Fontanes Portrait der „sehr merkwürdigen“ Frauen von Friedland

Menschen, die aus der Rolle fallen, erregen meine Aufmerksamkeit. So stolperte ich bei der Lektüre von Evke Rulffes Buch Die Erfindung der Hausfrau. Geschichte einer Entwertung, in dem sie anhand der sogenannten Hausväterliteratur die ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen untersucht, die dazu beigetragen haben, dass aus der Vorsteherin des Hauses mit Schlüssel- und Finanzgewalt eine ihrem Ehemann in allen Belangen untergeordnete Hausfrau wurde, über folgende Passage:

Dabei gab es in Brandenburg Ende des 18. Jahrhunderts mehr Gutsbesitzerinnen als Gutsbesitzer, die ihren eigenen Hof führten […]. Darunter waren die sogenannten ‚Frauen von Friedland‘, zwei agrarreformerisch sehr engagierte Gutsbesitzerinnen, die auch mit Albrecht Thaer in regem Austausch standen. Helene Charlotte von Lestwitz (geschieden, nicht verwitwet) und ihre Tochter Henriette Charlotte von Itzenplitz galten in zeitgenössischen Erwähnungen als Ausnahmeerscheinungen und wurden mit Männern verglichen, da sie in Männerkleidung über ihre Ländereien ritten und sich auch sonst nicht viel aus gesellschaftlichen Vorschriften machten. (S. 78)

Der Nachsatz – „Über die Frauen von Friedland und ihre Rolle bei den Agrarreformen ist hingegen bis heute wenig bekannt.“ (S. 79) – tat meiner Neugierde glücklicherweise keinen Abbruch. Über die beiden Frauen selbst ist sogar einiges zu finden, wie ich feststellte. Google schickte mich u. a. zu Wikipedia – und hier spannt sich nun endlich der Bogen zu Fontane. Denn dort fand ich unter ‚Literatur‘ den Hinweis auf das Kapitel Cunersdorf/Frau von Friedland in Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg/Band Oderland.[1]

Fontane widmet den beiden Frauen jeweils eigene Kapitel und führt sie in Zusammenhang mit dem Ort Cunersdorf (zwischen Wriezen und Seelow gelegen) als Sprösslinge des brandenburgisch-preußischen Adels ein. Die Mutter Helene Charlotte von Lestwitz beschreibt er als „eine seltene und ganz eminente“, ja als „ausgezeichnete Frau“ (S. 155). 1754 wurde sie als einziges Kind des Generalmajors Hans Sigismund von Lestwitz geboren. Weil der in der Schlacht bei Torgau militärisches Durchhaltevermögen gezeigt und sich Friedrich dem Großen gegenüber als loyal erwiesen hatte, verlieh dieser ihm die Herrschaft über das Amt Friedland. Offenbar hatte der Alte Fritz sich aber nicht deutlich artikuliert, so dass Lestwitz unklar war, ob Friedland nach seinem Tod wieder an den König fallen würde. Um seine Tochter versorgt zu wissen, kaufte er deswegen zusätzlich das Gut Cunersdorf.

Helene Charlotte heiratete knapp 17-jährig den zu diesem Zeitpunkt Königlichen Gesandten in Dresden, Adrian Heinrich von Borcke. Dieser aber betrog seine Frau, so dass die Ehe schon ein Jahr später, 1772, geschieden wurde. Kurz vorher war die Tochter Henriette Charlotte geboren worden. Helene Charlotte, nun alleinerziehend, kehrte zurück nach Cunersdorf und nahm mit der Zustimmung des Königs den Namen Frau von Friedland an. Fontane fasst die Jahre bis zum Tod ihres Vaters 1788 in folgendem Satz zusammen: „[Sie] lebte daselbst ausschließlich der Erziehung ihrer Tochter und der Ausbildung ihres eigenen Geistes“ (S. 155).

Bis hierhin scheint mir der Lebensweg für eine adlige Gutsbesitzertochter im 18. Jahrhundert nicht ungewöhnlich. Weshalb sie von ihren Zeitgenossen als „sehr merkwürdig […]“ bezeichnet wurde, ist wohl mit ihrem Wirken nach dem Tod des Vaters zu erklären. Sie trat sein Erbe an und nahm die Verwaltung der beiden Güter (Friedland fiel nicht an Friedrich den Großen zurück) selbst in die Hand. Sie begriff sofort, dass sie, um erfolgreich wirtschaften zu können, in moderne, fortschrittliche Agrarmethoden investieren musste. Also „verkaufte sie ihren Schmuck und ihre Juwelen“ (S. 155). Sie bildete ihre Bauern selbst aus, galt als „höchst geistreiche und in allen Dingen unterrichtete Frau“ (S. 155). Neben der Landwirtschaft betrieb sie mehrere Branntweinbrennereien, Brauereien und Mühlen.

Helene Charlotte von Lestwitz, genannt von Friedland, um 1800; Rochow-Museum Reckahn, Foto: Gregor Rom, CC BY-SA 4.0

Aber sie fiel in ihrem Auftreten auch aus der Rolle, die für sie als Frau vorgesehen war: Sie trug offenbar wenig weiblich anmutende Kleidung. Die von ihr erhaltenen Portraits zeigen eine kurzhaarige Person mit männlich konnotierten Gesichtszügen. Es wurde über sie erzählt, sie ritte ständig auf den Feldern umher, um alles zu überprüfen, und treibe dabei die Bauern mit einer Peitsche an. Ersteres, lässt Fontane ihren Nachbarn General von der Marwitz auf Friedersdorf verlauten, sei wahr, Zweiteres sei gelogen (vgl. S. 155). Sie habe – im Gegenteil – nicht nur den agrarischen Fortschritt im Sinne gehabt, sondern auch sozial verantwortlich gehandelt, bezeugte der Begründer der modernen Agrarwissenschaften Albrecht Daniel Thaer, mit dem sie in engem Kontakt stand.

Henriette von Itzenplitz, Lithographie Foto: Chamisso Museum

Die Tochter Henriette Charlotte hatte „den Geist ihrer Mutter geerbt“ (S. 158), wie Fontane es ausdrückt. Im Gegensatz zu ihr führte sie aber eine glückliche Ehe mit ihrem Mann Peter Alexander von Itzenplitz, einem Kriegs- und Domänenrat. Mit ihm reiste sie u. a. nach England und berichtete ihrer Mutter von der dortigen fortschrittlichen Landwirtschaft. Nach dem Tod ihrer Mutter 1803 führte sie die geerbten Güter nicht nur in deren Sinne weiter. Unter ihrer Regie entwickelte sich Schloss Cunersdorf auch zu einem beachteten Salon, in dem u. a. Wissenschaftler wie die Humboldt-Brüder Alexander und Wilhelm, der Verleger Friedrich Nicolai oder der Dichter Adelbert von Chamisso, der hier sein Märchen Peter Schlemihls wundersame Geschichte schrieb, zu Gast waren. Der Aufenthalt von Chamisso im Sommer 1813 in Cunersdorf nimmt übrigens auch in Fontanes Schilderungen einige Absätze in Anspruch.

Die Frauen von Friedland waren zwei eigensinnige, gebildete und überaus tatkräftige Frauen, die heute – so wage ich zu behaupten – weitgehend unbekannt sind. Das haben sie nicht verdient! Also: Lesen Sie über die beiden bei Fontane! Und wer danach mehr wissen will, dem sei noch die Folge Agrarreform im Doppelpack – Die Frauen von Friedland aus der Podcastreihe Clever Girls – rebellisch, feministisch, wegweisend von rbbKultur empfohlen.

 

[1] Folgende Zitate aus: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Das Oderland. Nymphenburger, München: 1994.

One comment

  1. Prof. Dr. Brigitte Meier says:

    Hallo Maria Döring! Ohne Frage sind Mutter und Tochter bemerkenswerte Frauen gewesen und sie verdienen es, dass immer wieder an sie gedacht wird.
    In der Forschung der Salonkultur in der Mark Brandenburg spielen sie seit langem eine große Rolle. Dafür haben neben Günter de Bruyn auch sein Sohn Wolfgang de Bruyn gemeinsam mit Reinhard Blänkner in „Salons und Musenhöfe“. Neuständische Geselligkeit in Berlin und in der Mark Brandenburg um 1800. Werhahn Verlag 2009 gesorgt. Tagungen und Ausstellungen wurden organisiert.
    Dennoch gebe ich ihnen Recht, die ländlichen und städischen Musenhöfe sollten in unserem Blickfeld bleiben. Sind die Feste im Hause von Alexander Genz gar eine Fortsetzung dieser ländlichen Salontradition? (Kulturmetropolen – Metropolenkultur. die Stadt als Kommunikationsraum im 18. Jahrhundert, Berlin 2002)
    Weiterhin gutes Schaffen wünscht Ihnen
    Brigitte Meier

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