Ernst Karlipp ‒ ein Gruß des Gedenkens

Ein stattlicher Mann war Ernst Karlipp, und das nicht erst im Alter, als sein schlohweißes Haar weithin leuchtete. Er brauchte Würde nicht zu demonstrieren, sie war ihm eigen. Kein Mann des eilfertigen Wortes und des übereilten Tuns, trat er so sicher wie bedacht auf. Er ging mit der Welt respektvoll um und erwartete dasselbe von ihr. Mit gutem Recht. Wer hätte gezögert, einem solchen Menschen, dessen Wirken von ernstem Bedacht und umsichtiger Strenge bestimmt war, Wertschätzung vorzuenthalten! Seine Urteilskraft war entschieden. Karlipp war keiner, dem man etwas vormachte, wie es ihm völlig fremd war, anderen Halbgares, wenn nicht Unwahres vorzugaukeln. Die Formen des Umgangs beherrschte er. Er wusste um deren Unverzichtbarkeit und war zunehmend betrübt über die wachsende Nachlässigkeit, mit der sie gepflegt wurden. Wer Herrn Karlipp durch Neuruppin, wo er nicht nur zu Hause, sondern beheimatet war, gehen sah, grüßte ehrerbietend ‒ selbst wenn die Bekanntschaft mit ihm eher lose war.

Man durfte sich darauf verlassen, dass das, was er in die Hand nahm, in besten Händen war. Als ich ihn kennen lernte, kannte ich die Welt, aus der er kam, nur von Stippvisiten, vom Hörensagen und von – Fontane. Entsinne ich mich Recht, führte ihn der damalige Vorsitzende der Theodor Fontane Gesellschaft, Prof. Dr. Helmuth Nürnberger, im Vorstand ein. Der hatte seinen Sitz noch in Potsdam – Neuruppin galt historisch und literaturgeschichtlich, ansonsten lag es im tiefsten märkischen Umland. Und da stand nun ein Märker leibhaftig vor uns, stellte sich in wenigen, gut ausgewogenen Worten vor und nahm umgehend für sich ein. Leises Raunen machte die Runde, als von einer „Fontane-Buchhandlung“ die Rede war und regelmäßige Fontane-Unternehmungen ins Visier genommen wurden. Der Herr, den wir nun in unserem Kreise wussten, er passte so ganz und gar hinein. Er hatte, gewissermaßen, das Fontane-Maß. Was konnte besser sein, als mit ihm eine Sektion unserer literarischen Gesellschaft in Fontanes Geburtsstadt zu etablieren. Alles war hoch erfreut und erfreulich allemal. Der Erfolg hat es bestätigt!

Ohne Mühe hätte Ernst Karlipp eine Gestalt in den Romanen Fontanes abgegeben: etwa einen fachsicheren Buchhändler, der sich nicht bei seinen Kunden anbiederte, dessen Empfehlungen man nur zu gerne folgte und der jenen Wesen, die es mit ihrem Leben schwernahmen, Beistand gewesen wäre. Höflich, zurückhaltend und wirksam. Aus seinem Bücherreich wäre leicht ein erzählerisches Anspielungsuniversum geworden – und, wie denn auch anders, im rechten Augenblick hätte eine liebenswürdige Person sich zu ihm gesellt, die Ilona Kolar zum Verwechseln ähnelte: beherzt und herzensstark. Einmal diesen Faden gesponnen, lassen sich rasch weitere unbeschwerte Erzählbilder heraufbeschwören – ach, wäre man doch ein Erzähler wie Fontane. Unversehens schilderte man einen lebhaften Kreis interessanter Menschen in einem stillen, gemütlichen Eckchen der Buchhandlung, ließe einen Kaffee mit etwas Gebäck servieren und alle empfänden, was man doch selbst so oft in der „Fontane-Buchhandlung“ von Herrn Karlipp empfand: genau am rechten Ort zu sein, den man für den Augenblick mit keinem anderen auf der Welt tauschte. Da mochte es geschehen, dass plötzlich eine gut gekleidete Dame das Geschäft beträte, alles drehte sich zu ihr um, man tuschelte – und Herr Karlipp schritte – „Hilfe naht!“ – in freundlicher Bestimmtheit auf sie zu. Ja, so ließ es sich denken in einem Roman, und so wird es unsere Erinnerung bewahren. Noch lange.

Denn vergessen wird Ernst Karlipp nicht. Die Fontane- und die Neuruppiner Welt verdankt ihm mehr, als in diesen wenigen Zeilen des Gedenkens zu sagen ist. So sehr gehörte er ihr an, dass wir es uns noch nicht denken können, ihm dort nie wieder zu begegnen. Sein Stuhl wird leer, sein Platz am Tisch unbesetzt bleiben und sein kluger Rat, er wird fehlen.

Ein aufrechter Mensch und anständiger Charakter hinterlässt, wenn er gehen muss, eine Lücke, die niemand schließt.

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