„Fontanes Berlin“ – Bericht von der Ausstellungseröffnung
Am 19. September 2019 wurde im Märkischen Museum die Ausstellung „Fontanes Berlin“ eröffnet. Ich hatte mit einer Kabinettsausstellung gerechnet und optimistisch geschätzt, nach einer Stunde sind wir damit durch. Das sollte sich als Irrtum erweisen. Eine Stunde dauerten allein die Ansprachen. Es gab einiges zu sagen. Paul Spies, der Direktor des Stadtmuseums, berichtete mit Charme über das making of. Allein die Danksagungsliste, die er humorvoll zelebrierte, umfasste zwei Seiten. Kurt Winkler, der Direktor des HBPG in Potsdam, erklärte in seinem festlichen Vortrag die Pointe, dass Fontane, der in diesem Jahr in Brandenburg gefeiert wird, eigentlich ein Berliner ist, und das Bauhaus, auf dessen 100. Jubiläum Berlin sich in diesem Jahr konzentrierte, eigentlich seine Wurzeln in der Mark hat. Das sind Worte, die in diesem Gebäude aus allen Winkeln wiederhallten. Die Ausstellungskuratorin Ines Hahn, Herrin über die 300.000 Fotografien des Stadtmuseums, erläuterte die Konzeption der Ausstellung. Stolz berichtet sie, dass bei den Recherchen eine der Fotografinnen endlich identifiziert werden konnte, Marie Panckow. Schließlich gaben die drei Junior-Kurator*innen einen Einblick in ihre Tätigkeit.
Die Ausstellung bietet mehrere Ansatzpunkte. Aus den wertvollen Beständen des Berliner Stadtmuseums hat die Kuratorin 130 zeitgenössische Fotografien von Fontane-Orten in Berlin ausgewählt. So sah es damals dort aus! So hat Fontane Berlin gesehen! Nicht nach Themen oder inhaltlichen Gesichtspunkten sind die Fotografien geordnet, sondern nach ihren Autor*innen. Dazu kommen 80 Bilder von Lorenz Kienzle, der dieselben Orte heute mit der Plattenkamera aufgesucht und in lebendigen Momentaufnahmen festgehalten hat, jedes einzelne ein liebevoll inszeniertes und sorgfältig gearbeitetes Kunstwerk. Schließlich haben die Juniorkuratoren das Thema mit eigenen Mitteln kreativ aufbereitet. Über 200 Bilder sind zu betrachten. Man kann sich in diesen Räumen verlieren, die Handschrift der einzelnen Fotografen studieren, Orte sehen, die es so heute gar nicht mehr gibt. Man kann die bewegenden Bilder von Lorenz Kienzle lesen, die oft ihre Geschichten nicht von allein preisgeben. Ich hatte das große Glück, dass der Fotograf mir einige davon erzählt hat.
Obwohl dies eigentlich ein Medienbruch ist, konnte das Stadtmuseum diese Ausstellung nicht abrunden, ohne einen Einblick in den reichen Fundus an Fontane-Handschriften und –Gegenständen zu geben, die seit 1902 zum Bestand des Märkischen Museums gehören. Bettina Machner zeigt in zwei Räumen ausgewählte Objekte dieses einzigartigen Bestandes. Erstmals zu sehen ist der Relief-Globus von Karl-Wilhelm Kummer, der in Fontanes Arbeitszimmer auf dem Schrank stand. Medienstationen erinnern an die Restaurierung und Digitalisierung der wertvollen Handschriften. Die Zeit der Mikrofiches ist vorbei! Ein Lesegerät erinnert an die Quälerei, der man sich unterziehen musste, um die Handschriften einsehen zu können – auf teilweise unscharfen s/w Images, bei denen man kaum den Überblick behalten konnte und schließlich oft verzweifelt resignieren musste.
Sämtliche Fontane-Autographen der Stiftung Stadtmuseum sind restauriert und digitalisiert und sollen bis zum Jahresende im digitalen Angebot der Zentral- und Landesbibliothek zu sehen sein. Schon jetzt soll die Handschrift von Effi Briest freigeschaltet sein. Ich habe sie allerdings nicht gefunden. Auch einige alte Bekannte sind wieder zu sehen. Der sensationelle Brief von René Maria Rilke, in dem dieser seine Männlichkeit richtigstellt, das bewegende Vorwort zu den Kinderjahren, Streifbänder, vielschichtige Klebekonvolute, die merkwürdig anmuten aufgeklappt in ihrem restaurierten Zustand. Andere Blätter waren noch nie öffentlich ausgestellt. Für die Forschung ist die Digitalisierung und Veröffentlichung der Manuskripte Fontanes ein Quantensprung. Ich freue mich schon darauf, die Autographen endlich lesen zu können!
Ungeheuer reizvoll ist es, die einzelnen Bilder zu sehen und den Bezügen und Querverbindungen nachzuspüren, die sich zu Fontane und zu den anderen Objekten der Ausstellung herstellen lassen. Ein beklagenswertes Manko der Ausstellung ist: es gibt keinen Katalog. Natürlich kann man die hilfreichen Beschriftungen aufmerksam lesen (wenn man sich oft genug bücken mag) und sich die Bezüge mühsam erarbeiten. Aber das ist bei mehr als 200 Bildern gar nicht zu schaffen. Und so funktioniert auch keine Bilderlust. Sie lebt von wiederholter Anschauung, vom detaillierten Lesen, vom Suchen und Erkennen, vom Wiedererkennen. Schon im Foyerraum der Ausstellung hängt ein Highlight: ein großer historischer Stadtplan, auf dem die wichtigsten Fontane-Orte in Berlin markiert sind: Wohnorte, Arbeitsorte, Schauplätze der Roman-Handlung. Diesen Plan braucht man eigentlich zum Mitnehmen. Erst so kann man Fontane verstehen: wenn man sich die Orte vergegenwärtigt, die er beschrieben hat. Jedes einzelne Bild möchte man auf diesem Plan verorten!
Die Ausstellung ist vom 20. September bis zum 5. Januar 2020 zu sehen. Sie sei allen Fontane-Fans wärmstens empfohlen. Und den Berliner sowieso. Bekanntlich sind ja vor Gott alle Menschen Berliner. Man muss das also nicht extra betonen. Auch ein interessantes Begleitprogramm ist geplant, das sich sehen lässt. Am liebsten möchte ich keine dieser Veranstaltungen verpassen. Manche mögen vielleicht Verdruss empfinden: schon wieder Fontane, wann hört das endlich auf? Ich finde das Fontane-Jahr einfach viel zu kurz, gemessen an all den interessanten Angeboten, die man gar nicht wahrnehmen kann, weil ständig alles gleichzeitig stattfindet.
Fotos von Klaus-Peter Möller