Der Nordlandsmensch im Süden Europas. Theodor Fontanes Reisen nach Italien

Fontane in Italien? Der Theodor Fontane, der für seine Beschreibungen der Mark Brandenburg bekannt ist und eher als anglophiler Mensch beschrieben werden würde?

Ebendieser Theodor Fontane hat sich die Möglichkeit nicht nehmen lassen, nicht nur einmal sondern zweimal das Land im Süden Europas, das mittlerweile unter anderem für seine kulinarischen Köstlichkeiten geliebt und berühmt ist, zu besuchen.

Der Germanist Dieter Richter hat sich der Thematik rund um Fontanes Italienreisen in dem Buch Fontane in Italien (zit. nach dieser Ausgabe) angenommen. Er beschreibt die beiden Reisen Fontanes und gibt einen guten Einblick in die Erlebnisse, unter anderem mit Notizen von Theodor und Emilie Fontane. Einige dieser Einblicke habe ich aufgegriffen und in diesem Artikel zusammengestellt.

Italien. Romam quaero

Italien wurde besonders in den Gründerjahren ein immer beliebteres Ziel, auch vieler deutscher Menschen. Romam quaero (Rom ist es, was ich suche!) ist das von Karl Philipp Moritz 1792 beschriebene Motto des Reisens nach Italien. Laut Richter wurde dieses durch Verkehrsmittel wie beispielsweise die Eisenbahn schneller und komfortabler und damit für mehr Menschen immer attraktiver. Das „Moderne Reisen“, so beschrieb und kritisierte es Theodor Fontane. „Alle Welt reist“ beschwerte er sich in einem von ihm verfassten Essay im Jahre 1873. Es sind nicht mehr nur Individuen, sondern mittlerweile ganze Gruppen, die neue Orte entdecken. Es sei ein „falsches“ Reisen, welches sich durch Oberflächlichkeit, Massenhaftigkeit und Schnelligkeit auszeichnet.

So sehr Fontane diesen neuen Massentourismus auch kritisieren mag, so sehr ist er selbst doch Teil von ihm, folgert Richter. Er thematisiert das Reisen und die unterschiedlichen Verkehrsmittel und Orte nicht nur in seinen literarischen Werken (dazu später mehr), sondern praktiziert auch selber organisierte Gruppenreisen wie 1844 nach England.

Die Magnetnadel seiner Natur zeigt nach Norden

Dass Fontane ausgerechnet Italien als Ziel auswählt, liegt gar nicht mal so nahe, wenn man bedenkt, dass er eigentlich ein großer Englandliebhaber war. Neben einigen Reisen, die er dorthin gemacht hat, lebte er für vier Jahre auf der Insel, um dort als Presse-Korrespondent in London zu arbeiten. (Vgl. S. 25) Selbst wenn nun Fontanes Herz für England und generell für den Norden geschlagen hat, gehörte es (soweit finanziell möglich) dazu, zumindest einmal im Leben Italien gesehen zu haben. Im September 1874 ging es daher für Theodor Fontane und seine Frau Emilie nach Italien. Ob Emilie einverstanden beziehungsweise glücklich über diesen Entschluss ihres Mannes war, lässt sich nur erahnen, denn Widerspruch war zwecklos in diesem Fall. Fontane schrieb in einem Brief an Emilie:

Ich rechne auf Deine Zustimmung und während der Reise selbst auf Deine Entschlossenheit und gute Laune. […] Ich rechne also auf Dein Ja-Wort, wie am Altar. (S. 28)

Ich bin sick of it

S. 68

Dieter Richter thematisiert Emilie Fontane als Begleiterin Theodor Fontanes auf dieser Italienreise und ist meiner Meinung nach einer Erwähnung wert in diesem Kapitel! Angefangen bei der geringen Entscheidungskraft, die ihr bezüglich des Antrittes dieser Reise gelassen wurde, lässt sich auch anzweifeln, wie viel Vergnügen ihr diese wirklich beschert hat. Von einem entspannten Urlaub, in dem man sich die Sehenswürdigkeiten des Landes anschaut, war diese Fahrt weit entfernt. Vielleicht war es auch nicht der Anspruch der Fontanes, dennoch erscheint es eher ungewöhnlich das Wort „Arbeit“ im Zusammenhang mit einer Reise zu verwenden. Genau dies tut Emilie jedoch an einer Stelle in ihrem Tagebuch, welches sie, genauso wie Theodor Fontane, die ganze Zeit über pflegt.

Einmal, am Abend des 22. Oktober 1874, notiert Emilie Fontane in Rom in ihrem Tagebuch zum Start in den Tag: „Früher wie sonst an die Arbeit: nach den Kaiserpalästen“ – und das Wort „Arbeit“ hat sie dabei nicht einmal in Anführungsstriche gesetzt. Denn genauso war es ja, ihre Besichtigungstour war Arbeit, körperliche und geistige. (S. 55)

Vor allem geistig schien diese Reise Emilie viel abverlangt zu haben. Dauerhaft musste sie mit dem Wissen ihres Mannes mithalten, der neben vielen anderen Themen auch in der italienischen Kunst sehr belesen war.

Die Besichtigungen strengen sie an, sie glaubt wohl auch, dass sie auf diesem Gebiet mit ihrem Mann nicht mithalten könne, und so bricht es schon in Florenz am Abend vor der Abreise nach Rom wie ein Notschrei und auf gut berlinerisch aus ihr heraus: „Eigentlich ginge ich nun gern wieder ein bisschen ‚heeme‘, denn mein armer Grips reicht nirgends aus.“ (S. 69)

Seine Überlegenheit an dieser Stelle zeigt Fontane beispielsweise, indem er die von Emilie in ihrem Tagebuch falsch geschriebenen Namen der Künstler:innen durchstreicht und die richtigen Namen drüber schreibt. Er korrigiert Emilie Fontane also nicht nur, sondern liest auch ihr Tagebuch. Interessant.

Fontanes Reiseerlebnisse in seinen Werken

Neben vielen neuen Eindrücken hat Fontane durch seine Reisen auch Ideen für sein literarisches Schaffen sammeln können.

Sei es die Thematisierung der Beziehung von Emilie und Theodor Fontane, die sich in Effi Briest wiederfindet oder auch einfach Erkenntnisse, die er durch seine Reisen erhalten hat. In den Wanderungen durch die Mark Brandenburg verwandt er als Einleitungssatz: „Erst die Fremde lehrt uns, was wir an der Heimat besitzen“. Diese Erkenntnis erhielt er sicher nicht nur durch seine beiden Italienreisen 1874 und 1875, aber doch durch die Summe aller Reisen, die ihm über die Zeit möglich waren zu machen.

Besonderheiten seiner Ehe, Reibereien zwischen ihm und seiner Ehefrau Emilie, die sich unter anderem auf der Italienreise zeigten, greift Fontane in seinen Werken auf. In den Flitterwochen in Effi Briest beispielsweise zeigen sich Parallelen zu den Museumsbesuchen von Fontane und seiner Frau:

Er nötigt Effi, das Pflichtprogram des kunstbeflissenen Italienreisenden zu absolvieren (wie es auch der Autor selbst absolviert hat), hetzt sie durch die berühmten Galerien und Kirchen, schüchtert sie mit seinem Bildungswissen ein. (S. 89)

Wenn man das liest, muss man unwillkürlich an die Tagebucheinträge von Emilie Fontane denken, in denen sie einen Museumsbesuch nach dem anderen schildert und sich von Theodor Fontane und seinem umfangreichen Kunstwissen oft unter Druck gesetzt fühlt.

Auch wenn Fontane ein Mensch des Nordens blieb und nie völlig die Bewunderung für Italien nachvollziehen beziehungsweise empfinden konnte, hat ihm die Reise ebendiese, vielleicht wichtigste, Erkenntnis gebracht:

[…] Und ihr biographischer Ertrag ist das Erlebnis der Selbstfindung aber nicht in aneignender Identifikation mit Italien, sondern in kritischer Abgrenzung. „Ich komme preußischer zurück denn je“, schrieb er in einem Brief am Ende der Reise. […] Die Reise in den Süden war die Kontrasterfahrung, die ihn zu sich selber brachte. Auch Fontane musste durch Italien hindurch nach Deutschland finden. (S. 82)

 

Dieter Richter: Fontane in Italien. Mit zwei Stadtbeschreibungen aus dem Nachlass. Berlin: Wagenbach 2019. [144 Seiten. Rotes Leinen. Fadengeheftet. Gebunden mit Schildchen und Prägung – ISBN 978-3-8031-1348-1]

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