Besuch am Grab der Fontanes

Der Friedhofsspaziergang ist eine Kulturtechnik, die in der Corona-Pandemie ein gewisses Revival erlebt hat. Nicht nur haben Spaziergänge zwischen Gräbern einen medativen Effekt – auf den Berliner Friedhöfen lässt sich dazu eine wahre Armada von wichtigen Menschen an ihrer „letzten Ruhestätte“ besuchen.

Ein beliebtes Ausflugsziel ist dabei der Dorotheenstädtische Friedhof an der Chauseestraße, der, wie auch der Friedhof am Halleschen Tor, Interessierten einige klangvolle Namen auf Grabsteinen bietet. Weit weniger bekannt ist hingegen der Französische Friedhof II, auf dem sich das Grab Theodor und Emilie Fontanes befindet.

Spaziergang auf ausgetretenen Pfaden

Natürlich ist die Idee, Fontanes Grabstätte zu besuchen und von den Eindrücken zu berichten, nichts Neues. Der Berliner Feuilletonist Heinz Knobloch unternahm ein solches Unterfangen bereits im Jahr 1978. Knobloch markiert sich in Alte und Neue Berliner Grabsteine, einer Sammlung seiner Friedhofs-Feuilletons, als Fontane-Fan: Gleich das Vorwort eröffnet er mit einem Fontane-Zitat.[1] In mehreren seiner Texte sucht er Verbindungen zum Werk Fontanes, wenngleich nicht immer erfolgreich („‚Geborene Pittelko‘ klingt nach Fontane.“, S. 62). Seine  Wanderungen zu Fontanes Grab stellten, wie der fontaneske Titel bereits andeutet, Knobloch vor ungleich höhere Hürden als Zeitgenoss:innen. Im geteilten Berlin war es um einiges schwieriger, den Friedhof an der Liesenstraße zu betreten: Es war eine Genehmigung der Behörden erforderlich, da der Friedhof im Grenzgebiet lag.

Beinahe 45 Jahre später stellen sich die Hürden als überwindbar dar: Statt einer Odyssee durch die Amtsstuben, Unklarheiten über Zuständigkeiten für das Ausstellen eines Erlaubnisscheins (Knobloch berichtet von „21 Telefongesprächen und Umwegen“, S.119), Suche nach dem versteckten rückwärtigen Eingang in der Wöhlertstraße ist es heute wieder möglich, den Friedhof über den Haupteingang an der Liesenstraße zu betreten. Es ist ein Dienstag im Dezember, das Wetter bringt nicht die gleiche Freuden wie für Knobloch, der im Jahr 1978 notiert: „Dienstag, Sonnenschein. Hochstimmung. Wie an einem ganz persönlichen Feiertag.“ (S. 121) Es ist nasskalt, immer wieder beginnt ein leichter Nieselregen.

Auf dem Friedhof

Warum Knobloch einen „Erlaubnisschein“ brauchte, wird gleich nach dem Betreten des Friedhofsgeländes erkennbar: Zunächst zeigt sich das Gelände zur Liesenstraße hin als abgeschirmt. Ein etwa 20 Meter breiter Streifen trostloser Wildwuchs heißt Gäste willkommen. Erst dahinter lassen sich Grabstellen und eine gartenbauliche Pflege erkennen. Der Grund hierfür: Die Liesenstraße ist noch heute geteilt. Während die südliche Straßenseite, die auch den Friedhof beherbergt, in Mitte liegt (PLZ 10115), gehört die nördliche bereits zum Wedding (PLZ 13355). Die nördliche Begrenzung des Friedhofsgeländes war mithin Grenzgebiet im geteilten Berlin und bedurfte daher nach Ansicht der Staatsführung der DDR eines „Schutzstreifens“. Ein Überrest der Befestigung dieses Streifens ist auf dem Gelände auch noch zu betrachten.

Stück der ehemaligen Grenzbefestigung auf dem Französischen Friedhof.
Stück der Berliner Mauer auf dem Friedhofsgelände.

Wie um das Manko der mangelnden Bekanntheit der Fontane-Grabstätte ausgleichen zu wollen, steht gleich hinter dem trostlosen Grünstreifen ein Wegweiser zur Fontane-Gedenkstätte, die auf dem Gelände im Jahre 2010 errichtet wurde. Die Öffnungszeiten sind nicht gerade als arbeitnehmerfreundlich zu bezeichen – immerhin wird ein Besuch „nach vorheriger Anmeldung“ in Aussicht gestellt, sollten die Öffnungszeiten für willige Besucher:innen ungünstig sein. Es scheinen sich auch nicht allzu viele Literaturfans hierher zu verirren: Gleich nach Betreten des Geländes fragt ein höflich-besorgter Friedhofsgärtner, ob man Hilfe benötige.

Zur Grabstelle

Zuerst zum Grab des Ehepaars Fontane, bevor der Weg zur Ausstellung führt, die in der ehemaligen Friedhofskapelle eingerichtet wurde. Damit geneigte Besucher:innen die Grabstätte nicht verfehlen mögen, weist ein zweiter Wegweiser nach rechts. Die Stele, die „dankbare Schüler“ für den Stenografen Leopold A.F. Arends aufgestellt haben, diente schon Theo jun. als „Leitstern“.[2] Dort einmal rechts abgebogen, befindet sich die Grabstätte. Es scheint ungewiss zu sein, ob sich die sterblichen Überreste der Fontanes tatsächlich an exakt dieser Stelle befinden (Knobloch erwähnt es nach 28 Buchseiten im letzten Absatz: „das Grab Fontanes ist gar nicht sein Grab“, S. 144).

Grabstelle von Theodor und Emilie Fontane.
Die Grabstelle der Fontanes im Dezember 2022.

Während sich die Grabstätte bei Knoblochs zweitem Besuch 1985 in eher bekümmernswertem Zustand befand („Die Inschrift auf seinem Stein müßte erneuert werden.“, S. 146), erscheint das Grab der Eheleute Fontane heute in einem guten Zustand. (2010 Neugestaltung auf Betreiben der Fontane-Gesellschaft). Neben den einfachen Grabsteinen links und rechts sticht die Fontane-Ruhestätte heraus, als wolle sie dem Etikett „Berliner Ehrengrab“ in besonderer Weise entsprechen. Eine pompöse Einfriedung fasst die Grabstelle ein. Kunstvoll geschmiedete Ketten, deren Glieder an Eichenlaub erinnern, verschränken sich zwischen den Pollern und finden an ihrem Kreuzungspunkt ein Dekorelement, das ein mit einem Anker verschränktes Kreuz darstellt.

Zwei edle, schwarz schimmernde Steine tragen in goldenen Lettern die Namen des Ehepaares. Statt der spärlichen Bepflanzung, den Knobloch vorfand („Auf Fontanes Hügel stecken im Efeu ein paar gelbe Wachstulpen und ebensolche Lilien. Schön ist das nicht, aber besser als gar nichts; immerhin war mal einer hier.“, S.128), befindet sich ein schickes Bouquet auf der gepflegten Erde zwischen den Begrenzungssteinen.

Ausstellung in der ehemaligen Kapelle

Reclam-Ausgabe des Stechlin.
Eine Ausgabe des Stechlin liegt auf dem Fensterbrett im Ausstellungsraum.

Nach einem Moment andächtigen Verweilens weiter zur Ausstellung. In dem kleinen Raum finden sich Schlaglichter auf Fontanes Leben, an sechs sechseckigen Stelen gibt es allerlei Interessantes und Wissenswertes aus Fontanes Leben und seiner Arbeit zu erfahren. Auch Kartenmaterial aus dem späten 19. Jahrhundert findet sich hier. Eine Reclam-Ausgabe des Stechlin (aus Leipzig) wartet darauf, mitgenommen zu werden und somit der buchfeindlichen Nasskälte zu entkommen.

Eine Frage weiß die gesamte Ausstellung nicht zu beantworten: Warum ist Fontane ausgerechnet hier begraben? Es liegt keine unmittelbare Nähe zu seinem letzten Wohnort in der Potsdamer Straße vor (überhaupt ist der Friedhof keiner der zehn in der Ausstellung aufgeführten Wohnorte der Fontanes nahegelegen). Außerdem hatte sich Fontane selbst eine andere Stelle für seine letzte Ruhestätte gewünscht – in sein Tagebuch trägt Fontane anlässlich der Beerdingung seines Sohnes George ein: „Er liegt nun auf dem Lichterfelder Kirchhof, einem umzäunten Stück Ackerland, und ich wünsche mir die gleiche Stelle“ (Zitiert nach Knobloch, S.121).

Wahrscheinlich fiel die Wahl auf den Friedhof aufgrund der biografischen Verwurzelung beider Eheleute in der Französischen Gemeinde – Theodor als Abkömmling hugenottischer Flüchtlinge, Emilie als Ziehtochter einer Familie mit ähnlicher Historie. Fontanes Söhne Theo und Friedrich suchten den Grabplatz aus.[3] Aber warum nicht auf dem Französischen Friedhof I, in unmittelbarer Nähe zum oben erwähnten „Promi-Friedhof“ an der Chausseestraße? Vielleicht nur, damit „Nöhl“ (Fontanes Name im Rütli-Verein) einen Grund hat, sich noch im Tode über die Ungerechtigkeit zu beklagen, die ihm widerfährt?

Der Hintereingang

Hintereingang des Friedhofs mit früherem Wächterhäuschen.
Das frühere Wächterhäuschen am Hintereingang des Friedhofs.

Um Knoblochs Wege nachzuziehen, zum Hintereingang: Hier steht das flache Häuschen, das damals der Einlasskontrolle diente. Dem äußeren Anschein nach könnte es noch im gleichen baulichen Zustand wie 1978 sein. Der Weg zum jetzigen Nebeneingang führt durch einen „von Wohnhäusern umbaute[n] mehrwinklige[n] Hof, eine Portion seltsames Bau-Berlin“ (S.122). Was Knobloch noch befremdlich vorkam, gilt heute als erstrebenswert: Der Hof verfügt über einen Kinderspielplatz, überall steht Spielzeug herum. Man kommt sich wie ein Eindringling in private Gefilde vor und kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Bewohner:innen der Häuser den Hof lieber durch ein Tor vor Zutritten schützen würden.

Überhaupt ist die Umgebung des Friedhofs irgendwie surreal. Mitte und Wedding treffen hier aufeinander, das BND-Hauptquartier, das aus der Satellitensicht wie ein Monster aus Space Invaders aussieht, liegt nur wenige hundert Meter südlich des Friedhofs. Richtung Humboldthain, hinter den Liesenbrücken, liegt das ehemals größte Werk der AEG. Sozialwohnungen und Luxus-Neubauten liegen entlang der Chausseestraße nur wenige Meter auseinander. Diese Gegend, mit dem Friedhof im Mittelpunkt, wirkt zerrieben in den Mühlen der Geschichte. Das würde Fontane als eifrigem Beobachter des Zeitgeschehens sicher gefallen.

In Knoblochs Beschreibung geht es an der Friedhofspforte – trotz der Beschränkungen für den Besuch! – zu „wie im Milchladen“ (S. 123). Heute hingegen waren für die Dauer des Besuchs keine weiteren Besucher:innen auf dem Friedhof. Nur drei eifrige Friedhofsgärtner setzten schräg rechts hinter Fontanes Grab eine junge Birke in den Boden.

Anmerkungen und Literatur

[1] Knobloch scheint es gefreut haben, seinen Namen bei Fontane zu lesen: „Ich glaube, es war Knobloch und der ist ja wohl todt.“ Theodor Fontane an Georg Friedländer, 27. Dezember 1897. Zitiert nach Knobloch, S. 9

[2] Knobloch zitiert in Wieder an Fontanes Grab diese Worte des Juniors: „Bevor 1928 die französische Gemeinde entgegenkommenderweise nach Möglichkeit für eine Änderung sorgte, war in der Tat die letzte Bleibe des märkischen Wanderers nur schwer zu finden. Auch für mich mußte die Porträtbüste des Erfinders eines stenographischen Systems – Arends – immer eine Art Leitstern bilden.“ S. 146.

[3] So gibt es Knobloch in seinem zweiten Text Wieder an Fontanes Grab an, S. 145.

Literatur

Heinz Knobloch (2000): Alte und neue Berliner Grabsteine. Berlin.

2 comments

  1. Thomas Butter says:

    Lieber Constantin Mauf-Clausen,
    mit Freude habe ich in dieser so kargen Zeit, in der leider dem „Wohlklang des Wortes“ wenig Raum gegeben ist und wird, Ihren ausführlichen Blog zur „Knoblochschen Wanderung an Fontanes Grab“ gelesen. Sie haben ganz zu recht Knoblochs Weg dorthin genutzt, um die Örtlichkeit pointiert und eindringlicher zu beschreiben.
    Heinz Knobloch ist ohne Zweifel ein Liebhaber der Fontanenschen Erzählkunst gewesen. Denn, sonst hätte er ihn nicht wiederholt in seinen Werken erwähnt.
    In seinen eintausend Feuilletons, die in der Wochenpost von 1968 bis 1988 wöchentlich unter dem Titel „Mit beiden Augen“ erschienen, kam er nicht umhin, sich immer wieder an Fontane zu erinnern, ihn zu erwähnen und zu zitieren.
    In drei dieser tausend Feuilletons widmete er sich 1977 und 1980 aus seiner Sicht den “Wanderungen Fontanes“ in den Bänden 1, 2 und 4 recht ausführlich.
    Nicht ganz unerwähnt möchte ich lassen, dass er 1985 in einem Feuilleton („Wieder an Fontanes Grab“) einen erneuten Besuch beschrieb.
    In acht Feuilletons aus dieser Reihe „Mit beiden Augen“ finden sich interessante kürzere Hinweise zu Fontane. Und in 9 weiteren wird Fontane zumeist in prominenter Gefolgschaft andere Persönlichkeiten oder Schriftsteller erwähnt.
    Da bleibt mir nur übrig, Ihnen zu danken, dass Sie auch dem Werk von Heinz Knobloch in Ihrem Blog Raum gegeben haben.
    Mit lieben Grüßen
    Thomas Butter
    Berlin

  2. DIna says:

    Ein Friedhof hat viele Facetten. Genauso bedeutet er für jeden Menschen etwas anderes. Ich finde alte Grabsteine so interessant und versuche gerne herauszufinden auf eingraviert wurde.

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