Statt Corinna – Corona? Theodor Fontane 2020

Der Fontane Blog, auch er ist angeschlagen: Corona hat Corinna ausgestochen. Statt sich mit der zauberhaften Tochter von Professor Wilibald Schmidt zu befassen, ist er Corona COVID zum Opfer gefallen. So sehr er sich bemühte, seinen geschützten Raum zu verteidigen und den verteidigten zu nutzen: Ihm entzog die enorme Bedrohungswelle jene Energie, die nötig gewesen wäre, den 2019-er Faden fortzuspinnen. Dabei tauchte gleich zu Beginn ein treffliches Fontane-Zitat aus dem Sammlungsschatz auf, das einige Treffsicherheit verhieß:

[…] FrĂĽher wurden Dinge „Mode“, die nur der eine mitmachte der andre nicht, jetzt fasst ein Schlagwort oder gar eine „Parole“ die Menschen mit der Macht einer Epidemie, der sich der Einzelne kaum entziehen kann und die so lange dauert bis ein bestimmter Theil der Gesellschaft „ausgeseucht“ ist. Aber schon ist eine neue Epidemie da und bemächtigt sich eines neuen Bruchtheils der Gesellschaft. […] (Fontane an Georg Friedlaender, 3. April 1887)

Was bei Fontane in ĂĽbertragenem Sinne gemeint war, galt wörtlich und gilt noch immer. Ein Virus nimmt uns in Beschlag. Es lenkt unser Denken, zerbröselt das Gewohnte in nichts und setzt dafĂĽr ein Anderes, dessen Folgen unabsehbar sind. Dabei wird das Kern- und Ausgangswort „Corona“ oder „COVID 19“ zum Sammelbecken fĂĽr weitere Schlagwörter, nun im wahrsten des Wortes: Lockdown etwa oder Lockerungsorgie oder Social Distancing. Das Polarisierungspotential ist enorm, der Wirtschaftsniedergang ebenso.

Schlechte Zeiten fĂĽr Fontane? Wahrscheinlich. Wo der soziale Bindungsraum „Kultur“ sich auflöst und die Aussichten auf öffentliche Gelder schlecht sind, braucht es einige Fantasie, sich einen forsch ausschreitenden Fontane in unserer Gegenwart vorzustellen. Ist es wirklich erst ein paar Monate her, dass wir seine 200 Jahre feierten und ihn in einer Lebendigkeit erlebten, die unglaublich war? Hat ein Bundesland wirklich einmal so tief in die Steuertaschen gegriffen, dass ein herzerfrischender Fontane-Wind durch die märkischen Städte und Dörfer wehte und schönste Ideen in Realitäten verwandelte? Dass ein Bundespräsident Neuruppin zur Kulturhochburg erklärte und nicht viel gefehlt hätte, eine Bundeskanzlerin bei einer Lesung „Mein Fontane“ zu sehen?

Wie im Alltagsleben und wie in Politik, Wirtschaft und Bildung lernen auch wir, die wir auf Kultur setzen, im Zeitraffer. Haben wir keine Zweifel ĂĽber den sozialen Wert und Unverzichtbarkeit unseres Engagements – „Fontane“ ist uns ein Begriff eben dafĂĽr! –, so gehen wir in die nächste Zeit auch nicht in dem Glauben, man werde uns erneut eine Sonderstellung einräumen. Wir werden auf uns angewiesen sein! Aber ist das nichts? Was da 2019 alles auf die „Fontane“-Beine gestellt wurde, es wurde Wirklichkeit und kam zur Geltung, weil wir uns ins Zeug gelegt haben. Und unseren SpaĂź dabei hatten – also: weiter so! Auch ohne Ausstellungen, auch ohne öffentliche Trommelwirbel, auch ohne Pressekonferenzen und Fontane-Management …

Die Theodor Fontane Gesellschaft, 1990 gegrĂĽndet und standfest auf ehrenamtlichen Beinen, muss in diesem Jahr erstmalig ihre Jahrestagung ausfallen lassen. Görlitz stand auf dem Plan, erste Gespräche vor Ort hatte es im Februar schon gegeben, das Schiff lag gut im Wind. Aber Vernunft lieĂź uns Abstand nehmen. Selbst wenn die Lockerungswelle anhält und selbst wenn keine zweite Pandemie-Flut uns ĂĽberrollt, verbieten sich solche AusflĂĽge – zumal viele Teilnehmenden zu den eher Gefährdeten gehören. Aber Leander Wattig, unser stellvertretender Vorsitzender und guter Technik-Geist auch des Fontane-Blogs, hat schon vor einiger Zeit das Stichwort „digitale Literaturgesellschaft“ ausgegeben. Sie nun bekommt ihren Probelauf: wie gesagt – lernen im Zeitraffer! Und aus „Görlitz 2020“ wird „Görlitz 2021“ – hier ein Vorgeschmack.

Ein buntes digitales Programm soll zusammengestellt werden. Da existieren bereits mitgeschnittene Vorträge, neue können aufgezeichnet werden. Material aller Art, das im vergangenen Jahr in der FĂĽlle ‚unterging‘, kann nun seine rechte WĂĽrdigung erfahren. Unser Ruf geht an Leistungskurse, die vielleicht auch so etwas zauberhaft Ergreifendes erarbeitet haben wie jene „Ich bin Effi“-Filme des Neuruppiner Gymnasiums, die während der Fontane-Akademie 2019 gezeigt wurden. Kurzum: Alle, die Ideen haben, sind eingeladen, mitzutun! Die Geschäftstelle unserer Gesellschaft in Neuruppin ist allzeit empfangsbereit! Der Vorstand hat längst seine Zoom-Feuertaufe hinter sich, nun zeichnen sich nächste schöne Herausforderungen ab.

Oh, ich muss abbrechen. Gerade sehe ich von weitem eine junge Frau, so um die 25 Jahre alt, schätze ich. Fast scheint sie mir einen „Stich ins Moderne“ zu haben, aber das macht ja nichts. Ich kenne sie, aber woher nur? Ich will ihr doch rasch etwas zurufen: „Was lenkt Ihren FuĂź denn hierher?“ Oh, sie schaut herĂĽber, und wirklich, sie antwortet sogar. Hör ich recht? „Ich sehne mich manchmal nach Ungescheidtheiten.“ Indes: Wenn das keine hĂĽbsche Erwiderung ist, „Ungescheidtheiten“, ja, das hat etwas. „Genau das suchen wir – wir die Theodor Fontane Gesellschaft – fĂĽr unsere Jahrestagung im September!“ Digital, nuschele ich noch hinzu. Da lacht sie fröhlich, das gibt es doch nicht! Was? Ich spitze die Ohren: Sie könne dort ja „auftreten wie eine KĂĽnstlerin, die ich in der That auch bin!“ KĂĽnstlerin? Ja, fährt sie fort, nun schon näher getreten, sie „habe zwei Medaillen als Kunststopferin gewonnen“. Na ja, nun, nun … Aber die Erscheinung, freundlich und heiter, unbedingt gescheit. Wollen sehen, vielleicht kann sie noch anderes als Kunststopferei. Obwohl, Kunststopferei … Ach, schade, verpasst. Ein junger Mann gesellt sich hinzu und beginnt gleich auf sie einzureden. Mal hören, was er sagt, sieht allerdings nach einer Standpauke aus: „Du nimmst Alles so leicht und denkst, wenn Du’s leicht nimmst, so hast Du’s aus der Welt geschafft. Aber es glĂĽckt Dir nicht. Die Dinge bleiben doch schlieĂźlich, was und wie sie sind.“ Du lieber Himmel – so recht er hat, so unrecht der Augenblick, es in die Welt zu posaunen. Rasch fingere ich ein Kärtchen mit „Theodor Fontane Gesellschaft e.V. / Am Alten Gymnasium 1-3 / 16816 Neuruppin – info@fontane-gesellschaft.de“ aus der Jackentasche und stecke es ihr zu. Sie lächelt allerliebst, und wieder denke ich, Du kennst sie, Du kennst sie – jetzt hab‘ ich’s, natĂĽrlich!

Aber Sie, die Sie diese Zeilen lesen, wissen es ja längst: Corinna Schmidt, aus der beinahe eine Corinna Treibel geworden wäre! So bleibt nur eins: uns nach dem geglückten, aber vergangenen Fontane-Jahr 2019 eine doch auch glückende Fontane-Zukunft 2020 zu wünschen.

Wir haben es in der Hand.

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