Schmalhansküchenmeisterstudien versus Petitionsschriftstellerei

Theodor Fontane und der Berliner Zweigverein der Deutschen Schillerstiftung
Bericht über den Vortrag in Caputh am 21. September 2019

Die Deutsche Schillerstiftung, gegründet 1859 in Dresden, war die erste föderal organisierte private Stiftung in den deutschen Ländern, ein Unternehmen in Sachen Demokratie, entstanden in den Jahren der Restaurationsepoche nach der Revolution von 1848. Zweck der Deutschen Schillerstiftung war es, hilfsbedürftige Schriftsteller und Schriftstellerinnen, deren literarisches Werk als Beitrag zur „poetischen Nationalliteratur“ angesehen werden konnte, sowie ihre nächsten Angehörigen oder Hinterbliebenen in existenziellen Notlagen finanziell zu unterstützen. Obwohl sich das Konzept von Nationalliteratur mit der Zeit änderte und die Verantwortlichen sich immer wieder vor das Problem gestellt sahen, auch Autoren als förderfähig einzustufen, die sich nicht in ein bürgerliches nationalliterarisches Konzept einordnen ließen, und obwohl die Stiftungsidee und die Förderpraxis nicht unumstritten waren, – schwer wog etwa der Vorwurf, die Stiftung trage zur Alimentierung von Mittelmäßigkeit bei, – und obwohl die Bedeutsamkeit literarischer Werke stets ein unsicheres Kriterium blieb, wurden über die Jahre mehrere tausend Autoren und deren Angehörige oder Hinterbliebene von der Deutschen Schillerstiftung und ihren Filialen finanziell unterstützt. Da viele der unterstützten Autoren Folge-Anträge einreichten, oft sogar mehrfach, war die Zahl der bearbeiteten Fälle noch weitaus größer als die Anzahl der heute noch zu ermittelnden Personenakten.

Unter den Destinatären der Stiftung finden sich neben zahllosen Autoren, die heute kaum noch bekannt sind, auch die Namen von Willibald Alexis, Bertold Auerbach, Johannes R. Becher, Berthold Brecht, Ludwig Feuerbach, Hermann Hesse, Ricarda Huch, Arno Holz, Max Kretzer, Else Lasker-Schüler, Detlef von Liliencron, Christian Morgenstern, Eduard Mörike, Erich Mühsam, Wilhelm Raabe, Rainer Maria Rilke, Joachim Ringelnatz und Adalbert Stifter. Unterstützt wurden auch die Angehörigen oder Nach­kom­men von Ernst Moritz Arndt, Ludwig Bechstein, Johann Gottfried Herder, Georg Herwegh, Paul Heyse, Gorch Fock (Johann Kinau) und Theodor Storm. Man kann es kurz machen. Alles, was Rang und Namen hat in der Literatur, diese aber nicht in eine marktgängige Währung umzumünzen verstand, findet sich wieder in den Anna­len der Schillerstiftung, und wem es niemals gelungen ist, sich durch seine literarischen Werke hinreichenden Verdienst zu erwerben, sowieso.

Auch Theodor Fontane gehört zu den von der Schiller-Stiftung unterstützten Personen. Seine Freunde stellten im November 1870, als er sich in französischer Kriegsgefangenschaft befand, einen Antrag zu seinen Gunsten, aufgrund dessen der Verwal­tungsrat ihm im Februar 1871 eine einmalige Zahlung von 100 Talern bewilligte, die Fontane auch akzeptierte, obwohl er sich in dem Bewusst­sein, wie problematisch das für seine Reputation als Autor sein konnte, dagegen sträubte.

Oft wird die Schiller-Stiftung mit dem Schiller-Preis verwechselt. Der Schiller-Preis, ebenfalls im Jubiläumsjahr 1859 gestiftet, wurde vom Preußischen König bzw. später vom Kaiser alle drei Jahre für das beste dramatische Werk vergeben. Es ist also so etwas wie der erste staatliche Literaturpreis in Preußen. Mit dieser Auszeichnung wurde Fontane ebenfalls dekoriert, und zwar 1896, obwohl er nie ein Theaterstück verfasst hat. Denn Fontane passte in die staatliche Kulturpolitik, während die von der Findungs­kom­mission vorgeschlagenen Dramatiker Gerhart Hauptmann, Ludwig Fulda und Hermann Sudermann vom Kaiser abgelehnt wurden.

Von Loschwitz aus, wo an dem idyllisch in den Weinbergen versteckten Schillerhäuschen anlässlich des 50. Todestages Schillers eine bewegende Feier stattfand, richtete der provisorische Vorstand am 10. Mai 1855 einen Aufruf „An die Deutschen“, die Gründung der Schillerstiftung durch den Aufbau von Filialen an allen Orten und die Sammlung von Geld vorzubereiten. Dieser Appell fand Widerhall in weiten Kreisen im deutschen Sprachraum. Überall wurde Geld gesammelt. Und es wurden allerorten Filialstiftungen gegründet. Eine dieser Filialen war der Berliner Zweigverein, zu deren Gründungsvätern Theodor Fontane gehörte. In seiner Wohnung wurde die Filialstiftung am 21. Juli 1855 während einer Rütli-Sitzung gegründet. Und er gehörte dem Verein bis zu seinem Tod an, über 43 Jahre. Ab 1873 war Fontane als Vorstands­mitglied an sämtlichen Entscheidungen unmittelbar beteiligt.

Der Berliner Zweigverein der Deutschen Schillerstiftung existierte von 1855 bis 1955. Die Jahre bis 1898 waren die erfolgreichste Periode des Vereins. Der Verein erreichte mit 178 Mitgliedern seinen Höhepunkt. Glanzvolle Veranstaltungen zeugen von der Zustimmung, den die Tätigkeit der Schillerstiftung in weiten Kreisen fand. Im Zeitraum bis 1898 hat der Berliner Zweigverein etwa 400 Schriftsteller mit insgesamt ca. 60.000 Mark unterstützt, darüber hinaus 34.000 Mark an die Zentralstiftung abgeführt und ein Vermögen von 60.000 Mark aufgebaut.

Der Tätigkeit Fontanes für den Berliner Zweigverein der Deutschen Schillerstiftung ist ein Buchprojekt gewidmet, an dem Lothar Weigert und ich gemeinsam seit 2014 arbeiten und das ich am 21. September 2019 in Caputh in einem Vortrag vorgestellt habe, leider allein, weil Lothar Weigert am 29. Januar dieses Jahres verstorben ist. In diesem Buch ist die Geschichte des Vereins von seinen Anfängen bis zu seiner Auflösung beschrieben, seine Organisation und seine Struktur, seine Mitgliederentwicklung, die Entwicklung seines Vermögens und seiner finanziellen Leistun­gen, sein Zusammenwirken mit der Zentralstiftung, zu der der Berliner Zweigverein gehörte, zu der er aber mitunter auch auf Distanz ging, die verschiedenen Aktivitäten zur Mitgliederwerbung und zum Fundraising. Auch die Öffentlichkeitswirkung wurde dargestellt, die prinzipiellen Einwände und die Kritik, die der Stiftung entgegengebracht wurde. Das Augenmerk war dabei stets besonders auf Fontane gerichtet. Ein besonders umfangreiches Kapitel ist der praktischen Tätigkeit des Vereins gewidmet, den Fallstudien, die intime Einblicke in die Sozialgeschichte der deutschen Literatur ermöglichten. Bei vielen Autoren war nicht nur Schmalhans Küchenmeister, es herrschte die Blanke Not. Es gab aber auch Autoren, die aus der Petitionsschriftstellerei einen einträglichen Nebenerwerb machten. Die Tätigkeit des Berliner Zweigvereins wurde während des Vortrages an ausgewählten Beispielen erläutert.

Unsicherheit und die materielle Bedrängnis, wie sie nicht selten mit dem Schriftstellerberuf einhergehen, kannte Fontane aus eigenem Erleben. Wahrscheinlich setzte er sich gerade deshalb so engagiert für die Bittsteller ein, die von der Schillerstiftung Hilfe erhofften. Für die Sorgen seiner Kollegen hatte er immer ein offenes Ohr. Das ging sogar so weit, dass er in einzelnen Fällen aus seiner eigenen Tasche, die ja auch nicht gerade üppig gefüllt war, Geld vorschoss. Buchstäb­lich bis zum letzten Lebenstag war Fontane für den Berliner Zweigverein tätig. Julius Rodenberg hielt nach Fontanes Tod am 21. September 1898 in seinem Tagebuch fest: „Vorgestern erst, in Sachen der Schillerstiftung, habe ich den letzten Brief an ihn adressiert.“

Buchstäblich bis zu seinem letzten Lebenstag hat Lothar Weigert an dem gemeinsamen Buch gearbeitet. Kein fertiges Exemplar konnte ich ihm zum Abschied in die Hand drücken, sondern nur ein provisorisches. Aber der Text war gemeinsam so weit geschrieben, dass ich ihn allein fertigstellen konnte. Momentan sitze ich an den Korrekturen. Das Buch soll baldmöglichst in der Reihe Fontaneana erscheinen. Im Verlagsprogramm von Königshausen & Neumann ist es schon für 2019 angezeigt.

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