg unterwegs bin und Reiseführer schreibe. Aber es ist zu früh, genaueres zu sagen. Man spricht nicht über einen Text, an dem man noch arbeitet und schon gar nicht über einen Text, der noch in einem arbeitet. Alter Autorenaberglaube. Und – ich gebe es ungern zu – ich bin ein wenig abergläubisch. Das ist ein Erbe meiner Mutter. Sie erzählte mir vom Spiegel, der ihr zerbrach, woraufhin sie sieben Jahre lang das Pech verfolgte. Und dann war da noch das Salz, das nicht verschüttet werden und die Wäsche, die in den Raunächten nicht auf der Leine hängen durfte.

Ich äußere also nur unter Vorbehalt, dass die Wanderungen der Punkt sein könnten, an dem ich anknüpfe. Ich könnte über einen Ort schreiben, an dem Fontane nie war. Aber es könnte auch etwas anderes sein. Und ich schreibe das jetzt nicht nur, um dem Aberglauben zu entkommen, indem ich mehrere Spuren lege, so tue, als würde ich gar nicht über einen konkreten Text reden. Es könnte auch „Meine Gräber“ werden oder ich schreibe über das Hoppenmarieken meiner Kindheit oder über ein fiktives Treffen zwischen Fontane und Marx in London oder über das Fontane-Denkmal in Neuruppin und das Kleist-Denkmal in Frankfurt an der Oder. Ich ziehe auf der Landkarte einen Strich zwischen den beiden Orten, wandere auf dieser Linie und schreibe darüber. Ich könnte Gedanken über Schachtelsätze, die „Und’s“ bei Fontane und das „dergestalt dass“ bei Kleist in einen solchen Text einflechten.

Nein, das werde ich ganz sicher nicht tun. Ich werde nicht wandern.

 

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