„Fontanes Geburtstag“ 2021 in Neuruppin

Die Stadt hatte sich Gutes überlegt: Sie koppelte den diesjährigen „Geburtstag“ Theodor Fontanes mit der festlichen Verleihung des Fontane-Kulturpreises in der dafür so trefflich geeigneten Pfarrkirche. In diesem Jahr ging die Ehrung an den japanischen Dirigenten des Brandenburgischen Staatsorchesters Takao Ukigaya und das Ehepaar Dres. Almut und Karl-Heinz Götz für ihr mustergültiges Engagement in der märkischen Kulturregion. Dem Festakt voraus ging das traditionelle Treffen am Denkmal Fontanes an verkehrsbewegtem Ort. Das müsste nicht erwähnt werden, wenn es nicht der kleiner Gedenkveranstaltung ihr eigenes Gepräge gegeben hätte. Nachdem Bürgermeister Nico Ruhle die ca. 70-80 Versammelten freundlich begrüßt hatte und Roland Berbig ans Mikrophon bat, verweigerte das nach ein paar Sätzen seinen Dienst. Die Batterien waren ausgepowert, Techniker und Kulturreferent senkten betrübt die Köpfe – und der Redner musste, wohl oder übel, aber allemal heiter wie schicksalsergeben, im Nieselregen seine stimmliche Kraft gegen den Feierabendverkehr an der Kreuzung mobilisieren. Da die den Wettstreit wenn auch nicht widerstandlos verlor, hier im Blog der kleine Text zum Nachlesen:

Neuruppin, 30. Dezember 2021 – Ansprache am Fontane-Denkmal

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

zu Fontanes Zeiten war es nicht unüblich, dass man anlässlich eines „Geburtstages“ kleinere Festspiele verfasste und zur Aufführung brachte – oder, zuweilen, auch und kräftig drauflos toastete: also Verse auf das Wiegenfest schmiedete. Das war für das Geburtstagskind nicht immer ganz leicht zu ertragen und gute Miene zu argem Spiel vonnöten. Fontane galt im Freundeskreis als Virtuose auf diesem halbliterarischen Terrain, und er sah keinerlei Anlass, diese Seite seiner Schreibbegabung gering zu achten, ganz im Gegenteil. Sie brachte Augenblicksapplaus, und glückte, was da aufs Papier kam, dann zögerte er nicht, jene Verse gedruckt seinem lyrischen Werk beizufügen.

Zweihundert Jahre, daß wir hier zu Land
Ein Obdach fanden, Freistatt für den Glauben,
Und Zuflucht vor Bedrängnis der Gewissen.
Ein hochgemuter Fürst, so frei wie fromm,
Empfing uns hier, und wie der Fürst des Landes
Empfing uns auch sein Volk. Kein Neid ward wach,
Nicht Eifersucht, – man öffnete das Tor uns
Und hieß als Glaubensbrüder uns willkommen.
Land-Fremde waren wir, nicht Herzens-Fremde.
[…]

Das ist der Auftakt zum Prolog, den Fontane anlässlich der Feier zum 200-jährigen Bestehen der Französischen Kolonie 1885 dichtete. Der – ihn hier nur als Beispiel – hatte es in sich und war bedenkenswert allemal.

Die Versuchung, Fontane in dieser gutbürgerlich-literarischen Alltagspraxis des Feierns zu folgen, ist groß, das Vermögen, mitzuhalten, gering. Indes: Der Versfuß wird in diese Gattung nicht zu gnadenlos ausgezählt, und das Metrum gnädig gemessen. Auch ein Festspiel ließe sich für das zurück- und vor dem „Geburtstägler“ Fontane, wie es im 19. Jahrhundert hieß, liegende Jahr unschwer denken. Da könnte Altbürgermeister Jens-Peter Ritter zu Golde noch einmal auf die Bühne seiner geschätzten Stadt, die ihm viel verdankt, treten – das Stadtwappen auf der Brust und den Rathausschlüssel in der Hand –, um seinem Nachfolger Nico Freiherr zur Ruhle ein fröhliches Willkommen zuzurufen. Und weil ihm der Schalk im Nacken sitzt, ritte ihn vielleicht der Übermutsteufel, der ihn weithin schmettern ließe: „Freund, der Du folgest meinen Fußstapfen, halt inne. Denn niemand, so gilt’s seit eh, der nicht seinen Fontane kennet, sei’s gestattet, dass er geschäftig durch Fontanes Stätte rennet! Wer das Regierungszepter will schwingen, er muss des Meisters Verse singen!“ Da wir in der hintersten Reihe sitzen, sehen wir nicht gleich, ob der so Empfangene vor Schrecken erbleicht, und hören nicht, ob er, heiter-gelassen, ein „Wohl denn, so fraget!“ repliziert. Doch stellen wir uns auf die Zehenspitzen und erkennen gleich, ah ja, der wackere altbewährte Freund der Theodor Fontane Gesellschaft Ritter Golde blickt hinüber zur Geschäftsstelle: Sie ist, wie anders, trefflich besetzt, sogar der Chef ist vor Ort. Es kann losgehen! Ganz des Gleichen die schwungvolle Reaktion des so überraschend auf die Fontane-Schulbank verwiesenen Freiherr Ruhle. Doch als der ein beruhigendes Winken sieht und ein angedeutetes Ermutigungszeichen vom Alten Gymnasium erhält, strafft er seinen jugendlichen Körper ––– und so fort.

Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, so ließe sich das flott weiter fabulieren, und leicht fände sich allerhand Lustiges, das niemanden vorführt, keinen verletzt und in einer unbestrittenen und unbestreitbaren Botschaft gipfelte: Lest Theodor Fontane! Doch unsere Gemüter sind anders gestimmt. Wir sind erschöpft. Das Ungeheuer „Corona“ in seiner Delta-Variante hat mehr Schlagkraft, als die pharmazeutischen Widerstandslabore ihr entgegenzusetzen vermögen. Unser Glaube an ein Wunder schwindet, der böse Traum einer dunklen Nacht, er tritt wieder und wieder in den Tag und verdunkelt ihn. Ja, sogar unser Gewährsmann und Geburtsortler Fontane, der doch für jede, selbst die miserabelste Situation ein aufmunterndes, wenn nicht witziges Wort hat, scheint auf seiner Denkmalsbank gebannt und in unergründlicher Ferne nach Hoffnungsstiftendem zu suchen. Über die Impflaune Fontanes weiß ich nichts zu sagen, aber viel jenen, die in ihrer gefährlichen und gefährdenden Unlust Tugendhaftes und Vernünftiges sehen.

Nun denken Sie, jetzt bläst auch der noch Trübsal und in ein Horn, das von allen Dächern und Türmen dröhnt. Hat er nicht Fröhliches, Zuversichtliches zu bieten? Recht haben Sie – und recht so, möchte ich Ihnen zurufen. Und während ich Ihnen das zurufe, stellen sich sogleich Bilder aus dem zurückliegenden Jahr ein, die unseren Fontane in Ihrer Stadt und die Theodor Fontane Gesellschaft regional und überregional aktiv zeigen. Seien es die kulturell und kommerziell erfolgreichen Fontane Festspiele, für die ich mir nach wie vor eine bessere Zusammenarbeit mit unserer Gesellschaft vorstellen kann (und nicht müde werde, sie anzubieten) oder sei es die Fontane-Sektion der Stadt Neuruppin. Sie ist über Jahr und Tag erinnerungsreich durch das Engagement von Ilona Kolar geprägt worden. Dafür einen ganz besonderen Dank! Frau Kolar legt nun ihr Amt nieder, wir sind betrübt und hoffen sehr auf eine Nachfolge von ähnlichem Format. Eine Fünklein glimmt schon … Das wäre schön. Der Schüler:innen-Schreibwettbewerb stiftete Gemeinsames, die Künstlerin Annett Glöckner traf sich mit unserem französischen Mitglied, der Malerin Gwenn Audic, um etwas performativ Fontane‘sches auszuhecken, und das absolut harmonische Zusammenwirken in der Jury für den Fontane-Preis Ihrer Stadt führte zu einer Wahl, die besser gar nicht sein konnte: Judith Zander. Zu den schönsten Momenten des vergangenen Jahres gehörte für viele von uns und für mich die Verleihungsfeier in der Kulturkirche mit einer großen Rede der Preisträgerin. Wer dabei sein konnte, dem wird das Lebensfrohe dieses spätsommerlichen Abends unvergessen bleiben.

Und lassen Sie mich noch etwas an diesem Tage, dem 202. Geburtstag von Theodor Fontane, aussprechen, etwas, das mir besondere Freude war. Es ist unserer Gesellschaft gelungen, Mittel für einen Fontane-Podcast einzuwerben. Hier in der Geschäftsstelle wird er gerade ‚zusammengebastelt‘. Doch das wäre der Hervorhebung nicht gleich wert. Wert mitgeteilt zu werden ist allerdings, dass ein junger Musiker und Komponist aus Ihrer Stadt einen dieser entstehenden Podcasts gestaltet: Francesco Paolo Leonardo La Barbera. Seine Komposition, deren Aufführung und ein Gespräch mit ihm – das wird Spannendes, Sie dürfen sich darauf freuen. Wie auf die entstehenden Podcasts überhaupt!

Damit genug – fast. Ich habe in Ihren Augen gesehen, dass Sie doch noch ein Wort von Fontane selbst hören wollen: vielleicht sogar etwas Überraschendes, kein Zitat, das Sie schon, tausendmal gehört oder gelesen, leise mitflüstern können. In seinem Nachlass hat sich etwas sehr Kurioses erhalten. Überschrieben ist es mit „Retrorsum“. Der welfische Wahlspruch lautet vollständig „Nunquam retrorsum (lat.: „Niemals zurück“). Fontanes Notiz nun bezieht sich auf Aussagen zum Goldenen Zeitalter, das keine Not mehr kenne und in dem alle eine Art von Tabaksdose mit Tasten, Drücker und Knöpfen in der Tasche habe. Daneben reimte er sich ein paar Verschen.

Hören Sie selbst:

So geht es los,
Und man hat alles ganz famos.
Druck links gibt eine Butterstullle,
Druck auf rechts gibt eine Gilkapulle,

Druck oben, und du siehst Spargel sprießen,
Druck unten, euch soll Tokaier fließen,
Druck links Kotelett aus der Kasserolle,
Druck rechts ein Liter wie von Bolle,

Druck links auf eine Schatulle
Gibt ‘ne Schinken- und Käse-Stulle.

Das, schob er dann ein, sei noch weiter auszuführen, um zum Abschluss dies zu schreiben:

Abstirbt uns das alte liebe Vieh,
Es wächst nur Weisheit und Anämie,
Gott, führe zurück uns die Patriarchen
Und laß uns wieder schwitzen und schnarchen.

Sie lächeln? So soll es sein – und nichts verkleinern. Vor allem aber soll das Fontane-Gespräch zwischen uns bleiben und die vielen Verbindungsfäden, die die Geschichte der zurückliegenden Jahre geknüpft hat. Aber halt, was seh‘ ich? Da stehen, freundlich vereint, Ritter von der Golde und Freiherr zur Ruhle beisammen und deklamieren: „Und kommt ein Jung‘ übern Kirchhof her, / So flüstert’s im Baume: »Wiste ’ne Beer?« / Und kommt ein Mädel, so flüstert’s: »Lütt Dirn, / Kumm man röwer, ick gew‘ di ’ne Birn.«

Gesundheit Ihnen, uns und alles Glück, ohne das es nicht abgeht – und ein entspannteres Wiedersehen 2022. Darauf einen großen Punsch, diesmal (noch) daheim!“

Die märkische Presse hat das Ganze nicht unfreundlich aufgenommen. Und vermutlich sind es gerade solche Ereignisse, die im Gedächtnis haften bleiben. Den Redner jedenfalls, als er seinen Weg Richtung Pfarrkirche antrat, begleitete das Amüsement, wie im Zeitalter des Digitalen Analoges doch nicht ganz seinen Wert verliert. Unnötig zu sagen, dass dann in der Pfarrkirche alles perfekt funktionierte – und Fontane-vertraute Freundlichkeit die Regie führte. Die Preisträger/in waren bravourös ausgewählt, die Jury-Vorsitzende, Chorleiterin Ulrike Schubach, begründete die Entscheidungen in leichten und schönen Formulierungen, und die beiden Laudatoren – Altbürgermeister Otto Theel und Bauderzenent Arne Krohn – porträtierten auf je unverwechselbare Weise die Ausgezeichneten. Der Jury, dies am Rande, gehörte auch die Leiterin der Geschäftsstelle der Theodor Fontane Gesellschaft, Vanessa Brandes, an. Dass das Ganze von Melanie Barth (Akkordeon) und Olaf Mücke (Gitarre) nachgerade traumwandlerisch sicher musikalisch gerahmt war, freute gewiss nicht nur den Denkmalsredner, der gerade noch rechtzeitig seinen Zug nach Berlin erreichte. Fontane und Neuruppin: Das lohnt immer und in jeder Hinsicht.

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