Gesucht und nicht gefunden – Das Verschwinden des Theodor Fontane

Kontakte beschränkt, Liste an möglichen Unternehmungen auf ein Minimum reduziert – wenn eine Pandemie den Alltag umkrempelt, bleibt Berliner Durchschnittsbürger*innen nichts anderes übrig als sich in die städtische Natur zu flüchten. Für mich bedeutet das einen Besuch im Berliner Tiergarten, dem stadteigenen Wald. Immerhin gibt es dort nicht nur viel Platz zum Spazierengehen mit Mindestabstand, sondern auch einiges zu gucken. Der östliche Teil, bekannt als Großer Tiergarten, umfasst 210 Hektar und ist gespickt mit kulturell und historisch signifikanten Denkmälern: von Bismarck bis Goethe, vom Sowjetischen Ehrendenkmal bis zur Siegessäule ist die deutsche Geschichte dort verankert.

Bei dieser Fülle an Sehenswürdigkeiten ist mir bei vergangenen Besuchen jedoch besonders eine im Gedächtnis geblieben: Im nördlichen Teil des Gebietes, an einem kleinen Gewässer und umgeben von Büschen und Bäumen steht nämlich die Verewigung Theodor Fontanes. Wegen dieser gemütlichen, beinahe schon träumerischen Lage, machte ich mich also mit einer Thermosflasche voll Tee und einem Buch auf den Weg, um dem Schriftsteller einen Besuch abzustatten.

Schon bald fiel mir allerdings auf, dass ich sehr viel länger dahin zu brauchen schien als beim letzten Mal. Klar, der Weg vom Brandenburger Tor bis zum nördlichen Teil des Großen Tiergartens ist zu Fuß schon ein ganzes Stück.

Dennoch schien die Strecke trotz exzessivem Gebrauch der Wegweiser zuzunehmen. Bis ich dann doch endlich ankam – und feststellen musste, dass nicht ich mich verlaufen hatte, sondern anscheinend Fontane selbst. Der in Anlehnung an sein Werk Wanderung durch die Mark Brandenburg als Spaziergänger dargestellte Schriftsteller ist fort und zurück bleibt nur der marmorne Sockel mit seinem eingravierten Namen.

Natürlich musste ich da nachhaken. Eine Statue komplett zu entfernen ist normalerweise ein Prozess, der öffentlich dokumentiert wird. Doch egal, wie oft ich bei meiner Internetsuche auf „Nächste Seite anzeigen“ klickte, es scheint keine Informationen über Fontanes Verschwinden zu geben. Stattdessen fand ich die Entstehungsgeschichte des (abwesenden) Denkmals.

In der Zeit von 1880 bis 1910 entstand im Großen Tiergarten eine Reihe von Denkmälern berühmter Dichter und Komponisten. Fontanes Statue bildete das Schlusslicht dieser Serie der Berliner Bildhauerschule. Es war auch das letzte Personendenkmal des Künstlers Max Klein, der es noch in seinem Todesjahr (1908) begann.

Nach seinem Ableben wurde die über zwei Meter hohe Marmorstatue von Fritz Schaper beendet und schlussendlich im Mai 1910 im Tiergarten aufgestellt. Die Einweihungsrede hielt der Germanist Konrad Burdach. Wie schon erwähnt ist der Schriftsteller und Dichter absichtlich in bekannter Rolle anzutreffen: als Wanderer, als Spaziergänger, in Gehrock und mit Stock, den Blick in die Ferne gerichtet. Der Ausdruck auf seinem Gesicht wirkt nachdenklich. Interessanterweise handelt es sich bei der Statue, die man bis vor kurzem noch im Tiergarten antreffen konnte, inzwischen um eine Kopie aus Feinzement des von Klein erarbeiteten Originals, da aufgrund von Wind und Wetter sowie Vandalismus der ursprüngliche Fontane umgestellt werden musste. Seit 1998 ist er daher im Märkischen Museum zu finden, zuerst als Teil der Theodor-Fontane-Ausstellung auf der nördlichen Rasenfläche und seit 2002 in der wiederhergestellten Großen Halle des Museums.

Das Märkische Museum ist jedoch, wie so vieles andere zurzeit, aufgrund der andauernden Pandemie vorübergehend geschlossen. Und da sich der Aufenthalt des bisher öffentlich zugänglichen Fontanes zumindest von mir nicht feststellen lässt, muss ein Besuch bei ihm wohl erstmal verschoben werden. Wenn einem die Decke dennoch mal wieder auf den Kopf fällt und man dringend der städtischen Erdrückung entkommen muss – wenn auch nur für ein oder zwei Stunden –, sollte man einen Ausflug in den Tiergarten trotz Fontanes Abwesenheit in Erwägung ziehen; immerhin mangelt es dort weiterhin nicht an kulturellem Wert und Charme. Ob Mozart, Beethoven und Haydn, Wagner, Lessing oder Goethe – das passende Ambiente zum Leseausflug ins Freie ist immer zu finden.

Fehlt dem einen oder anderen dennoch Fontane als Wegbegleiter, gibt es immer noch die Möglichkeit einfach seinen Spuren zu folgen. Freundlicherweise hat der passionierte Spaziergänger nämlich seine Route 1895 in dem Gedicht Meine Reiselust für die Nachwelt niedergeschrieben. Im Druck erschienen die Verse zuerst am 27. Mai 1928 in der Vossischen Zeitung:

[…]
Jetzt zwischen Link- und Eichhornstraße
Meß ich meine bescheidenen Maße,
Höchstens bis Königin Luise
Wag ich mich vor, umschreitend diese,
Bleib dann ein Weilchen noch in dem Bereiche
Des Floraplatzes am Goldfischteiche.
Der Wrangelbrunnen bleibt mir zur Linken,
Rechtsher seh ich Goethe winken.
Zuletzt dann vorbei an der Bismarckpforte
Kehr heim ich zu meinem alten Orte,
Zu meiner alten Dreitreppen-Klause,
Hoch im Johanniterhause. –
Schon seh ich grüßen, schon hör ich rufen –
Aber noch 75 Stufen.

(zit. n.:  Theodor Fontane. Große Brandenburger Ausgabe. Hg. v. Gotthard Erler. Gedichte. 2. Band: Einzelpublikationen, Gedichte in Prosatexten, Gedichte aus dem Nachlaß. Hg. v. Joachim Krueger u. Anita Golz. 2., durchgesehene u. erweiterte Auflage. Berlin: Aufbau 1995, S. 473-474)

Zur Statue der Königin Luise, über den Floraplatz, am Goethe-Denkmal vorbei und zurück in die Potsdamer Straße 134c, wo er bis zu seinem Tod lebte. Mit diesem Gedicht im Gepäck und Fontane auf den Fersen fühlt man sich ihm gleich ein kleines Stückchen näher und kann so sein Verschwinden beinahe schon vergessen.

 

Fotos von der Verfasserin.

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