Eine verkehrsgeschichtliche WĂŒrdigung zum 200. Geburtstag des Dichters
Wanderungen durch die Mark Brandenburg â da fĂ€llt einem sofort Theodor Fontane ein. Die durch diesen Titel geprĂ€gte Vorstellung, der Dichter wĂ€re meist zu FuĂ durch die mĂ€rkische Landschaft gestapft, scheint naheliegend. Doch Fontane nutzte auĂer âper pedes apostolorumâ und âSchusters Rappenâ[1], wie er es bei seiner Weihnachtswanderung nach (Berlin-)Malchow formulierte, durchaus auch Verkehrsmittel: in Berlin und Umgebung Droschke und Pferdebahn, wenn es weiter hinaus oder ĂŒber Land ging, Kutsche und Eisenbahn. Hier bietet sich ein Anlass, den Dichter auch in den Verkehrsgeschichtlichen BlĂ€ttern zu seinem 200. Geburtstag angemessen zu wĂŒrdigen. Wir wollen aufspĂŒren, wo der Dichter selbst sich öffentlichen Verkehrsmitteln anvertraute â und welche Zeugnisse sich davon in Fontanes Briefen und Werken finden.
FrĂŒhe Sympathie fĂŒr die Eisenbahn
Ein biografisches Kuriosum vorweg: Im Jahre 1847 befand sich der junge Fontane in finanziell prekĂ€rer Lage. Seinem Freund Bernhard von Lepel schrieb er: âMeine Aussichten fĂŒr die Zukunft sind die alten, d.h. gar keine. Das Vermögen wird mit jedem Tage geringer, die Schulden wachsen ⊠Ich spekuliere jetzt auf eine Anstellung bei der Eisenbahn; sowie ich 500 rth jĂ€hrlich habe, schaff ich ein paar zweischlĂ€friger Bettstellen an, und die Sache geht vor sich.â (zitiert nach [2]) Das mit der âAnstellung bei der Eisenbahnâ war wohl mehr rhetorisch; weitere Hinweise auf die Ernsthaftigkeit solcher Ăberlegungen lassen sich nicht finden. Was Fontane seinerzeit verzweifelt suchte: eine Stelle, die ein regelmĂ€Ăiges, auskömmliches Gehalt sicherte â und das schien ihm bei den damals aufstrebenden Eisenbahnen gegeben.
Aber: Aus heutiger Sicht wĂ€re es â bei aller Sympathie fĂŒr die Eisenbahn â doch schade gewesen, wenn Fontane irgendwo Weichen und Signale gestellt oder Ă€hnliches bei der Eisenbahn getĂ€tigt hĂ€tte, statt ein bedeutendes literarisches Werk zu hinterlassen.Fontane hatte schon als Mittzwanziger groĂe Sympathie fĂŒr das neuartige Verkehrsmittel Eisenbahn, und er sagte ihr gegen manche aktuelle Kritik eine glorreiche Zukunft voraus:
Bald wird ein Eisenbahn-Netz den gebildeten Theil Europa’s umschlingen; schon in diesem Augenblicke sind der Segnungen unzĂ€hlige, welche die Menschheit der groĂartigsten Erfindung unsrer Tage verdankt; und dennoch lassen sich heisre Stimmen hören, die diesen neuen Triumph des menschlichen Geistes verwĂŒnschen, und fĂŒr die âdeutsche Postschneckeâ in die Schranken treten.â Diesen Kritikern der Eisenbahn bot Fontane ironischen Trost, âdaĂ es im Lande der Kaschuben, in Hinterpommern und weiter westwĂ€rts bis an die Ufer der Elbe noch manches paradiesische PlĂ€tzchen giebt, aus denen die Lokomotive, dieser flammende Cherubim, die ersten Postwagen noch nicht vertriebenâŠhat.
Mit dem oben zitierten Bekenntnis zum zukĂŒnftigen Eisenbahnzeitalter beginnt eine der frĂŒhen ErzĂ€hlungen Fontanes mit dem Titel Zwei Post-Stationen. Inhalt ist eine recht spektakulĂ€re, vor allem aber strapaziöse Reise von SwinemĂŒnde nach Berlin mit der seinerzeit noch ĂŒblichen âPostschneckeâ. Zwar hĂ€tte der ErzĂ€hler schon damals den gröĂten Teil der Reise auf der bereits 1843 vollstĂ€ndig fertiggestellten Stettiner Eisenbahn zurĂŒcklegen können. WĂ€hlte er nun aber aus finanziellen ErwĂ€gungen die Postkutsche oder wollte er den Kontrast zwischen beiden Verkehrsmitteln zum Thema machen? Die um 1845 entstandene ErzĂ€hlung war vom Verlag seinerzeit nicht veröffentlicht worden, sie schien verloren, wurde aber 1991 zufĂ€llig wiederentdeckt. Dass sie im Jahre 1845 nicht gedruckt wurde, könnte auch an der etwas zugespitzten satirischen Darstellung des damals noch weit verbreiteten Verkehrsmittels Postkutsche zu tun haben. Fontane rechnete drastisch ab mit der Postkutschenzeit.
In der ErzĂ€hlung bringt der angetrunkene Postillion Jochen sein GefĂ€hrt nach mehrfachen Verirrungen mit so groĂer VerspĂ€tung nach âOâŠâ, dass der Anschluss nach Berlin verfehlt wird. Eine Ăbernachtung in einer als sehr unwirtlichen beschriebenen âPassagierstubeâ, die verspĂ€tete Weiterfahrt im abenteuerlich unbequemen Kabriolet der nĂ€chsten Postverbindung â schlieĂlich gibt der ErzĂ€hler auf; die Alternative heiĂt: Eisenbahn! âWir erreichten die nĂ€chste Station, von wo aus ich per Eisenbahn in die Residenz gelangen wollte.â Nicht nur er, auch eine Mitreisende âwandte sich an den Billeteur und forderte mit ziemlicher Fassung: âein Billet zur dritten Wagenklasse nach Berlin.ââ [3] Fontane wird diese frĂŒhzeitige Sympathie fĂŒr die Eisenbahn und fĂŒr andere öffentliche Verkehrsmittel sein Leben lang beibehaltenâŠ
Mit dem Zug zum Wannsee â und darĂŒber hinaus
Am 25. November 1881 folgte der Dichter einer Einladung des Prinzen Friedrich Karl von PreuĂen nach Schloss Dreilinden. (Das Schloss wurde 1954 abgerissen; es stand an der Stelle der jetzigen Revierförsterei Dreilinden.) Fontane setzte sich am Potsdamer Bahnhof in den Zug, der ihn zum damaligen Bahnhof Wannsee bringen sollte. Es war ein trĂŒber SpĂ€therbsttag. âEin halbdurchsichtiger Novembernebel, aus dem es in kleinen Tropfen niederfiel, lag weithin ĂŒber der LandschaftâŠâ Damals war die Umgebung der Wannseebahn noch soweit unbebaut, dass Fontane vom Zug aus trotz des Nebels die Kuppel der Hauptkadettenanstalt bemerken konnte. Mit dem neuen, ungewohnten Tempo der Eisenbahn âjagten wir erst durch den Steglitzer Bahnhof und gleich danach durch den von Lichterfelde hin. Alles war öd und leer, und selbst der Kadettendom stand wie in Trauer.â
Die weitere Fahrt ging â wie heute mit der S1 â ab Zehlendorf ĂŒber die im Jahre 1874 eröffnete âAlte Wannseebahnâ, die sich in Zehlendorf von der Stammbahn trennt und nach einem weiten Nordbogen ĂŒber Schlachtensee, Nikolassee und Wannsee bei KohlhasenbrĂŒck wieder in die Stammstrecke mĂŒndet. Prinz Friedrich Karl, zu dessen Besuch auf Schloss Dreilinden Fontane unterwegs war, hatte seinerzeit zu den BefĂŒrwortern des Baus der Zweigbahn gehört. Die Strecke erschloss das Waldgebiet fĂŒr eine Bebauung, und sie bot eine gĂŒnstige Verkehrsverbindung zwischen des Prinzen Herrensitz und der Residenz. Wovon auch Fontane im November 1881 profitierte. âUnd nun hielten wir. âWannsee, Wannsee.â Den ganzen Zug lang öffneten sich nicht mehr als zwei CoupĂ©s, deren Insassen ⊠sofort demselben Ziele zusteuerten, und zwar auf zwei hart an einer Windecke haltende prinzliche WagenâŠâ
Fontane und die weiteren Reisenden haben das gleiche Ziel: Jagdschloss Dreilinden, âLieblingsaufenthalt des Prinzen Friedrich Karlâ, wo sie erwartet werden. Der âprinzliche Wagenâ bringt die GĂ€ste zu Schloss und Prinzen. âEin Peitschenknips noch, und in raschem Trabe ging es, unter einem BrĂŒckenĂŒberbau weg, in eine breite chausseeartige FahrstraĂe hinein, die, nach links hin, eine mit hohen Kiefern besetzte WaldlisiĂšre (veraltet fĂŒr Waldrand, -saum) streifte. Hart zur Rechten aber lief der Bahndamm, auf dem eben die roten und grĂŒnen Signallichter angezĂŒndet wurden.â Der Empfang beim Prinzen ist im Zusammenhang mit unserem Thema nicht weiter von Interesse. Wir folgen Fontane nur noch zurĂŒck nach Berlin: Der Prinzenwagen stand bereit, die GĂ€ste zum Bahnhof zu bringen.
⊠durch Nacht und Dunkel hin ⊠ging unsere Fahrt, immer rascher und rascher, denn der eben laut werdende Pfiff der Lokomotive mahnte bereits zur Eil. AbgepaĂt! Im selben Momente, wo der Zug hielt, hielten auch wir, und abermals eine kleine Weile, so war die letzte Station und die letzte GitterbrĂŒcke passiert, und in das Bahnhofsportal eingleitend, wölbte sich wieder der mĂ€chtige Bogen ĂŒber uns. Aussteigen! Ein Strom, ein Gewirr; Pelze, Koffer und Geschrei: der ganze LĂ€rm einer groĂen Stadt.[4]
Die GroĂstadt hat Fontane wieder!
Auf der Strecke nach Wannsee und darĂŒber hinaus war Fontane gern unterwegs. Die Fahrten waren ihm offenbar so gegenwĂ€rtig, dass er sie sogar in einer seiner Theaterkritiken zur Veranschaulichung seiner Meinung ĂŒber ein Schauspiel heranzog. Das am 18. MĂ€rz 1880 aufgefĂŒhrte StĂŒck Auf der Brautfahrt empfand er am Anfang und zum Schluss recht langweilig, lediglich der Mittelteil hatte seine Aufmerksamkeit gefunden. Seinen Eindruck ĂŒber die Theater-âBrautfahrtâ vergleicht er mit einer Bahnfahrt:
Es war, wie wenn man auf der Potsdamer Eisenbahn von Lichterfelde nach GroĂ-Kreuz fĂ€hrt; Lichterfelde bedeutet nicht viel und GroĂ-Kreuz beinahe noch weniger, aber jeder wird die Viermeilenfahrt um Wannsees, Babelsbergs, Wildparks und Werders willen doch mit vielem VergnĂŒgen gemacht haben. Abfahrts- und Ankunftsort erscheinen gleichgĂŒltig und sind es wirklich, aber unterwegs erquickt uns die blaue Havel und die weiĂe âBohmblutâ Werders gleichmĂ€Ăig an Augâ und Herz. Und ganz so in diesem StĂŒck.[5]
Es muss ja nicht gleich eine Brautfahrt sein, wenn man sich heute im RE 1 auf der Bahnstrecke zwischen Wannsee, Havel und GroĂ-Kreuz âerquickenâ will!
Anm.: Dieser Text erschien zuerst in der Ersten Ausgabe 2019 der Verkehrsgeschichtlichen BlÀtter.
Alle Fotos sind aus der Sammlung des Autors.
Quellenangaben
[1] Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Band 4: Spreeland. Berlin, Weimar: Aufbau 1987.
[2] Helmuth NĂŒrnberger: Fontanes Welt. Berlin: Siedler 1997.
[3] Theodor Fontane: Zwei Post-Stationen. Faksimile der Handschrift. Hg. v. Jochen Meyer. Marbach am Neckar: Deutsches Literaturarchiv 1991.
[4] Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Band 5: FĂŒnf Schlösser. Berlin, Weimar: Aufbau 1987.
[5] Theodor Fontane: Causerien ĂŒber das Theater. Berlin: Verlag Friedrich Fontane & Co. 1905.
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