Eins haben wir mit hoher Wahrscheinlichkeit alle gemeinsam: Veranstaltungen nahmen kaum Platz in unseren Kalendern ein. Und wie die Meisten wartete auch ich sehnsuchtsvoll auf die erste Gelegenheit, wieder etwas unternehmen zu können. Umso mehr hat es mich gefreut, als mir bei einem Spaziergang durch Potsdam ein Flyer ins Auge stach. „Hörbuch Live Theodor Fontane Lounge“ stand da. Das zog meine Aufmerksamkeit natürlich auf sich und ich beschloss: Das soll für mich die erste Veranstaltung in diesem Jahr sein!
Bereits das achte Jahr findet das Live Hörbuch Event statt. An drei verschiedenen Standorten in Potsdam – alle unter freiem Himmel – liest Michael Gerlinger von Juni bis September regelmäßig vor. Ich entscheide mich für einen Besuch am 10. Juni 2021. Pünktlich um 18 Uhr bin ich da, schließlich möchte ich nichts verpassen, der Einlass ist aber durchgehend. Zu Recht, denn bis zum Schluss werden weitere Besucher*innen des Schlossparks von der Stimme die Hebung hinauf zur Mühle gelockt.
In diesem Jahr findet die Veranstaltung, anders als in den vorigen, nicht im Café „Eden“ statt, sondern im Café „An der historischen Mühle“. Zugegeben: Für jemanden wie mich, die sich die Mühle bisher nicht von Nahem angesehen hat, ist der Veranstaltungsort etwas schwieriger zu finden. Hat man aber erstmal den Außenbereich des Cafés entdeckt, wird man mit einem atmosphärischen Anblick belohnt. Es lohnt sich also die kleine Erhöhung, auf der die Mühle steht, genauer zu erkunden. Wann wäre eine bessere Gelegenheit als dies gleich mit einem Live Hörbuch Erlebnis zu verbinden?
Kurzurlaub an der historischen Mühle
Die Gäste haben die Wahl zwischen Liegestühlen und Sitzplätzen an Tischen, die unter einem Dach von Weinreben angeordnet sind. Die kleine „Bühne“ direkt vor der Mühle besteht aus genau so einem Paar von Stuhl und Tisch. Auf diesem liegen zwischen einer Flasche Wasser, dem Mischpult und einem Blumentopf gleich zwei Stapel Bücher, die einen vielseitigen Abend versprechen. Und mit Gedanken an das auf dem Flyer angekündigten „open end“ vielleicht auch einen langen. Mit Vorfreude und einem Glas Eiskaffee lausche ich dem Beginn der Lesung.
Zu meiner Überraschung kündigt Michael Gerlinger an, dass er heute auch einen Text von Hans Fallada dabei habe, er fange aber „natürlich“ mit Theodor Fontane an. Die Zuhörer merken sofort, wenn Michas Stimme vom Erzähler zum Vorleser wechselt. Im Auszug, den wir hören, beschreibt Fontane seine Frau Emilie, ihre gemeinsame Kindheit und beginnende Liebe. Im Rücken das Schloss Sanssouci, vor sich einen Vorleser, der mit geübter Stimme seine Zuhörer*innen in den Bann zieht. Die Umgebung gepaart mit dem Vogelgezwitscher und sanft rauschendem Wind im Hintergrund erwecken den Eindruck einer Märchenstunde. Insbesondere, wenn Micha vorliest, wie Theodor die junge Emilie als Aschenputtel beschreibt, die auf ihren Prinzen warte. Und mit ihm vorlieb nehme.
Aufgepasst, jetzt wird es witzig. Mit ähnlichen Worten kündigt Michael Gerlinger den nächsten Text an und so wie er lacht, glaubt man es ihm sofort. Theodor Fontane sei nämlich Hypochonder gewesen, etwas, das er mit einigen seiner Figuren gemeinsam habe. Und Micha hat nicht zu viel versprochen. Das Highlight des Abends, wie ich nach der Lesung auch von anderen Gästen vernehme, war „Onkel Dodo“. Hier geht Michael Gerlinger in den Rollen auf. Ob Onkel Dodo oder dem Ich-Erzähler – beide auf ihre Art verschroben – nicht nur mit dem Klang seiner Stimme, sondern auch über Mimik und Gestik werden die Figuren und die Erzählung lebendig.
Gerade das macht das Erlebnis einer Live Lesung im Gegensatz zu einem Hörbuch aus. Man kann sich zurücklehnen, die Augen schließen und in die Erzählungen fallen lassen. Oder sich gebannt nach vorne lehnen und wird vom Aufführenden mit in die Geschichte gerissen. Außerdem: Das Ende der Lesung muss nicht das Ende des Abends sein. Alle Gäste sind eingeladen, weiterhin im Café zu verweilen und sich über Fontane und die Welt zu unterhalten. So komme auch ich mit dem Vorleser, der sich als Micha vorstellt, ins Gespräch, was – gerade zu diesen Zeiten – eine schöne Abwechslung ist.
Fontane Sommer
Wer nun interessiert ist, sich auf akustische Reise in Fontanes Werke zu begeben, hat dazu noch an vielen weiteren Terminen die Gelegenheit. Tagesaktuelle Infos zu der Veranstaltung findet man auf dem Instagramprofil derkunstgerlinger.
Auch ein zweiter oder dritter Besuch lohnt sich, denn bei jeder Lesung erwarten einen neue Texte. Michael Gerlinger setzt dabei keine Grenzen, neben Erzählungen und Gedichten kündigt er an, auch Theaterkritiken Fontanes vorlesen zu wollen. Außerdem arbeite er an einer Vertonung von „Es kann die Ehre dieser Welt“. Besonders hervorzuheben ist die Veranstaltung am 23. Juni, bei der Michael Gerlinger mit seiner Kollegin Stella Adorf gemeinsam aus Fontanes Werken, wie L’Adultera und Grete Minde, vorliest.
Café „An der historischen Mühle“: 24. Juni ⎪ 29. Juli ⎪12. / 19. / 26. August ⎪ 02. / 16. September
Freilichtbühne Freundschaftsinsel: 23. Juni ⎪ 28. Juli ⎪ 11. / 25. August ⎪ 8. September
Alexandrowka Garten des Museumscafés: 10. September 2021
Fotos von der Verfasserin