Wer Bergen, das Tor zu den Fjorden Norwegens erstmals bei einer Kreuzfahrt kennenlernt, hat beim Landgang in wenigen Stunden viel zu entdecken. Das kann mit einer Spurensuche nach der berühmten Hanse beginnen, einem Spaziergang zum Weltkulturerbe Bryggen fortgesetzt werden und mit einer Stadtrundfahrt verbunden sein oder sogar aus der Vogelperspektive über Bergen bis zum Hardangerford per Wasserflugzeug gehen.
Aber welcher Kreuzfahrer kommt auf die Idee statt Weltkulturerbestätten zu besuchen auf Fontanesuche in den Fjorden zu gehen? Meine Frau schüttelte den auf der AIDA bella am ersten See-Tag frisch frisierten Kopf, unterstützt von unseren zur Goldhochzeitsreise mitgekommenen beiden Töchtern. Sie lästerten: „Du bist ja schon ein Jahr vor dem 200. Geburtstag total fontanisiert. Da suche mal schön allein nach einer Apotheke mit seinem Namen oder einem Spital.“ Ihr Murren klang so heiter-ironisch nach, als ob sie mir empfahlen, mich am besten gleich selbst in eine Anstalt mit meinen Fontane Flausen einliefern zu lassen. Ich versuchte meine Frau zu verunsichern und doch noch vom Mitgehen zu überzeugen: „Du hast doch einen ziemlich schlechten Orientierungssinn, nicht dass du noch das Schiff um 17.30 beim Landgang auf eigene Faust verpasst.“ Aber sie verließ sich gern auf unsere erwachsenen Töchter, und die drei wollten allein Bergen erobern. Sie lachten mich regelrecht aus: „Buchläden, verstaubte Antiquariate oder Bibliothek beim Erstbesuch in Bergen zu besuchen ist bescheuert! Uns ist Natur pur, die phantastische Küstenlandschaft mit den vielen großen und kleinen Inseln und ein bisschen Shoppen in den historischen Holzhäusern viel, viel lieber.“
Wir trennten uns, und ich musste an Fontanes Gedicht denken: „Tu ich einen Spaziergang machen, / Beschäft’gen mich immer allerlei Sachen […]“ (ED aus dem Nachlass: Vossische Zeitung vom 27. Mai 1928. Vgl. Theodor Fontane: Gedichte. Einzelpublikationen, Gedichte in Prosatexten, Gedichte aus dem Nachlaß. Hg. von Joachim Krueger u. Anita Golz. 2., durchgesehene u. erw. Auflage. Berlin: Aufbau 1995, S. 481). Als ich einen ersten kleineren Buchladen fand, freute ich mich mächtig. Aber schon erhielt ich einen Dämpfer. Der junge Buchhändler konnte Theodor Fontane nicht schreiben. Mein Spelling des Namens klang wohl so schlecht, dass ich lieber zum Stift griff. Dann ging er an die Computersuche. Die führte zu dem für mich völlig überraschenden Ergebnis, das er so ausdrückte: „Nothing.“ Das erinnerte mich an die feinsinnigere Übersetzung meines Buchtitels „Fontanes Wanderung ins Nichts“ durch James Bade aus Neuseeland in einer Rezension für Weltbild vom 7. September 2018 “Fontane’s Walk to Nothingness“.
Ich bedankte mich für die unerwartete Auskunft und hoffte beim Betreten eines größeren Buchladens an der Torgallmenningen in Bergen auf mehr literarische Kompetenz. Prompt hieß es jetzt von einer jungen Frau, es gäbe sechs Treffer und welches Buch ich wollte. Triumphierend schaute ich selbst auf das Suchergebnis. Es handelte sich aber in Wahrheit um keine Fontane –Titel, sondern um norwegische Volksmärchen an denen u. a. ein Theodor Kittelsen mitwirkte. Zwischen den beiden Theodoren unterschied der Computer leider nicht. Konnte das sein, dass nicht mal Fontanes Nordische Balladen auf Norwegisch vorhanden waren?
Die Leiterin der Buchhandelskette NORLI gab mir den Tipp, es in einem in der Nähe gelegenen Antiquariat zu versuchen. Ich hetzte mich ab, das Altbuchgeschäft in der Vestre Torggaten zu finden. Aber das Antiquariat blieb trotz Öffnungszeiten von 12.00 Uhr bis 16.30 Uhr auch um 12.30 Uhr und nach weiterer Wartezeit geschlossen. Ich riet meinen Damen per Handy, zweckmäßiger Weise lieber allein an Bord der Bella oder in der berühmten Fischhalle am Torget zu speisen. Sie empfahlen mir spöttisch, nicht zu viel Bücherstaub zu mir zu nehmen, wenn das Antiquariat doch noch öffnen sollte, vergaßen aber, einmütig nicht zu mahnen, wenigstens an das Wassertrinken mit dem Nachsatz zu denken. „Wein vergisst du ja nie!“
Nach Erkundigungen in der geschäftlichen Nachbarschaft sank mein Vertrauen in die norwegische Pünktlichkeit, und ich ließ mir von jüngeren Leuten den Weg zur letzten Hoffnungsstätte, der Bergener Bibliothek erklären. Dabei erwies es sich als hilfreich, dass sie in Nähe des Bahnhofs lag. Auf dem Weg dorthin konnte ich die hochaufragende Denkmalstatue von Christian Michelsen (1857-1925) nicht übersehen. Der in Bergen Geborene war ein erfolgreicher Reeder und erster Ministerpräsident des seit 1905 unabhängigen Norwegens bis 1907.
In der ziemlich großen öffentlichen Bibliothek von Bergen erlebte ich ein Wunder an Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft für meine Fontanesuche durch die Mitarbeiterin Eva Karin, die ich ohne jede Anmeldungsformalität am Arbeitsplatz fragen konnte. Sie sprach neben Englisch auch deutsch und war gleich skeptisch, dass sich viel von Theodor Fontane oder gar Biografisches über ihn finden ließe. Sie wollte sich aber bemühen, alle vorhanden Bücher noch vor Abfahrt meines Schiffes gleich aus dem Archiv zu holen. Während der relativ kurzen Wartezeit der Archivsuche erfuhr ich in einem weiteren NORLI- Buchgeschäft im nahe gelegenen Citycenter, dass Fontane seit 1984 nicht mehr in Norwegen verlegt würde.
Meine Ansprechpartnerin in der Bibliothek behielt leider auch mit ihrer Skepsis Recht. Es gab nur eine Übersetzung des Romans Effi Biest ins Norwegische, die Lotte Holmboe besorgte unter der Herausgeberschaft von Brikt Jensen im Nordischen Buchklub.
Außerdem fand sich noch ein Exemplar der Wanderungen durch die Mark Brandenburg in Deutsch von 1941 als Gabe des Deutsch Ausländischen Buchtausches. Das erinnerte mich auf seine Weise an die düstere Zeit deutscher Besatzung Norwegens von 1940 bis 1945.
Ich beschloss, gelegentlich in den Nordischen Botschaften in Berlin zu erkunden, ob es zum 200. Geburtstag Theodor Fontanes in den fünf Nordeuropa Staaten irgendwo mehr Fontane-Freunde gibt.
Ein bisschen grämte mich die magere Ausbeute meiner fast ganztägigen Fontanesuche in Norwegen schon, zumal doch Kaiser Wilhelm II. ein Norwegen-Begeisterter und von Kreuzfahrten war und laut unseren Reiseführern 14 Mal hier Urlaub machte. Svein Skotheim hat hierzu ein Buch in Norwegisch vorgelegt, wie ich herausfand Keiser Wilhelm i Norge im Spartacus Forlag 2011.
Obwohl Fontane den gleichen Kaiser zehn Jahre erlebte, schrieb er so gut wie nichts über diesen, was schon zu denken gibt.
Während dann meine Frau vereint mit unseren Töchtern über meinen angeblich vertanen Besuchstag in Bergen lästerte, kam mir die Idee zu einem phantastischen Buch: Fontane in den Fjorden auf Kreuzfahrt mit dem Kaiser. Als ich davon sprach, zeigten sich alle freudig lachend und sehr interessiert. Was sprach auch dagegen, im Sommer des Fontanejahres länger als nur eine Woche mit ihren Familien in den Fjorden mir beim Recherchieren zu helfen!