Wie ich ahnungslos Fontanes Spuren in Schottland kreuzte

Die Morgensonne lacht freundlich, während wir die schottische Landschaft durchfliegen.

Diese Worte schreibt Fontane über die Fahrt von London nach Edinburgh in seiner Sammlung von Briefen und Eindrücken Jenseit des Tweed, aus dem auch alle weiteren Zitate dieses Artikels stammen. Während Fontane „durchfliegen“ wohl eher bildlich meinte, war meine Reise in das Land, das auch ihn so faszinierte, tatsächlich durch die Luft. Ich dachte nicht an den Dichter, sondern eher an die neue Uni, die Sprache, die fremden Menschen und das Land selbst. Auch wenn Fontane im Jahr 1858 nicht zum Studium nach Schottland reiste, frage ich mich, ob nicht auch er sich überlegte, was ihn im hohen Norden Großbritanniens erwarten würde. Seine Fahrt führte ihn zunächst in die schottische Hauptstadt Edinburgh, während ich erst am Ende meiner schottischen Reise diese beudeutsame schottische Stadt besuchen konnte, die zu dieser Zeit im Schimmer der Weihnachtstage glänzte.

Edinburgh Castle

Ich kam von Norden, Fontane von Süden, beide nutzten wir einen Zug, auch wenn meiner vermutlich etwas schneller unterwegs war und keine Morgensonne mich begleitete, sondern Morgenregen. Noch immer wusste ich nichts von Fontanes Aufenthalt in diesem Land, davon erfuhr ich erst, als ich zurück in Berlin war. Dabei waren wir an so ähnlichen Dingen interessiert. Wir standen vor dem Palace of Holyroodhouse und im Hof des Edinburgh Castle, liefen über die High Street in der Altstadt und sahen die alten und schönen Häuser der Stadt Maria Stuarts und, was mich zu diesem Zeitpunkt besonders interessierte, Sir Arthur Conan Doyles. Auch das Monument für Sir Walter Scott, das Fontane in seinen Aufzeichnungen mehrfach erwähnt, habe ich nur wenige Minuten nach meiner Ankunft am Hauptbahnhof passiert. 

Während ich 2018 von Edinburgh nach Hause flog, machte sich Fontane 1858 von dort auf, weiter in den Norden zu reisen, aus dem ich vorher gekommen war. Gerade an zwei Orten kann ich jetzt, nach meinen eigenen Erlebnissen, Fontanes Gedanken, die er in seinen Briefen und Notizen festhielt, besser nachvollziehen, als hätte ich sie nur einfach gelesen. Einer davon ist die Stadt Inverness, die Hauptstadt der Highlands, denn dort habe ich schließlich ein paar Monate gelebt. Auch wenn Inverness heute viel größer ist, als es zu Fontanes Zeit gewesen sein muss, und obwohl die Stadt deutlich moderner ist als vor ca. 160 Jahren, hat sie doch ihren alten Charme nicht verloren. Sie mag zwar die größte Stadt in den Highlands sein, doch für einen Großstädter macht sie immer noch einen sehr kleinen Eindruck. Die überschaubare Altstadt wird vom Fluss Ness getrennt, der direkt vom berühmten Loch Ness in den Moray-Firth und dann ins Meer fließt. 

Inverness Castle

Auf einem der Hügel am Flussufer steht das Inverness Castle. Einst thronte hier das Macbeth-Castle über der Stadt. Doch das wurde im Jahre 1746 vollständig zerstört. Daher ist das Inverness Castle jünger als viele Kirchen der Stadt und es war auch schon derselbe Bau, den Fontane damals besuchte. Schon zu dessen Zeit, wie heute auch, wurde das Castle als Gerichtsgebäude genutzt und ist für Besucher unzugänglich. Dennoch breitet sich vom Schlossberg ein Panorama auf Stadt und Umgebung aus, das Fontane, wie mich, in seinen Bann zog. 

Moray Firth

Die Aussicht von diesem Schloßhügel aus ist sehr schön und doch wiederum anziehender und reizvoller, als sie schön ist. Ein romantischer Zauber liegt über dieser Landschaft, ein Zauber, gegen den sich auch der nicht verschließen kann, der keine Ahnung hat, daß jemals ein König Duncan lebte und ein Feldherr Macbeth, der ihn ermordete. Ein Ton stiller, rührender Klage durchklingt das Ganze, wie das Gefühl eines scheidenden Frühlings, eines kurzen Glücks. Fruchtbare Täler […] dehnen sich in gelben Streifen nach Ost und West hin; aber die Fülle ist nur ein Gast hier, ängstlich, schüchtern, immer bereit, den eingebornen Gewalten das Welt zu räumen, dem Sturm und der Öde. Nur die hohen Berge, die von Norden her auf die Fruchtbarkeit herabblicken, und unmittelbar vor uns die mächtigen Wasserflächen des Moray-Busens sind hier die Herren und Regierer und breiten sich aus mit der stattlichen Sicherheit des Zuhauseseins.

Culloden Moor

Allerdings findet sich nicht weit außerhalb von Inverness auch ein unschöner Platz schottischer Geschichte, dem sowohl Fontane als auch ich einen Besuch abstatten wollten. Es handelt sich um das Culloden Moor, auf dem 1746 eine besser ausgerüstete englische Armee die schottischen Truppen vernichtend schlug. Zu Fontanes Zeiten war, wie dessen Aufzeichnungen zu entnehmen ist, dieser Ort nur ein weites Feld in grüner, brauner und teils violetter Heide. Allerdings steht bereits zu seinem Besuch das Monument, das die Mitte des Schlachtfelds markieren soll und bis heute dort zu finden ist. Es ist eine große, turmartig aufgerichtete Ansammlung von Steinen, in die verwitterte Inschriften eingelassen sind. Über das ganze Feld verteilt lassen sich auch andere Markierungen finden, die, an Grabsteine erinnernd, die Orte markieren, an denen angeblich die Mitglieder der einzelnen schottischen Clans kämpften oder wo ihre Anführer fielen. 

Ich bin über viele Schlachtfelder gegangen, aber keines hat einen so bestimmten Eindruck bei mir hinterlassen. […] Nicht so auf Culloden-Moor. Der Boden hatte hier keinen Wert, und so ließ man das Schlachtfeld fortbestehen. Wo doch kein Kornhalm aufgegangen wäre, war es keine Enthaltsamkeit, sich an den Gräbern der Toten nicht zu vergreifen. Sonst siegt das Ackerfeld über das Schlachtfeld; hier aber ist der grüne Rasen des Grabes Sieger geblieben.

Mir ging es kaum anders an diesem historisch bedeutsamen Ort, von dem mir junge Schotten heute noch erzählt haben. Der Steinturm steht genau zwischen zwei gegenüberliegenden Reihen aus Fahnenmasten, die eine Seite mit roten Flaggen, die andere mit blauen. Sie markieren die englischen und schottischen Truppen. Karten zeigen den Verlauf der Schlacht und wessen Gräber an welcher Stelle liegen sollen. Und ein kleines, aber sehr interessantes Museum am Rande des Schlachtfelds erzählt den gesamten Verlauf des Krieges. All diese Informationen hatte Fontane noch nicht bei seinem Besuch, doch scheint auch das Feld alleine bereits eine große Ausstrahlung und Bedeutung besessen zu haben.

Loch Lomond

Da es einen der Länge nach ausufernden Artikel zur Folge hätte, würde ich sämtliche Orte beschreiben, an denen ich Fontanes Wege in Schottland gekreuzt habe, beschränke ich mich zum Abschluss nur noch auf einen einzigen, den Loch Lomond im Süd-Westen des Landes. Obwohl Loch Ness der längere und tiefere Hochlandsee ist, ist Loch Lomond dennoch der größte in Schottland. Er erstreckt sich in alle Himmelsrichtungen und scheint das ganze Land um ihn herum einzunehmen. Die Wälder zu allen Seiten geben einen wunderschönen Eindruck der schottischen Natur. Fontanes Beschreibung dieser gewaltigen Wasseransammlung trifft daher auch heute noch in allen Punkten zu:

Der Loch Lomond ist eine schöne, noble Wasserfläche, und es kommt ihm zu, daß er „der König der Seen“ heißt. Dies ist jedoch mehr sein Ehrentitel als sein Name; die eigentliche Bedeutung von Loch Lomond ist „der inselreiche See“. Er ist groß und wasserreich, und die Inseln schwimmen auf ihm wie große Nymphäenblätter. Selbst die Berge an seinen Ufern scheinen ihn nicht gebieterisch einzudämmen, sondern gleichen Satelliten, die ihn umstehen und begleiten.

 

Fotos von Clara Wrzesinski

Zitiert wurde nach:

Theodor Fontane: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Rütten & Loening, Berlin 2. Auflage 1977

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