Wer in diesen Tagen über den Neuruppiner Marktplatz geht und nach Spuren des Fontane-Jahres sucht, entdeckt hier ein Zitat, dort ein Porträt. Ein Leuchtturm: die Fontane-Buchhandlung in der Karl-Marx-Straße 83. Sie trägt ihren Namen zu Recht – wie geschmackvoll die Schaufensterauslagen, wie reich das Angebot an Fontane-Büchern aller Art. Wer eintritt, ist fontane-freundlich willkommen und verlässt das Buchgeschäft selten ohne Einkauf, meist ‚irgend etwas mit Fontane‘.
Da stellen sich Erinnerungen ein. Bilder des vergangenen Jahres tauchen auf, beinahe unwirklich. War Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier tatsächlich hier vor Ort, um mit kräftiger Stimme sein Bekenntnis zum Wanderer durch die Mark Brandenburg abzulegen? Schwarze Limousinen, Bodyguards, Ehrengäste, die immer Ehrengäste sind … Den Redenschreibern flossen unbedenklich Fontane-Worte in die Tastatur – und ließ sich das Passende nicht im Netz finden, klingelte in der Geschäftsstelle der Theodor Fontane Gesellschaft, im Theodor-Fontane-Archiv oder bei anderen Spezialisten das Telefon. „Fontane auf Abruf!“
Entsinnen wir uns noch des kleinen Filmchen, das gedreht wurde, um die Eröffnungsfeier im März 2019 kulturell aufzulockern? Da fehlten zwar die gerade erwähnten Telefonkonsultanten, aber das machte nichts. So liegen die Dinge eben. Gerne wüsste man, ob jene illustre, prominente Schar, die da allen Angereisten und Heimischen von ihrem „Fontane“ sprachen, es auch heute noch mit Fontane hat und wie. Vielleicht so: Der ehemalige Fontane-Botschafter der Stadt Neuruppin liest seinen beiden Kindern Balladen des Dichters vor, greift dann aber doch lieber zu einer „Conny“-Geschichte. Dem Projektkoordinator von fontane.200 fällt ein, dass er doch immer mal in die Kriegsbücher haben blicken wollen, aber schon nach den ersten Seiten von Der Krieg gegen Frankreich 1870-1871 lässt er sich zu Lutz Seilers Stern 111 oder zu Anna Katharina Hahns Auf und davon verführen. Und wie mag es der im vergangenen Jahr vielbesprochene Biograph Fontanes halten? Ist er zurückgekehrt zu seinen eigentlichen Forschungsgegenständen im 18. Jahrhundert? Gerne stellte man sich vor, dass die Kuratorin der Neuruppiner Leitausstellung „Fontane 200/Autor“, die, wie sie gestand, noch lange nicht mit „Fontane“ durch war, unter schwäbischen Himmel neben Hölderlins und Celans Werk auch ein paar Fontane-Bände liegen hat – und wenn’s nur auf dem Nachttisch ist. Aber ob’s stimmt? Wir zögern. Nicht zögern wir beim Neuruppiner Bürgermeister: Der wird heilfroh sein, wenn er einmal nicht mit einem Zitat aus den Wanderungen malträtiert wird oder alle Welt von ihm erwartet, dass er endlich die zahllosen Jubiläumspublikationen gesichtet hat, um sie in einer seiner Festreden einzubauen.
Die erfolgreiche Crew aus dem Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, sie sitzt längst auf der nächsten Projektwelle und freut sich über den guten Rückenwind aus dem Jahr 2019, der sie vor Flauten bewahrt hat und ihre Segel füllt. Politik und Kulturpolitik halten sich nicht auf bei dem, was war – und wenn es noch so wichtig gewesen war. Sie müssen vergessen, um nicht vergessen zu werden. Der Tag diktiert. Das gilt auch unter der Regentschaft Corona, vielleicht unter ihr besonders.
Ganz anders gewiss die Notizbücher-Editorin aus Göttingen, deren mediale Omnipräsenz im Gedächtnis geblieben ist: Sie wird es nicht lassen können, das Brandenburgische weiter zu durchforsten, um mühsam entzifferte Notate Fontanes mit der märkischen Wirklichkeit abzugleichen. Und ihr Begleiter auf den zeitgenössischen Mark-Ausflügen heckt, auch da kaum Zweifel, gewiss schon die nächsten Fontane-Buch-Ideen aus und wird sie, ebenso gewiss, dem literarischen Markt schmackhaft machen. Und nicht minder den Sektionen der Theodor Fontane Gesellschaft, die ihm ein dankbares Forum für seine populären Plaudereien bieten werden …
Und diese literarische Gesellschaft selbst? Natürlich, sie bleibt auf Kurs und ihrem Bemühen, Fontanes Werk im öffentlichen Gespräch zu halten, treu. Zunehmend gewinnt sie auf digitalen Bahnen an Fahrt. Für die auf 2021 vertagte Jahrestagung in Görlitz wird gerade – von überall zugänglich und völlig ungefährlich – schmackhafte Internet-Kost in Gestalt von Vorträgen, Ausstellungsrevuen und Porträts zubereitet. Köchinnen und Köche sind herzlich willkommen: allseits und allzeit.
Es geht also weiter: Fontane bleibt auf Abruf. Nichts kann uns abhalten, das Angebot in Anspruch zu nehmen – mit ebenso heiterem wie kritischem Sinn. Aber rufen muss man schon …