Diversität in gelb – Zur Fontane-Leitausstellung in Neuruppin

Auf dem Weg

Über einen Monat ist es her, seitdem Louisa und ich den Weg nach Neuruppin unternahmen. Es war ein sonniger, gar sommerlich warmer Apriltag, derer es viel zu wenige in diesem Jahr waren. Mit dem Ziel die Fontane-Leitausstellung zu inspizieren, hatten wir uns eine Woche nach derer Eröffnung am 30. März 2019 verabredet, die beschwerliche Reise von Berlin Mitte gen Neuruppin anzutreten. Da ich mit dem Pfad von früheren Unternehmungen vertraut war, betraf die Beschwerlichkeit des Unternehmens ungleich mehr Louisa, die sich nichts anmerkend an große Fontane-Plakate und beschauliche brandenburgische Idylle sehend klammerte.

Bereits in der Regionalbahn stießen wir überdies auf gleichgesinnte Reisende. Ein älteres Pärchen, das unsere Gespräche über die Erwartungen an die Fontane-Ausstellung bemerkt hatte, fragte an welcher Haltestelle es am besten auszusteigen hätte, damit es den möglichst kürzesten Fußweg zum Museum haben würde. Ich antwortete gewissenhaft, meinen alten Erfahrungen vertrauend. Jedoch stieg ein Großteil der Fahrgäste eine Station früher aus. Das Pärchen nicht erbost, doch ob meines gegenteiligen Ratschlags verunsichert, blieb mit uns bis zur Endstation in der Bahn sitzen. Am Ende des Tages resümierten wir, dass beide Wege gleichlang gewesen waren.

Ein Schmankerl und eine Ausstellung

Nachdem Fahrt vollendet, das Museum samt Ausstellung gefunden und die Eintrittskarten gelöst waren, bekamen wir die Möglichkeit zwei Haftbuttons mit unterschiedlichen Worten (Attribut/Adverb+Irgendeinmenschsein) auszuwählen. Dabei wurden wir das erste Mal zaghaft auf die Leitfarben der Ausstellung hingewiesen: Die Buttons erstrahlten in Schwarz und Gelb. Während Louisa recht flux ihre Kombination gewählt hatte – „deplatzierter Eulengesichtsmensch“ -, verdachte ich mich in den Möglichkeiten – seit diesem Tag prägt die Aufschrift „bloß Harmlosigkeitsmensch“ meinen Ranzen.

Dieser kleine Schmankerl eröffnete unsere Reise durch die Ausstellung, deren Konzeption drei Fixpunkte beziehungsweise Leitthemen hat: Erstens den „Wortmenschen“ Fontane zu fokussieren, zweitens die Dauerausstellung des Neuruppiner-Museums in die Fontane Welt zu integrieren und drittens zwei zentrale Räumlichkeiten als Highlights auszuleuchten. An Punkt eins hatten wir uns schon mit der Wahl der Buttons angenähert. Was darauf folgte war vielerlei: Tafeln und Wände mit fontaneschen Wortneuschöpfungen (wie „Großböttchermeister„), Wort-Kleckschen, Wörterwäscheleinen (da musste ich überaus vehement an Günter Eichs Gedicht „Kurz vor dem Regen“ denken!), Wort-Notizabrissblöcke, Wort-Stempel (bspw. mit „Schlagwurstpelle„) und so weiter und so fort…

Haftbuttons – Mitbringsel von der Fontane Ausstellung

Bei all den Worten, all den Kreation, all der Diversität ist eine Sache omnipräsent: das Gelb. Aus Fontanes eigenem Wortschatz heraus hatte sich dieses in den Vordergrund gespielt – „Erbsengelb“, „Schwefelgelb“, „Graugelb“ und wieder so weiter und so fort. Hierbei verliert sich der Dichter jedoch im Hintergrund, denn obgleich jedes Wort von Fontane herrührt und ihre Gemeinsamkeit sich in ihm findet, so bleiben sie facettenlos an den Wänden und auf den Notizblöcken zurück. Punkt zwei knüpft an diese Feststellung an. In einem der zuerst von uns besichtigten Ausstellungsräume entdeckte Louisa die Skulptur des „Alten Zieten“, der einst von Fontane mit einer Ballade bedacht wurde. Wäre Louisa nicht gewesen, die die Ballade sogleich anzitierte, hätte mein ungebildetes Wesen diesen Fakt übersehen – einen Verweis darauf liefert die Ausstellung nämlich nicht. Der namensgebende Protagonist wird fast gänzlich enthistorisiert, er bleibt einzig durch zusammenhanglose Splitter mit seinem Geburtsort verbunden. Stellvertretend für derlei Zusammenhanglosigkeit steht der Versuch, den Stadtbrand Neuruppins 1787 mit Fontanes Novelle Grete Minde in eine unstimmige Verbindung zu bringen…

Abschließend positioniert sich Fixpunkt drei konträr zu den ersten beiden Punkten. Waren Idee und Umsetzung zum „Wortakrobaten“ Fontane und zur Dauerausstellung wenig überzeugend, sprachen uns die zwei zentralen Räumlichkeiten der Ausstellung deutlich mehr an. Raum eins watet zwar erneut mit Spielereien auf, die den „Mensch“ Fontane vermissen, aber deutlich mehr über den „Wortmensch“ Fontane entdecken lassen: an den Wänden prangen Fontane-Zitate aus Notizbüchern teils zu Fragmenten und Theaterkritiken, in der Mitte des Raums liegen ebenjene Notizbücher aus, können angelesen, begutachtet und bestaunt werden und an einem speziell eingerichteten Schreibtisch sind Fontane-Handschriften per Beamer transkribierbar.

Raum zwei fokussiert dann Fontanes Roman Effi Briest und durchbricht mit dem Einsatz von pinkem – sagte Louisa, ich sagte grauem – Absperrband die Monotonie des Gelb. Anhand von großen in der Atmosphäre schwebenden Quadern wird das Beziehungsgeflecht des Romans aufgeschlüsselt. Was im Raum davor noch gelang, dem Besucher sich nicht aufzuzwingen, sondern ihm Platz zur Entdeckung zu lassen, verblasst hier, in dem sowohl Wände als auch der Boden mit Worten und Zitaten übersät sind. Wieso Effi Briest und nicht Frau Jenny Treibel oder Irrungen, Wirrungen, fragte sich Louisa. Wo zuerst hinschauen, blieb eine Frage, die ich mir hernach stellte. Daneben blieben weitere offen, die zu erläutern wir einen weiterhin sonnigen Tag und eine unbeschwerliche Rückfahrt hatten.

Was zu sagen bleibt

Doch blieb eine, und bleibt sie auch heute, substantielle Frage offen: Wo ist Fontane bei all der Inszenierung, bei all den Ideen, bei all dem Gelb?

Schließlich lässt sich die Antwort darauf nicht ganz so leicht ausformulieren. Fontane ist überall und doch nirgendwo ganz – nur in partieller Anwesenheit, im pointierten Aufleuchten oder eben im „bloß deplatzierten“ Ursprungsdenken. Wer Fontane liest, wie Louisa und ich es aufgrund unserer Studienausrichtung gewohnt sind, der wird wenig Neues erfahren, der wird Fontane auch nicht versuchen im historischen Kontext zu suchen, der wird jedwede Wort-Spielerei hinnehmen und ganz dem Gelb ergeben an den Flughafen Schönefeld oder an Taxis dito Postautos oder im besten Fall an Hummeln denken.

Nichtsdestotrotz war aufgrund von Wind und Wetter, Sonne und Schein, der Ausflug nach Neuruppin zur Leitausstellung des Fontane Jahres 2019 ein unvergleichlich schöner. Auch wenn mir eine ominöse, gelbe Fontane-Wort-Filz-Sitzunterlage, die mich an einen Abwaschlappen erinnerte und in mir Begehrlichkeiten weckte, verwehrt geblieben ist, da sie zur Ausstellungsausstattung gehört. Manchmal sind es die Begleitumstände, die Gedanken drumherum und die Diskussionen davor sowie danach, die ein Reiseziel ausmachen. Und dass Fontane in seinem 200. Jahr nicht neu erfunden werden kann, dürfte ohnehin bekannt sein, weshalb an dieser Stelle eine Reise gen Neuruppin wärmstens empfohlen werden kann.

One comment

  1. Eike Dietert says:

    „Großböttchermeister“ ist keineswegs eine Fontanesche Wortschöpfung, sondern eine durchaus gängig gewesene Berufsbezeichnung (für die Hersteller großer Fässer, z. B. für Wein, Bier oder Heringe). – Vorfahren von mir wurden schon im 18. Jahrhundert so bezeichnet …

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