Der 14. November 2023: Emilie Fontane – heute 199 Jahre!

Ein Blick auf den Kalender – und schon gibt es im beitragsmüden Fontane-Blog einen Ruck: Natürlich, der 14. November war im Hause Fontane Feiertag! Georgine Emilie Caroline Fontane – so viel Zeit muss sein! -, die bis zu ihrer Eheschließung mit Theodor Fontane den Nachnamen Rouanet trug, ist heute vor 199 Jahren in Dresden auf die Welt gekommen. Unehelich! Die Mutter Thérèse Rouanet, eine Witwe mit drei Kindern und in Beeskow untergekommen bei ihren Eltern (ihr Vater, Jean Pierre Barthélemy Rouanet, war französischer Stadtkämmerer, Sprachlehrer und Kanzlist), hatte sich auf eine Liebschaft mit einem Bataillonsarzt Georg Bosse eingelassen. Der war schnell wieder fort, die Mutter war in Nöte geraten – und den Schaden hatte Emilie. Die Familie eines Onkels versorgte sie die ersten drei Jahre, Wermsdorf hieß das Nest (bei Oschatz, das auch nur Eingeweihte kennen), und dann wurde sie zur Adoption freigegeben – und ein Herr Kummer, der Globen herstellte, nahm sie mit seiner Frau an und auf. Dass das kleine Mädchen jenes kleine Dorf gegen die große Stadt Berlin tauschte, besserte ihre Lebensumstände nicht. Die Adoptionsmutter verstarb, eine windige – höflich ausgdrückt – Magd übernahm die Erziehung: und hätte wohl selbst eine gebraucht.

Wäre Emilie Fontane Schriftstellerin geworden und hätte sie die Feder so gewandt wie ihr Ehemann Theodor zu gebrauchen gewusst, ja dann gäbe es sicher ein unterhaltsames Lebenserinnerungsbüchlein, das all die dunklen Kindheitsbilder in helles Erzähllicht getaucht hätte. Vielleicht könnten wir dann nachlesen, wie es denn war, als die Zehnjährige 1835 dem 15-jährigen Fontane bei dessen Tante über den Weg lief – und was sie selbst mit 15 in einem Pensionat erlebt hatte. Schicksalhaft kreuzten sich beider Wege in den vierziger Jahren erneut, aus dem Einst wurde ein Jetzt, und das Jetzt hatte Folgen. Die beiden verlobten sich, an Heirat war nicht zu denken – oder eben doch nur zu denken. Der Verlobte apotehkerte und dichtete sich durch die zweite Hälfte des bewegten Jahrzehnts in Berlin, die Verlobte gewöhnte sich weiter an wechselnde Wohnungen und deren Besitzer – zeitweilig gehörten Fontanes Eltern dazu.

Ach, so ließe sich, immer zu wikipedia hinüberblinzelnd (da ist vieles verbesserungswürdig), weiter Schwatzen über Emilie. Wir würden sie nur aus Fontanes Sicht kennen, hätten sich nicht Hermann Fricke mit einer zusammengezimmerten Chronik (1937) und Gotthard Erler mit einer gut erzählten Lebensgeschichte ihrer angenommen (2002). Mitte der neunziger Jahre am Briefwechsel zwischen Friedrich und Karl Eggers bastelnd, war ich auch auf Emilies Briefe an Friedrich Eggers gestoßen. Kurzer Hand nahm ich sie auf. Nicht im Kommentar, sondern gleichberechtigt. Aber einen Begriff von der Person, von ihrer Persönlichkeit? Ich bekam ihn nicht. Als ich meine Tage, Wochen, Monaten und Jahre damit verbrauchte, Fontanes Lebens- und Arbeitsspuren zu sammeln und zu ordnen (Theodor Fontane. Chronik von Leben und Werk 2010), da wurde mir Emilie zu einer selbstverständlichen Begleiterin durch dieses Dasein, immer eher im Hintergrund, aber fest verwurzelt. Ich bewunderte ihren täglichen Fleiß, schüttelte über die horrende und nicht selten mehrfache Abschreiberei aller Manuskripte ihres Mannes den Kopf und hätte gerne mehr von ihr gewusst. Durchaus chronikegoistisch. Wie trug sie all ihre Lebenslasten? Wo verstaute sie das schwere Leid, drei Söhne, kaum auf die Welt gekommen, sterben zu sehen?

Die Korrespondenz mit ihrem Mann, von Therese und Gotthard Erler 1998 herausgegeben, war und ist und wird ein Lesevergnügen bleiben. Aber wie groß ist der Anteil von Emilie dabei? Aus meiner Sicht erheblich. Wir lernen die ‚Frau an seiner Seite‘ als eine Frau mit vielen Seiten kennen, wir ahnen ihren Witz, wir ahnen ihre depressiven Stimmungen, wir sehen sie beherzt gegenhalten, wenn ihr Mann dem detailbesessenen und seiner selbst bewussten Drauflosschwadronieren die Zügel abnahm, und wir sympathisieren durchaus mit Emilie, als ihr Mann hinter ihrem Rücken die Sicherheit einer Verbeamtung mit einem Federzug aus dem Familienetat strich.

Dennoch, dennoch. Was wir wissen, ist Stückwerk. Die Fotografien – sie sind wenig beredt, oder? Der Mensch, der uns aus ihnen ansieht, wirkt unfroh, schmallippig. Man will nicht recht glauben, dass die Fotografen mit diesen Ablichtungen Emilie Fontane wirklich erfasst haben. Wie war sie bei den Tischgesellschaften, wie ging sie mit dem Freundeskreis, der sie offensichtlich schätzte, um, und welches Bild gab sie ab, wenn sie ihrem Mann beim täglichen Tee aus der Zeitung las und sie über Gott und die Welt plauderten? Wo stand sie politisch? Hatte sie antijüdische Vorbehalte wie etwa ihre Tochter, war sie Bismarck-Parteigängerin, konservativ, national oder fortschrittlich, wie stand sie zur sozialen Frage – der häuslichen mal ausgenommen?

Nächstes Jahr, da gedenken wir – die Theodor Fontane Gesellschaft in besonderem Maße, da darf man sicher sein – der 200 Jahre, die seit Emilies Geburt vergangen sind und der 122 seit ihrem Tod. Dafür werden, denke ich, die Archive schon jetzt und noch einmal durchforstet und intensiv Spurenlese betrieben. Der Büchermarkt hofft auf ein profitables Geschäft und wir, dann wohl auch brav in die Börse greifend, auf Wissenszuwachs. Vielleicht gelingt es, die eher streng wirkenden Konterfeis zu konterkarieren und mit virtuellem Lächeln aufzuheitern. Wer weiß. Fontanes Welt, zu der Emilie Fontane ursächlich gehört, ist noch lange nicht an ihre Grenzen gelangt – und langweilig schon gar nicht.

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