VON ULRICH SEIDLER
Leute, die denken, Unterm Strich wäre die letzte Ecke in der Berliner Zeitung, die sich einen feuchten Keks um Aktualität kümmert, haben natürlich recht. Denn das ist der wahre Luxus der übrig gebliebenen Feuilletonisten, die sich hier unten drängeln: Einfach in einer Tageszeitung über Dinge schreiben, die nicht nur nicht vom Kanzleramt, sondern auch nicht von den zufällig gerade wichtigen Vorgängen in der Gegenwart diktiert werden. Unterm Strich kann aber noch mehr: Es kann die Zeit überholen und schon heute Themen setzen, die erst am Ende des Jahres, nämlich am 30. Dezember 2019 aktuell werden.
Willkommen zur neuen Zitate-Exegese-Serie! Im Zentrum der Bemühungen, die hier mit aller Macht und Kompetenz angestellt werden, steht ein Neuruppiner, aber nicht irgendeiner, und auch nicht nur irgendein Märker mit hugenottischen Wurzeln, sondern ein jeweils ganz besonderer: der große Meister des poetischen und gesellschaftskritischen Realismus Theodor Fontane, der in jener für Tageszeitungsfritzen unfassbar fernen Zukunft 200 Jahre alt werden würde.
Die Unterm-Strich-Autoren aller Herren Länder wurden zu einer geheimen mehrtägigen Konferenz mit einem hohen Anteil an geselligen Terminen zusammengerufen, haben gelesen, recherchiert, diskutiert und rezitiert, das umfang- und gestaltreiche Werk Fontanes bis in die letzten halb vergessenen Winkel ausstudiert und durchgeflöht, nach zähem, ja, blutigem Ringen eine Auswahl von Zitaten getroffen, die wir nun für Sie, liebe Leserinnen und Leser, in gebotener Unregelmäßigkeit und nach alter Gepflogenheit ausbreiten werden. Nein, das kostet alles nichts extra (jedenfalls nicht für Sie).
Als passend zum Auftakt erweist sich der folgende Fontane-Spruch, den sich der Meister vielleicht zugerufen hat, bevor er sich den Zwicker richtete und an den Schreibtisch setzte: „Wer schaffen will, muss fröhlich sein.“ Das scheint erst einmal zu stimmen, aber bitte richten Sie Ihr Augenmerk auf das erste gebeugte Verb: will. Und seien Sie daran gemahnt, dass das, was Sie hier lesen, nicht unbedingt geschaffen werden wollte, sondern eher musste – und für solche Fälle gilt: „Wer schaffen muss, der muss schaffen, egal ob er fröhlich ist.“ Es gilt immerhin nicht: „Wer schaffen muss, darf nicht fröhlich sein.“ Jetzt fragt sich nur, welches Müssen nun anstrengender ist, das Schaffen-Müssen oder das Fröhlichsein-Müssen. Zu bedenken ist letztlich auch, dass Fontane das Wort Schaffen wohl eher im Sinne von Schöpfen – natürlich von Kunstwerken – gebraucht und nicht das tarifhonorierte, entfremdete Nine-to-Five-Knuffen meinte, bei dem im besten Falle Texte mit Gebrauchswert abfallen (obwohl Gebrauchswert ebensowenig ein Unterm-Strich-Kriterium ist wie Aktualität).
In Fontanes Irrungen, Wirrungen haben wir nun ein Wort von der Gärtnergattin Dörr aufgelesen, das zwar von Liebesdingen spricht, aber zugleich angenehm desillusionierend den Zusammenhang von Schaffenslust und Geschaffenem fasst:
Ich weiß woll, es geht nich immer, und mancher will auch nicht. Und wenn einer nich will, na, denn will er nicht, un dann muss es auch so gehn und geht auch mehrstens. Un natürlich, was dann kommt, muss man aushalten und darf sich nicht wundern. Un wenn man all so was weiß und sich immer wieder zu Gemüte führt, na, denn is es nich so schlimm.
Anm.: Dieser Text erschien zuerst in der Berliner Zeitung Rubrik Unterm
Strich/Fontane der Woche.