Mein erster Besuch im Fontane-Archiv

Durch den Potsdamer Herbst

Nun lebe ich seit zwei Jahren in Berlin und war noch nicht im Fontane Archiv – höchste Zeit, dies zu ändern?

Es ist der 25. Oktober 2018. Nach einer kleineren Odyssee  (Ausgangspunkt Friedrichstraße) mit der  S-Bahn  und anschließendem  Fußmarsch über die Kopfsteinpflaster Potsdams, erreiche ich die Villa Quandt. Schön ist es hier. Ein durchaus passender Ort, um ihn Fontane und seinen Zeitgenossen zu widmen. Man imaginiert sich geradezu das 19. Jahrhundert herbei, erwartet im Augenwinkel eine Kutsche zu erblicken oder gar Fontane persönlich vorbei huschen zu sehen.

Fünf Euro Eintritt bringen mich zum Vortrag „Der politische Fontane“ von Jens Bisky und Iwan D’Aprile (für Potsdamer StudentInnen ermäßigt, für HU-StudentInnen nicht, schade!).

Ich – als Studentin im Anfangsstadium – habe oft Hemmungen, mich in eine noch fremde akademische Welt fallen zu lassen. So habe ich jetzt auch die Befürchtung, man könne merken, dass ich ein akademischer Frischling bin. Ich versuche, mich an die Kohorte zu halten. Man trinkt Wein, isst Käsestangen. Die Farben Schwarz, Anthrazit-Blau und Grau scheinen der präferierte Dresscode zu sein – ich fühle mich wohl.

Der politische Fontane

Was weiß ich eigentlich über den politischen Fontane? – Nicht sehr viel. Gibt es den EINEN politischen Fontane? Aus einigen Narrationen seiner Romane habe ich hie und da versucht mir mögliche Meinungen zu konstruieren, doch letztlich blieb das Meiste im Dunkeln. Wie bei den meisten berühmten Verstorbenen wird man unablässig mit Betitelungen konfrontiert, ohne das Vermögen zu haben diese einordnen zu können: Fontane der Demokrat? Fontane der Antisemit? Fontane der Preuße? Fontane – ? Ein Bild erwächst, welches aus irgendwelchen Zitaten zusammengegabelt wurde. Über den politischen Fontane zu diskutieren stelle ich mir daher ungemein schwierig vor.

Der Vortragsraum der Villa Quandt Foto: Privat

Nun sitze ich erwartungsvoll in dem Vortragsraum, welcher viel zu klein für die überraschende Menge an Interessierten erscheint. Eine leidlich erwartete akademische Kühle herrscht nicht vor. Viel eher ist von einer gemütlichen Atmosphäre zu sprechen, wo man nur noch erwarten würde, dass der frontale Kamin angemacht wird.

Die Beine werden überkreuzt, es wird nochmals ein kräftiger Schluck Rotwein genommen und das Zuhören beginnt. Wer nun einen Vortrag – in Manier einer klassischen Vorlesung – zu hören wünscht, ist bei Bisky und D’Aprile falsch. „Unanfechtbare Wahrheiten“, so wird betont, gibt es nicht. Somit haben die Diskutanten beschlossen, anfechtbare Thesen aufzustellen, um sie diskutieren zu können (zu den genauen Thesen der Diskutanten siehe: Der politische Fontane im Fontane-Archiv). Zwischen den Diskussionsinhalten wird aus Fontanes Werk gelesen, sowohl aus seinen Korrespondenzen, seinen Romanen und seiner Lyrik.

Nach und nach bestätigt sich mein Verdacht, dass es ein fast unmögliches Unterfangen ist, ĂĽber Fontane – in seiner Gänze – diskutieren zu können.  Fontane ist wohl einer der Protagonisten des 19. Jahrhunderts, stets sich am Puls seiner Zeit befindend und ĂĽber diesen schreibend, als Journalist, als Kritiker, als Reiseschriftsteller …  Bisky schmunzelt, dass eigentlich nichts passieren konnte, dass nicht irgendwie von Fontane belichtet wurde: „Da musste nur ein Offizier vorĂĽber gehen.“

Fragen ĂĽber Fragen

Dieser Abend bringt für mich mehr Fragen auf, als er beantworten kann. Beim Beenden der Diskussion bin ich fast etwas wehmütig, gerne hätte ich noch mehr erfahren, mich noch tiefer in die Materie gedacht.  Ein Format, welches versucht, polyperspektivisch sich Fontane anzunähern, scheint gerade für diesen Autor prädestiniert zu sein. Ich erinnere mich an meine Lektüre von Schach von Wuthenow, hier geht die narrative Instanz (wie sooft) sparsam mit ihren Kommentaren um, lässt vielmehr die Figuren – durch den Dialog – zu Wort kommen; ein wahrhaftiges Panorama von Sichtweisen und zeitgenössischen Diskursen entsteht, unmöglich sich einer festgemeißelten Meinung einer Figur anzuschließen.  Die systematische Beurteilung eines politischen Fontanes überlasse ich  folglich gerne den Profis.

Zurück auf dem nun nächtlichen Kopfsteinpflaster, nehme ich nicht die Straßenbahn  zum Potsdamer  Hauptbahnhof. Mir ist, als müsse ich den Abend zu Fuß abschließen. Wie ein Flaneur der 1880er – so bilde ich es mir jedenfalls ein – durchquere ich die schon schlafenden Straßen, bevor mich die Massen Berlins wieder verschlucken werden.  Mein Kopf ist voll von zahlreichen, sich widersprechenden Denkanstößen, die von einem produktiven Abend zeugen.

Gerne werde ich wiederkommen.

 

 

2 comments

  1. Was für ein schöner Beitrag. Wie gut, dass es in einem Blog möglich ist, „ich“ zu sagen. Ich war, als ich den Beitrag las, gleich an meine Studienzeit und meine ersten Recherchen in einem Archiv erinnert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert