Norbert Mecklenburg beschäftigte sich in seinem im letzten Jahr veröffentlichten Buch Theodor Fontane. Realismus, Redevielfalt und Ressentiment ausführlich mit Fontanes persönlicher antijüdischer Einstellung, aber auch mit dem Antisemitismus in seinem künstlerischem Werk.
Der Literaturwissenschaftler sieht es als seine Pflicht, Fontanes antijüdische Aussagen zu dokumentieren und historisch zu kontextualisieren. (S. 194)
Mecklenburg fordert Fontane-Forscher dazu auf, Fontanes Ressentiment gegen Juden nicht mehr als „eine kollektive Verblendung“ zu bezeichnen, das Wort „Zeitgeist“ als Abmilderung zu nutzen oder „judenfreundliche“ Stellen als Gegenbeweis anzuführen. Es soll nicht behauptet werden, sein Romanwerk sei nicht von seinem Antisemitismus beeinflusst worden. Viele Literaturwissenschaftler hätten das Thema totgeschwiegen oder seinen Antisemitismus als „Ambivalenz“ abgetan. (S. 200) Erst hundert Jahre nach Ableben des Autors brachte Michael Fleischer, als einer der Ersten, Fontanes Antisemitismus zur Sprache. (S. 199)
Theodor Fontane lebte zu einer Zeit, in der Antisemitismus von der Regierung wieder „salonfähig“ gemacht wurde. Hauptakteure im Berliner Antisemitismusstreites waren der Geschichtsprofessor Heinrich von Treitschke – der sagte: „Die Juden sind unser Unglück.“ – und der lutherische Pfarrer und Berliner Hofprediger Adolf Stoecker, der der Meinung war, dass der deutsche Geist „verjude“ und das Judentum das Germanentum überwuchere.
Kaiser Wilhelm II., deutscher Kaiser von 1888 bis 1918, sei im Gegensatz zu seinen Vorgängern Antisemit und machte den Judenhass wieder en vogue. Theodor Fontane teilte unzweifelhaft antijüdische Positionen, lediglich vom „Radau-Antisemitismus“ wandte er sich ab. (S. 197)
Fontanes Einstellung gegen die Juden ließe sich nicht nur in seinen Briefen finden, sondern auch in seinen Romanen. Die Judenfrage werde nur angedeutet und Fontane ließe für den Leser einen weiten Interpretationshorizont zu. (S. 242) Er schaffe bewusst jüdische Nebencharaktere, die stereotyp karikiert sind. Zudem ließen sich Sticheleien und Anspielungen gegen Juden finden. (S. 201)
Als Beispiel wählt Mecklenburg unter anderem den Kleinbürgerroman Mathilde Möhring. Die Protagonistin meint, den Bürgermeister Hugo als Juden entlarven zu können aufgrund seiner Physiognomie und seiner Essgewohnheiten. Dabei sei dies sehr unwahrscheinlich, da selbst getaufte Juden von Verwaltungsämtern ausgeschlossen waren. Außerdem passe diese Hypothese nicht zum gesamten Konzept des Romans. (S. 244f.) Mecklenburg setzt am Ende seiner Argumentation noch folgenden Kommentar: „‚Judenriecherei‘ war ja bei Fontane und seinen antisemitischen Gesinnungsfreunden ein beliebtes Gesellschaftsspiel.“ (S. 245)
Fontanes ganz persönlicher Antisemitismus zeige sich deutlich in seinem Urlaubstagebuch, das er auf Norderney schrieb: „Fatal waren die Juden; ihre frechen, unschönen Gaunergesichter (denn in Gaunerei liegt ihre ganze Größe) drängen sich einem überall auf.“ (Brief an Emilie Fontane, 17. August 1882) und „Die Gesellschaft hier wird immer profilirter, immer ramseshafter und giebt einem die Gewißheit, daß in Tisza-Eßlar wenigstens keine Juden geschlachtet worden sind.“ (Brief an Emilie Zöllner, 17. August 1883). (S. 205f.)
Ein ganzes Kapitel widmete Mecklenburg antijüdischer Aussagen in Fontanes später Lyrik. Ein Unterkapitel beschäftigt sich mit dem Meyerheim-Gedicht. (S. 230)
Die Meyerheims – man verstehe mich recht –,
Die Meyerheims sind ein Weltgeschlecht,
Sie sitzen im Süden, sie sitzen im Norden,
Ums Goldne Kalb sie tanzen und morden,
Name, gleichgültig, ist Rauch und Schall!
Wohl, wohl, der „Meyerheim“ sitzt überall.
Es wurde im Jahre 1933 von Friedrich Fontane, Sohn des Dichters und früh mit der Ideologie der Nationalsozialisten sympathisierend, veröffentlicht, als ihm „die Zeit gekommen zu sein schien, die antisemitischen Bekenntnisse seines Vaters in der Öffentlichkeit bekanntzumachen“ (S. 231). Der Name Meyerheim sei eine Vermischung von Meyer und der Endung -heim. Beides wären typisch jüdische Namen. „Der Meyerheim“ in Gänsefüßchen gesetzt, stehe für „den Juden“. (S. 231) Auffällig sei auch die Stelle „Ums Goldne Kalb sie tanzen und morden“. Mecklenburg schreibt: „Das Goldene Kalb als ‚Gott der Juden‘ war ein zentrales antisemitisches Ideologem,das durch seine biblische Herkunft den traditionellen christlichen Antijudaismus mit seiner Anti-Mammon-Komponente bruchlos an den modernen antikapitalistischen und rassistischen Antisemitismus angeschlossen hatte.“ (S. 231)
Mecklenburg analysiert Fontanes Antisemitismus differenziert und führt viele Beispiele an. Sein Werk ist aufschlussreich und bis ins Detail genau recherchiert. Theodor Fontanes antijüdischen Aussagen bleiben ein Thema, das immer wieder vernachlässigt wird. Gerade deshalb gehört Mecklenburgs Buch zu den wichtigen Publikationen im Umkreis des Jubiläumsjahrs. Überdies vertieft es bereits geleistete Forschungen zum Gegenstand und öffnet neue Perspektiven im analytischen Umgang mit dem literarischen Werk Fontanes.