Angezeigt: Fontanes Übersetzung von Cathrine Gores Roman „Der Geldverleiher“

Am 22. Februar 1851 schrieb Theodor Fontane an Wilhelm Wolfssohn folgendes:

Was die englischen Frauen angeht, so weiß ich von ihnen soviel wie von den Patagoniern, die groß sein, oder von den Karaiben, die Menschenfleisch fressen sollen. Der Umstand, daß ich in London drei alte Weiber kennen gelernt und in Deutschland einen dicken Roman von der Mrs. Gowe [Gore] übersetzt habe, berechtigt mich unmöglich, dem schönen Geschlechte Alt-Englands im deutschen Museum klarzumachen, wie’s eigentlich mit ihm steht. (Der Dichter über sein Werk, Bd. 2, S. 748)

Ungeachtet der Kontexte, die diesen Brief begleiten und sicherlich mehrere Blogartikel rechtfertigen würden, verbinden sich hier zwei Personen: zum einen der Empfänger Wilhelm Wolfssohn, zum anderen die explizit angesprochene Romanautorin Cathrine Gore.

Beide führt Iwan Michelangelo D’Aprile in seiner Einleitung zu Fontanes Übersetzung von Cathrine Gores Roman eng, die 2021 unter dem Titel Der Geldverleiher. Ein viktorianischer Roman zum ersten Mal erschienen ist (Nummer 441 der Reihe Die Andere Bibliothek des Aufbau Verlages).

Darin wird aus der Perspektive des Garde-Offiziers Basil Annesley die Geschichte vom Geldverleiher Abednego Osalez erzählt. Ort des Erzählens ist London, das panoramatisch ausgeleuchtet wird – von Stadtvillen, Herzogen und deren unfassbarem Reichtum zu Spielsalons, Gefängnissen und Elendsvierteln. D’Aprile bezeichnet Gores Roman treffend als „literarische Stellungnahme gegen den (nicht nur) britischen Adels-Antisemitismus“. Der Text zeige überdies die Entstehung von Vorurteilen aus der „untrennbare[n] Gemengelage“ von „religiöse[m] Fanatismus“ und „eine[r] auf Erbschaft und Geburt basierende[n] proto-rassistische[n] Ideologie“ (D’Aprile, Einleitung, S. 13) auf.

Der Antisemitismus ist es nun, der Wolfssohn ins Interessenfeld rückt. D’April schreibt:

Als er [Fontane] den Gore-Roman entdeckte, beschäftigte ihn das Antisemitismus-Thema auch persönlich: Sein wichtigster Freund und erster literarischer Förderer, der russisch-jüdische Autor und Mitglied des „Herwegh-Klubs“ Wilhelm Wolfssohn war in seiner Liebe zu der protestantischen Tischlertochter Emilie Gey ähnlichen Beschränkungen und Diskriminierungen wie Abednego Osalez ausgesetzt, bevor er sie in der kurzen Phase der liberalisierten Gesetzgebung der Revolutionszeit 1848/49 endlich heiraten konnte. (D’Aprile, Einleitung, S. 20)

Dieses private Thema dürfte Fontanes Engagement, bereits 1842 den über 400 Seiten starken Roman zu übersetzen, mitbegründen – seine mit Abstand größte Übersetzung neben einer Hamlet Übertragung und Nachdichtungen von englischer Arbeiterlyrik und Balladen. Darüber hinaus zeigt sich Fontane für D’Aprile hier als „der spätere Medienprofi, der er nach seinem Berufswechsel vom Apotheker zum politischen Journalisten in seinem 30. Lebensjahr werden sollte.“ Denn Fontane war

auf dem stark umkämpften Markt literarischer Übersetzungen um Jahre schneller als das Konkurrenzunternehmen der Stuttgarter Franckhe’schen Buchhandlung, die unter Leitung von Ludwig Hauff 1846 die Buchfassung von Gores Roman in einer deutschen Übersetzung publizierte. (D’Aprile, Einleitung, S. 19)

Mit dem letzten Punkt verweist D’Aprile in seiner „kenntnisreiche[n]“ und „lesenswerte[n]“ Einleitung – womit Klaus Peter Möller (S. 161) nur zugestimmt werden kann – auf die Text- und Übersetzungsgeschichte des Geldverleihers. Gore hatte ihren Roman erstmals 1842 im Tait’s Edinburgh Magazin (als Zeitschriftenserie von März bis Dezember) veröffentlicht. 1843 erschien dann bei Henry Colburn in London die umfassend ergänzte Buchausgabe. Dies ist deshalb wichtig zu erwähnen, da Fontane die Zeitschriftenausgabe übersetzte, der aufgerufene Ludwig Hauff hingegen die Buchausgabe.

Inwieweit ein Vergleich der beiden Übersetzungen bei diesen unterschiedlichen Voraussetzungen möglich ist, sei hiermit zumindest angemerkt. Sowohl D’Aprile –

Auch sprachlich und stilistisch kommt seine [Fontanes] schwungvolle Übertragung dem Ton der Unterhaltungsautorin um Längen näher als die hölzerne Wort-für-Wort-Übersetzung der Stuttgarter Übersetzungsfabrik [Hauff]. (D’Aprile, Einleitung, S. 19) –

als auch Möller –

Fontanes Übersetzung ist eine beachtliche Leistung, die das feine Gespür des jungen Dichters für beide Sprachen erkennen lässt. […] Auch für regional-dialektale, gruppensprachliche oder manierierte Redeweisen von Figuren fand Fontane bemerkenswerte deutsche Entsprechungen. (Möller, S. 163) –

bevorzugen Fontanes Übersetzung gegenüber der von Hauff. Dies kann jedoch – vor allem am letzten Aspekt, den Möller anspricht – im Sinne von Henri Meschonnics Übersetzungstheorie kritisch hinterfragt werden. Meschonnic (Sprachtheoretiker, Übersetzer und Lyriker) plädiert in seiner Theorie, sich an den Rhythmus des Originals zu halten, um das Werk nicht zu „entliterarisieren“, wie er es nennt. Im Bezug auf „gewöhnliche“ Übersetzungen, die sich an der „Zielsprache“ orientieren, konstatiert er:

Dagegen ist die gewöhnliche Übersetzung entsprechend ihrer pragmatischen Ausrichtung an der Zielsprache orientiert. Inhaltsorientiert. Und schon haben wir den Gegensatz zwischen dem ausgangs- und dem zielsprachorientierten Übersetzen. Zwischen dem Ausgangstextler und dem Zieltextler, mitsamt allen Begleiterscheinungen, als da sind: die Auslöschung des Übersetzers, die Forderung nach seiner Durchsichtigkeit, die die sprachlichen, historischen und kulturellen Differenzen aufheben sollen. Als wäre der Text für die Zielsprache geschrieben. (Meschonnic, S. 92, Hervorhebung im Original)

D’Aprile und Möller machen noch einen anderen Aspekt im Hinblick auf die Übersetzungsqualität stark. Und zwar jenen, inwiefern Fontanes Übersetzung von Gore schon auf sein späteres Schreiben voraus weist. Möller hält bspw. fest, dass Fontanes „Faible für aussagekräftige Komposita […] sich schon hier an einzelnen Beispielen beobachten“ lässt (Möller, S. 19). D’Aprile formuliert diesbezüglich vorsichtig:

Im Rückblick von Fontanes späterem Romanwerk aus gesehen, ließe sich über weitere Motivkomplexe spekulieren, die in seiner Gore-Übertragung bereits angelegt scheinen: von den von Sticheleien und Gemeinheiten geprägten Umgangsformen im Garderegiment in „Schach von Wuthenow“ […] bis hin zu den Fontane-typischen Mutterfiguren, die Luise von Briest bis zu Frau Jenny Treibel oft als hartgesottene Wächterinnen über die Ständekonvention auftreten. (D’Aprile, Einleitung, S. 20f.)

Überdies sei auf die Überlieferungsgeschichte des Fontaneschen Manuskripts hingewiesen, die D’Aprile in seiner Einleitung skizziert und in einem umfangreicheren Beitrag in den Fontane Blättern erneut darstellt. Dort resümiert D’Aprile, dass diese Geschichte beinah ein „eigene[r] Roman“ sei. (D’Aprile, 180 Jahre, S. 58) Im Anschluss an eine Odyssee nach Amerika gilt als letzter Beleg der Existenz des Manuskripts ein Artikel von Otto Pniower (Direktor des Märkischen Museums) aus dem Jahr 1919. D’Aprile beschließt seinen Bericht damit, dass „[s]eit dem Zweiten Weltkrieg, als Teile der Bestände des Märkischen Museums ausgelagert und von den verbleibenden Archivalien rund achtzig Prozent zerstört wurden, […] das Manuskript als verschollen“ (D’Aprile, 180 Jahre, S. 61) gilt.

Glücklicherweise ließ Friedrich Fontane vor 1919 eine Abschrift des Manuskripts anfertigen, welche nun als Grundlage für das Buch diente. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass die Übersetzung nun der Fontane Forschung vorliegt und dass Cathrine Gore, immerhin eine der auflagenstärksten Autor:innen (nur Walter Scott und James F. Cooper konnten mit ihr konkurrieren) ihrer Zeit (vgl. D’Aprile, Einleitung, S. 6), dem deutschsprachigen Publikum aufmerksam gemacht wird. Dazu trägt die Aufnahme des Bandes in die Reihe Die Andere Bibliothek bei, denn wie bei allen Titeln der Reihe ist der Band

mit Fadenheftung, einem Lesebändchen, schönem blauem Leinen-Einband, der wie eine klassische Frucht in der modernen Schale einer mit schreienden Farbkontrasten alarmierenden „Buchschlaufe“ steckt, [ausgestattet]. (Möller, S. 160)

Möllers Kritik, dass dem Band Anmerkungen, „die man eigentlich auf Schritt und Tritt benötigt“ (Möller, S. 161), gutgetan hätten, kann nur beigepflichtet werden. Auch die Titelwahl ist bedenklich, da sich Fontane auf den Zeitschriftendruck bezieht, der noch unter dem Originaltitel Abednego, the Money-Lender lief, und erst in der späteren Buchfassung nur zu The Money-Lender wurde – gerade weil die unterschiedlichen Veröffentlichungen und Übersetzungen somit schwieriger auseinander zu halten sind. Am Rande sei hier noch ein faszinierender Internet-Fund angezeigt. Die erste amerikanische Veröffentlichung von Gores Roman erschien 1843 in der Zeitschrift Brother Jonathan (Extra no. XVI.) und beginnt kurioserweise gänzlich anders als die britische Zeitschriften- und Buchausgabe. Eine Spur, der die anglistische Forschung, die Cathrine Gore „in den letzten Jahren […] als wichtiges literaturhistorisches Bindeglied zwischen Romantik und Realismus […] wiederentdeckte“ (D’Aprile, 180 Jahre, S. 52), folgen möge.

Abschließend sei noch auf den sehr zu empfehlenden Wirtschaftspodcast Wohlstand für Alle hingewiesen, der sowohl auf amüsante als auch fundierte Weise die ökonomischen Schwerpunkte des Romans bespricht.

 

Vgl. auch Till Kinzel: Catherine GORE – Der Geldverleiher. Rezension. In: Informationsmittel (IFB). Digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und WissenschaftOnline unter: http://informationsmittel-fuer-bibliotheken.de/showfile.php?id=11138.

 

Bibliografischer Hinweis

Catherine Gore: Der Geldverleiher. Ein viktorianischer Roman. Aus dem Englischen von Theodor Fontane. Ediert und mit einer Einleitung versehen von Iwan-Michelangelo D’Aprile. Berlin: Aufbau Verlag (Die Andere Bibliothek, Bd. 441) 2021, 468 S. ISBN: 9783847704416.

Literatur

  • D’Aprile, Iwan-Michelangelo: Mit 180 Jahren Verspätung. Zur Veröffentlichung von Theodor Fontanes Übersetzung von Cathrine Gores Roman Abednego the Money-Lender (1842). In: Fontane Blätter. Halbjahresschrift (2022), Nr. 113, S. 49-65.
  • Fontane, Theodor: Der Dichter über sein Werk. 2 Bd. Hg. von Richard Brinkmann. München: dtv 1977.
  • Meschonnic, Henri: Ethik und Politik des Übersetzens. Aus dem Französischen von Béatrice Costa. Berlin: Matthes & Seitz-Verlag 2021.
  • Möller, Klaus Peter: Cathrine Gore: Der Geldverleiher. Ein viktorianischer Roman. Aus dem Englischen von Theodor Fontane. Ediert und mit einer Einleitung versehen von Iwan-Michelangelo D’Aprile. [Rezension]. In: Fontane Blätter. Halbjahresschrift (2022), Nr. 113, S. 159-164.

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