Ein Natur- und Kulturerlebnis besonderer Art bietet der ostfriesische Stahlbildhauer Leonard Wübbena zu Ehren von Theodor Fontanes 200. Geburtstag in seinem etwa ein Hektar großen Skulpturengarten im beschaulichen Warfendorf Funnix im Harlingerland. Die Sonderausstellung „Fontane entdecken“ präsentiert während der Sommermonate (6. Juli bis 1. September) expressive Stahlplastiken bekannter zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler zu ausgewählten Beispielen aus dem dichterischen Werk des Jubilars – darunter Leonard Wübbena, der mit seiner „Hommage à Ribbeck“ den berühmten Birnbaum aus dem Havelland als großformatige Stahlskulptur ins Harlingerland verpflanzt und auf diese Weise für neue Assoziationen und Deutungen öffnet.
Oder die Brandenburger Künstlerin Marina Schreiber, die mit ihrem Beitrag „In Neptuns Garten“ Bezug auf Fontanes Monumentalwerk Wanderungen durch die Mark Brandenburg nimmt, indem sie zu einem „Spaziergang“ durch „Neptuns Garten“ einlädt und den Blick des Betrachters auf den von ihr gestalteten phantasiereichen Unterwasserkosmos lenkt, um auf die schützenswerte Artendiversität der Unterwasserwelten aufmerksam zu machen und das ökologische Bewusstsein öffentlich wirkungsvoll zu inszenieren – in Analogie zu dem von Fontane poetisch inszenierten Geschichtsbild der Mark Brandenburg, mit dem er das historische Bewusstsein und Verständnis eines breiten Lesepublikums geprägt hat und bis heute trotz wissenschaftlicher Relativierungen und Aktualisierungen prägt.
Die zwei minimalistischen roten Hähne (nur einer abgebildet) der in Dresden lebenden Künstlerin Irene Wieland strahlen trotz des statischen Materials visuelle Lebendigkeit und Dynamik aus wie der rote Hahn im Stechlin, der bei großen weltgeschichtlichen Erschütterungen aus dem See auftaucht und das die Welt erschütternde Ereignis in der Grafschaft Ruppin verkündet, die große weite Welt also mit der abgeschiedenen Heimat in Verbindung bringt und für Weltoffenheit plädiert. Darüber hinaus verweist die rote Signalfarbe des Hahns auf revolutionäres Gedankengut, auf die Notwendigkeit der gesellschaftlichen Veränderung, die Fontane teilweise sehr radikal im Briefwechsel mit dem befreundeten Schmiedeberger Amtsrichter Georg Friedlaender zum Ausdruck bringt. Diese rote Signalfarbe ziert in Verbindung mit der blauen Signalfarbe auch die abstrakte Stahlskulptur des niederländischen Künstlers Peter van Tilburg mit dem Titel „Liberalist und Nationalist“, die die Brüche und Widersprüche im Leben Fontanes im klassenbeherrschten Hohenzollernstaat widerspiegelt: einerseits der Bewunderer des alten Preußen (die blaue Farbe der Kornblume als politisches Symbol), andererseits der Befürworter des gesellschaftlichen Wandlungsprozesses, den Fontane im Alter herbeisehnte.
Sehr eindrucksvoll ist auch der Skulpturenpfad „Fontanes Frauen“, gestaltet von der im Künstlerdorf Dobis in Sachsen-Anhalt lebenden Künstlerin Charlott Szukaka, deren skulpturales Werk – fünf Frauenexponate aus Stahlsegmenten (Grete Minde, Cécile, Jenny Treibel, Effi Briest und Mathilde Möhring) – verblüffend in ihrer Kargheit, verfremdet in der Losgelöstheit von ihrer körperlichen Hülle – im Sehnsuchtsort Garten, in dem Natur und Kultur blühen, arrangiert ist. Der Blick des Betrachters geht bei den beweglichen Figuren, die sich im Wind drehen und nicht in starrer Frontalansicht in Szene gesetzt sind, durch die äußere Form des im Fokus stehenden Kopfes hindurch und begegnet der Gefühls- und Gedankenwelt der Frauen.
Bei Effi Briest erkennt der Betrachter das Fehlen der Zärtlichkeit menschlicher Zuneigung, denn nach der Verstoßung durch ihren Ehemann und die zu späte und halbherzige emotionale Zuwendung der Eltern sind es aus der Sicht der Künstlerin nur die Kreaturen Pferd und Hund, denen Effi sich in ihrem Unglück nahe fühlt. Die in großem Abstand zu Pferd und Hund platzierten Eltern wirken in ihrer starren Haltung wie Götzen, eingezwängt in das stählerne Korsett der gesellschaftlichen Konventionen und Normen.
Im Gegensatz dazu unterstreicht Charlotte Szukala bei der Gestaltung der Kleinbürgerin Mathilde Möhring Lebensenergie und Entschlossenheit, ihr eigenes Fortkommen im Rahmen der gesellschaftlichen Möglichkeiten zu verwirklichen (sie steht im oberen Feld des Kopfes in der Siegerpose), wohingegen ihr wenig ambitionierter, kränkelnder Ehemann am Statusdenken und ausgeklügelten Pragmatismus seiner Frau zerbricht (er bewegt sich von ihr fort, stolpert in die Tiefe).
Beim Anblick der von der Künstlerin sehr filigran gearbeiteten protzigen Robe der Jenny Treibel wird der Betrachter mit dem Selbst- und Weltverständnis des auf Äußerlichkeiten fixierten Geld- und Besitzbürgertums der Gründerjahre konfrontiert.
Im Zentrum der künstlerischen Gestaltung der unglücklichen Lebensgeschichte der fragilen Cécile, deren Vergangenheit als ehemalige Fürstenmätresse ihr gesellschaftliches Sein überschattet, illustriert Charlott Szukala die gesellschaftliche Rollenexistenz der Frauenfigur aus der Perspektive des Mannes in bequemer Beobachtungspose, die zu Entzauberung und Liebesverweigerung führt und den Selbstmord Céciles heraufbeschwört (der in der rechten Kopfhälfte stehende Mann blickt auf die ihm den Rücken zukehrenden Frau, die statt Verständnis und menschlicher Nähe Distanz erfährt).
Ebenso wird auch Grete Minde von der Künstlerin in der Rolle des sozialen Opfers dargestellt, die als Folge der erfahrenen Lieblosigkeit zur Brandstifterin wird.
Darüber hinaus sind im Garten auch Gedichte und Balladen Fontanes inszeniert, so zum Beispiel John Maynard mit einer Schiffskulptur aus Edelstahl zur Verherrlichung des heldenhaften Steuermanns John Maynard, der um den Preis seines eigenen Lebens alle Passagiere gerettet hat.