Förstertragödien im Iser- und Riesengebirge (1)

Redaktionelle Notiz: Seit über 25 Jahren beschäftigt sich Ullrich Junker mit der Forsttragödie „Frey“. Vor 25 Jahre lernte er die Enkeltochter Susanna Neumann geb. Frey kennen und hält seit ihrem Tod 1999 mit deren Ur-Enkelin Kontakt. Im Jahr 2020 setzt sich Ullrich Junker dafür ein, das beschädigte Frey-Denkmal im Nationalpark in Sobieszow/Hermsdorf wiederherzurichten und mit einer viersprachigen Hinweistafel (polnisch, deutsch, tschechisch und englisch) zu versehen. Der nachfolgende Artikel, erschienen im „Auf historischer Spurensuche im Bobertal 2015/2016. Aktuelle Forschungsergebnisse von und für Regionalforscher, Ortschronisten, Genealogen und Historiker im niederschlesischen Riesengebirge. Hg. von Jürgen Schwanitz. Stiftung Kulturwerk Schlesien 2018“, stellt er dem Fontane Blog für die Veröffentlichung zur Verfügung. Dafür herzlichen Dank!

Aus dreizehn Schußwunden verblutet, so fand man Wilhelm Frey Förstertragödien im Iser- und Riesengebirge

Vorbemerkung:
Der Schriftsteller Theodor Fontane berichtet in der Zeitschrift Die Gartenlaube Halbheft Nr.1 und den folgenden Ausgaben im Jahr 1890 unter dem Titel Quitt erstmals über das Verbrechen an dem Förster Frey. Der Hirschberger Arzt Geheimrat Dr. Baer (Mitbegründer des Riesengebirgsvereins/RGV), hat dann in der Zeitschrift Der Wanderer im Riesengebirge, S. 43ff im Jahr 1890 sich ebenfalls mit Fontane und dem Förstermord auseinandergesetzt. Auch Dr. Hans Reitzig (†), der im Jahr 1950 über die „Krummhübler Laboranten“ in Marburg promoviert hat, hat in der Juni-Ausgabe 1952 im „s‘ Heemteglöckla“ an den Förstermord erinnert.

Über diesen und weitere Morde durch Wilderer an Förstern berichtet auch Max Beier(†) im nachfolgenden zweiten Teil des Beitrags, den er im Jahrbuch für das Iser- und Riesengebirge (Jahrgang 1941) veröffentlicht hat. Beide Beiträge erfuhren eine quellenkritische Nachbearbeitung und Ergänzung durch Ullrich Junker, wobei dieser umfangreiche Recherchen in den Archiven in Hirschberg, im Schaffgotsch-Archiv in Breslau, im Pfarrarchiv in Arnsdorf und im Diözesanarchiv in Breslau (Kirchenbücher über Schreiberhau) vorgenommen hat. Nachforschungen nach evtl. noch vorhandenen Kriminalakten des Amtsgerichts Hirschberg blieben bislang erfolglos.

Von allen ortsgeschichtlichen Ereignissen hat wohl selten eines die Gemüter der Krummhübler so nachhaltig beeindruckt wie die Ermordung des Försters Wilhelm Frey. Exakt 140 Jahre sind es nun schon her, seit 1877 am Nordhang der Kleinen Koppe oberhalb des Gehängebrunnens ein pflichtbewußter, wenn auch nicht besonders beliebter Waidmann von einem Wilderer erschossen wurde, aber noch immer raunt es unter den Nachkommen längst dahingegangener Zeitgenossen, wenn von Jägern und Jagd die Rede ist. Trotz aller Bemühungen konnte bis heute noch kein entscheidendes Licht ins Dunkel jener unseligen Tat getragen werden. Immer wieder scheiterten Verhöre und Nachforschungen der Behörden am Zusammenhalt einer durch Schicksal und Jagdleidenschaft verschworenen Gemeinschaft von Wilderern. Und das waren nicht wenige in den hochgelegenen Ortschaften, damals, als der Fremdenverkehr in den ersten Anfängen stand und die Not der kinderreichen Familien noch groß war. Die anderen aber hüteten sich aus Scheu vor gerichtlichen Auseinandersetzungen, die umherschwirrenden Gerüchte allzu offen auszusprechen.

Was aus amtlichen Aufzeichnungen und Zeitungsberichten der Tatzeit sowie aus Erzählungen der Alten bewahrt wurde, soll nun dem Versuch dienen, ein möglichst einwandfreies Bild zu entwerfen und damit die Geschehnisse jener Tage vom üppigen Rankenwerk der Volkserzählung zu befreien:

Das beklagenswerte Opfer war der Revierförster Wilhelm Frey; dieser wurde gegen 10.30 Uhr am 04.02.1842 in Schreiberhau geboren und mit den Vornamen Johann Wilhelm Gustav am 14.02.1842 in der katholischen Kirche von Schreiberhau durch Pfarrer Pohl auch getauft (siehe Taufeintrag). Mit Franz Pohl, dem Gründer der Josephinenhütte, und dem sechsten Paten Allouis Partsch, dem kaufmännischen Leiter (=Factor) der Josephinenhütte, hatte der Täufling namhafte Paten. Dies unterstreicht auch das hohe soziale Ansehen, welches sein Vater Ernst Wilhelm Frey (*1811) offensichtlich als herrschaftlicher Revierjäger in Schreiberhau genoß; dieser wird erstmals in der Kommunikantenliste (=Abendmahlsteilnehmer) in der dortigen katholischen Kirche im Jahr 1838 aufgeführt. Der Junggeselle wurde dort auch am 15.09.1840 durch Pfarrer Franz kopuliert. Seine damals seinem Vater angetraute 28jährige spätere Mutter war Jungfer Antonia Gottstein, ehelich älteste Tochter des Johann Gottstein, einem Hausbesitzer in Rochlitz.

Über die Jugendjahre des Wilhelm Frey und seine Ausbildung zum Förster ist nichts Näheres bekannt. Er muß aber durchaus tüchtig gewesen sein, denn war zuvor Leibjäger des 1873 verstorbenen Grafen Leopold von Schaffgotsch und erst seit kürzerer Zeit aus Boberröhrsdorf nach Wolfshau als Revierförster versetzt worden. Das Datum seiner Hochzeit ist nicht bekannt, jedoch muß es vor 1873 liegen. Seine Ehefrau war Jungfer Marianne Springer aus Schreiberhau.

Am Nachmittag des 21.07.1877, einem Sonnabend, war Wilhelm Frey von der Försterei Wolfshau-West in sein Revier aufgestiegen. Nach seiner Gewohnheit nahm er den Weg über die Schlingelbaude und Hampelbaude (vorseitig eine Darstellung aus dem 19. Jahrhundert), um dann – die Seifenlehne überquerend – auf dem schmalen Pirschweg (etwa in halber Höhe der Kleinen Koppe) heimwärts zu streben. In der Hampelbaude hatte Frey noch kurz ein Glas Bier getrunken. Das war das letzte Mal, daß er mit jemandem sprach; denn etwa eine Stunde später traf ihn jener Schuß, der seinem Leben ein so grausames Ende setzen sollte.

Als erstes fand man einige Tage später den Kadaver seines erschossenen Jagdhundes; von ihm selbst fehlte aber weiterhin jegliche Spur. Als man schließlich den Toten nach eifrigem und planmäßigem Absuchen des Reviers in der Tiefe der Seiffenlehne erst eine ganze Woche später fand (ein Krummhübler Gebirgsführer hatte ihn zuerst entdeckt, nicht – wie Fontane schreibt – der Lehrer Lösche), mußte man etwas Schreckliches feststellen: Dem unter einem Knieholzbusch und von hohen Farnstauden fast verdeckt Liegenden waren durch eine einzige, aus unmittelbarer Nähe und von unten abgefeuerte Schrotladung beide Oberschenkelknochen völlig zersplittert und die Kniegelenke zertrümmert worden. Dennoch hatte sich Frey zum Schutze gegen den aufkommenden Abendwind mit letzter Kraft unter das Gehölz schleppen können, wo er den erfolglosen Versuch unternahm, sich mit dem Taschentuch die größte seiner dreizehn Wunden zu verbinden.

Neben ihm lag der aufgeblätterte Jagdkalender, in den der Sterbende mit blutbefleckten Fingern auf vier Seiten seine letzten Eintragungen gemacht hatte, der Fingerring fehlte, seine Geldbörse war entleert; auch seine geöffnete Brieftasche lag daneben. Rundum verstreut lagen auch die Hülsen aller Patronen, die auf den Pirschgang mitgenommen worden waren. Doch die Schüsse des todwunden Mannes, mit denen er auf sich aufmerksam machen wollte, hatten keine Hilfe mehr bringen können. Wer zur späten Abendstunde auf dem damals noch unwegsamen Gehänge herumstreunte (der Gehängeweg ist erst 1894 vom Riesengebirgsverein/RGV ausgebaut worden), der hatte als Pascher oder Wildschütz anderes zu tun, als Signalschüssen nachzulaufen. Im Dorfe wollten einige sie zwar gehört haben, was aber der Windrichtung nach zu schließen unmöglich gewesen sein mußte. Zudem krachten die Wildererbüchsen damals zu oft in den nächtlichen Wäldern des Riesengebirges, als daß man sich wegen ein paar Schüssen geängstigt hätte. Nur Kajetan Häring, ein 1866 von „drüben“ zugezogener Wolfshauer, machte später als einziger bestimmte Angaben über Zeitpunkt, Schußzahl und Richtung. Als er mit einer schweren Hucke über das Gehänge zur Wiesenbaude gelaufen war, wollte er auch Schreie gehört haben.

Auf einer am Tatort zusammengeschlagenen Tragbahre brachte man den Toten ins Forsthaus zurück, wo er in der unter dem östlichen Giebel gelegenen „Jägerkammer“ von einer Gerichtskommission untersucht und der erste Vernehmungsbericht fertiggestellt wurde. Nach einer bangevollen Woche (im Gegensatz zu Fontanes Quitt, als es nur etwas mehr als eine Nacht gedauert haben soll) hatten die Witwe und vier unmündige Kinder endlich Gewißheit über das Schicksal ihres auf so tragische Weise umgekommenen Ernährers erhalten.

Auch wenn Frey sofort aufgefunden worden wäre, hätte man ihn nicht mehr retten können. Die Verwundungen waren so schwer, daß er kaum noch eine Stunde gelebt haben dürfte. Zwei Tage darauf, am 31. Juli, erfolgte die Beerdigung auf der Südseite des Arnsdorfer katholischen Friedhofs in Gegenwart des Grafen, der gesamten Försterschaft und einer zahllosen Trauergemeinde. Zum Schluß legten Wolfshauer Waldarbeiter einen großen Stein auf den Sarg. Eine abergläubische Volkssitte wollte es so: Der Geist eines Ermordeten sollte Frieden finden und nicht mehr zurückkehren.

Das war der äußere Rahmen einer Tragödie, die Wochen hindurch die Zeitungsspalten füllte und die durch Fontanes Roman Quitt ins Schrifttum eingegangen ist. Was folgte, war lähmendes Entsetzen auch im weiten Umkreise der Nachbargemeinden. Überall geisterte es, überall gab es Verdächtigungen und die Flut wilder Gerüchte stieg von Tag zu Tag. Auf bloße Vermutungen hin folgten laufend Verhaftungen, schließlich aber Freilassungen in allen Fällen. Denn keinem der vielen Beschuldigten konnte etwas Genaues nachgesagt werden, selbst dem einen nicht, von dem es hieß, er sei noch in der Mordnacht völlig atemlos auf der Koppe erschienen, um zwischen den ruhenden Gebirgsführern Geborgenheit zu suchen … Wie schon angedeutet: Es waren eben doch zu viele, die – mit altertümlichen Schießeisen zumeist – auf heimliche Jagd gegangen waren, manche mit geschwärztem Angesicht und angeklebtem Barte. Es gab Sippen, in denen Vater wie Söhne als Nimrode galten und die mit Geweihen und Fellen vorsichtig genug umgegangen waren. Die Förster kannten sie freilich alle, und unter der Decke scheinbarer Verträglichkeit schwelten Haß und Mißtrauen.

Der Hauptverdacht blieb schließlich auf zwei Männern haften, von denen der eine in Ober-Querseiffen wohnte. Sein Häuschen lag am Wege zur Annakapelle, nur einen Steinwurf weit vom Wald entfernt. Nachdem er zweimal in Untersuchungshaft gesessen, aus Mangel an schlüssigen Beweisen aber jedesmal freigekommen war, verkaufte Knobloch sein Anwesen und wanderte heimlich nach Nord-Amerika aus. Dort verlief sich seine Spur; man hat nie mehr etwas von ihm gehört. Aber als der „Lehnert Menz“ wird er im Quitt noch lange fortleben. Viele wollten freilich wissen, er sei Jahrzehnte später als unerkannter Greis sterbend ins Arnsdorfer Krankenhaus eingeliefert worden … Daß der andere in dem später wegen Baufälligkeit abgebrochenen Gebäude gegenüber der Försterei (ungefähr in der Höhe des Emmenhofes) gehaust hätte, entspricht nicht den Tatsachen. Mit dichterischer Freiheit hatte Fontane die Wohnstätte des einen Verdächtigen in die Nachbarschaft Freys verlegt und somit diese irrige Ansicht begründen helfen.

Wiederholt sind dann noch Festnahmen erfolgt. Ein Stellenbesitzer aus Södrich war der Letzte, den man nach Hirschberg holte, zweiundzwanzig Jahre nach der unseligen Tat. Aber auch ihn hat man schließlich wieder freilassen müssen. Doch sind nicht alle Beweise dafür, daß auch hier die Dichtungen des Lebens an Überraschungen reicher waren, als selbst die kühnste Phantasie eines Romanschriftstellers sie auszusinnen vermag:

Als Ende der zwanziger Jahre das völlig haltlose Gerede umging, ein angesehener alter Krummhübler habe auf dem Sterbebett dem Pfarrer gestanden, der wahre Täter gewesen zu sein, da überschlugen sich noch einmal die Gerüchte. Und was sich ins Gedächtnis der Alten noch nach einem Halbjahrhundert mehr oder minder getrübt erhalten hatte, fand in immer neuen Vermutungen seinen Ausdruck. Mehr als nur einen Namen konnte man damals hören, aber auch von bis dahin in der breiten Öffentlichkeit nur wenig bekannten Geschehnissen, die irgendwie mit dem Förstermord in Zusammenhang gebracht wurden.

Die wohl abenteuerlichste war folgende: Frey, der viele Jahre Leibjäger des Reichsgrafen Leopold Schaffgotsch gewesen war, sollte Zeuge gewesen sein, wie ein naher Verwandter des Grafen 50.000 Mark aus der Kasse gestohlen habe. Um den Mitwisser zu beseitigen, habe man ihn im Bannwalde ermorden lassen. Allerdings beruhte diese unverantwortliche Verdächtigung tatsächlich auf einer Veruntreuung der genannten Summe. Wie das Hirschberger Gericht noch nachträglich bestätigte, war aber der Täter der damalige Kameraldirektor gewesen. So konnte man es auch noch in einer Ausgabe des Boten aus dem Riesengebirge vom Jahre 1929 lesen; vorseitig: Foto der standesamtlichen Sterbeurkunde.

Es ist kein Wunder, daß auch über die bereits erwähnten letzten Aufzeichnungen Freys viel gerätselt worden ist. Wie steht es nun eigentlich damit? Haben sie wirklich Hinweise auf das Äußere des Täters enthalten? Denn wenn auch niemand etwas Genaues über den Inhalt auszusagen wußte, das haben fast alle Befragten behauptet und hinzugefügt: Man scheue sich wohl, das „im Kameralamt streng verwahrte Jägerbüchel“ herauszugeben. Nun, das sind natürlich leere Behauptungen, die der immer blühenden Volksphantasie entstammen. Denn die Abschiedszeilen des sterbenden Försters enthielten kein Geheimnis. Sie sind auch nicht mit Blut geschrieben worden, wie viel erzählt worden ist, sondern mit Bleistift und lauten ganz schlicht:

Die Kräfte verlassen mich um 1/2 9 Uhr, geschossen bin ich ungefähr um 1/2 8 Uhr. Herr Graf ! Sorgen Sie für mein Weib und meine Kinder. Frey – Wenn ich sterben sollte, ehe ich gefunden werde, so wisse man, daß ich von einem Wilddieb geschossen bin, das war ganz nahe mit Doppelflinte. Liebes treues Weib und liebe Kinder, Eltern und Geschwister lebt wohl. Ich bitte den Herrn Grafen, daß er Euch versorgen mag, da ich mein Blut in seinem Dienst vergossen. Lebt wohl, Gott sei mir gnädig. Mein gutes liebes Weib, meine lieben Kinder, werdet gute Menschen und betet für mich. Ich habe fürchterliche Schmerzen, o Gott, erbarme Dich meiner. Herr Graf, sorge für die Meinigen, ich habe mein Blut für Dich vergossen. Gott, in Deine Hände befehle ich meine Seele, erlöse mich. Ich schreie so sehr und kein Mensch hört mich. O Gott, erlöse mich, O Kinder betet für Euren Vater und denkt nicht auf Rache. Gott vergebe meinem Mörder und erbarme sich meiner. Meine Leiden sind groß.

Unwillkürlich wird sich manchem auch die Frage nach Aussehen und Persönlichkeit des Mannes aufgedrängt haben, der unter unerträglichen Qualen und mit der letzten Energie seines verhauchenden Lebens jene erschütternden Zeilen niederschrieb. Auch hier gehen die Meinungen weit auseinander. Während ein Bericht des „Boten“ Frey als „stattlichen, sonnigen Menschen“ schildert, bezeichnet ihn ein so guter Kenner unseres Gebirges wie der Hirschberger Arzt Geheimrat Dr. Baer 1890 (Wanderer, Seite 44) als „wenig beliebt“: „Er neigte zur Gewalttätigkeit, namentlich, wenn er berauscht war, was nicht selten vorkam. Dann bedrohte er oft ohne Ursache seine nächsten Verwandten mit der Waffe. Sein Familienleben wird als kein glückliches geschildert, er war hart und streng gegen Frau und Kinder.“ Und so haben ihn auch die noch zuletzt lebenden Zeitgenossen in Erinnerung gehabt. Aber sie haben auch einstimmig bekundet, daß der Fünfunddreißigjährige ein echter Waidmann, der sein Revier mustergültig in Ordnung hielt, und ein hervorragender Schütze gewesen war. Viele Freunde hatte er allerdings nicht gehabt.

Ursprünglich hatte er bei den Gardejägern in Potsdam gedient, dann aber den siebziger Feldzug beim 5. Jägerbataillon (das damals noch in Görlitz lag) mitgemacht. Mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet, war er als Oberjäger entlassen worden. Ob es wahr ist, daß die Mordtat aus Haß und Rache begangen wurde, weil Frey seine Untergebenen roh und ungerecht behandelt, den Gefreiten „Menz“ aber der Feigheit beschuldigt hatte und ihm sogar das im Gefecht von St. Cloud wohlverdiente Kreuz vorenthalten ließ, konnte nach Jahrzehnten nicht mehr nachgeprüft werden. Um Kleinigkeiten abgewandelt, ist das aber noch hier und da nacherzählt worden. Und Theodor Fontane, der „nicht die Frechheit haben wollte, darauf loszuschreiben, ohne Sorge darum, ob es stimmt oder nicht“, hat es im Quitt auch so geschildert.

Waren es immerhin schon sieben Jahre her, als er die ersten Erhebungen anstellte, so galten doch seine Gewährsmänner vom Schlage eines Lehrers Lösche, des alten Schneekoppen-Exners, des alten Schreiber-Tischlers und vor allen Dingen auch Ehrenfried Brauners als zuverlässig genug, um noch immer ein ungetrübtes Bild erhalten zu können. Und gerade beim „Rabenvater“ Brauner, dem volkstümlichen Wirt des Gasthauses „Zum Rabenstein“ (dem späteren Breslauer Kinderheim), verkehrten damals alle, die die Geheimnisse der Wälder kannten, die Holzschläger oder Fremdenführer, die Schmuggler und die heimlichen Schützen. Daß einer der Hauptverdächtigten tatsächlich bei den 5. Jägern, den „Görlitzern“, gedient und in Freys Kompanie mitgekämpft hatte, konnte noch nachgewiesen werden. So war es bei aller Verurteilung der Mordtat kaum verwunderlich, daß im Streit der Meldungen zuweilen nicht der Förster zum Helden wurde, sondern eben jener „Lehnert Menz“, der „im bewaffneten Kampf Mann gegen Mann“ und in „Notwehr“ unter eine alte Rechnung das blutige Quitt gesetzt hatte. Es mag sein, daß Fontanes Auffassung viel dazu beigetragen hatte. Das Foto auf der nächsten Seite zeigt das Denkmal für Fontane in seiner Geburtsstadt Neuruppin.

Vom Schriftsteller Fontane (*30.12.1819 Neuruppin, †20.09.1898 Berlin) sind folgende Aufenthalte als Sommerfrischler im Riesengebirge bekannt:
– Sommer 1868 Erdmannsdorf
Sommer 1869 Hermsdorf unterm Kynast
– Sommer 1872 Krummhübel
Sommer 1884 Krummhübel (hier lernte er Amtsgerichtsrat Georg Friedländer kennen) Sommer 1885
– Krummhübel (3 1⁄2 Monate Aufenthalt – Entwurf für Roman Quitt)
– Sommer 1886 Krummhübel
Sommer 1887 Krummhübel (letzter Aufenthalt im Riesengebirge)

Georg Friedlaender, Handzeichnung: H. Figge aus einem Briefwechsel; Heidelberg 1945.

Wer vom Gehängewege – ungefähr auf halber Höhe des Kammes – beim zweiten Pirschsteg rechts abbog, sah nach ungefähr drei Minuten eine granitene Spitzsäule. Sie war zu Ehren des im Dienste Erschossenen errichtet worden und trug neben Namen und Todestag die durch Anwitterung gleich undeutlich gewordene Inschrift „Ermordet von einem Wilddiebe“. Doch ein paar Meter bergwärts konnte man beim Auseinanderbreiten der üppigen Farnbüsche noch ein anderes Denkzeichen finden, ein kleines Steinmal mit den Buchstaben „FW“ (= Frey Wilhelm). Das war die eigentliche Stelle, an der man den Toten einst gefunden hatte. Nur ganz wenige kannten sie, und der sie mir vor bald dreißig Jahren wies, wußte auch noch die Namen all derer, die vom Strudel jener aufregenden Tage mitgerissen worden waren. Damals hörte ich aber auch zum ersten Male das bis in die neunziger Jahre in den Gebirgsgegenden allgemein bekannte, heute aber fast ganz vergessene ,“Gedicht vom Förster Frey“. Der letzte der zwanzig im rührseligen Bänkelsängerstil gedichteten Vierzeiler schließt mit den Worten:

Und soll auch hier der Täter sein verschonet, So daß er nicht entdecket werden kann, so wird er doch vor Gottes kunft‘gem Throne sein Lohn erhalten für die Freveltat …

Zeitgenössisches Foto: Förster Frey mit seiner Frau und drei seiner fünf Kinder (im Hintergrund ein Gemälde mit der Schneekoppe).

Theodor Fontane hat diese schreckliche Tat zu einem poetischen Kunstwerk in seinem umfangreichen Roman Quitt verarbeitet. Bei seinem Sommeraufenthalt in Krummhübel im Jahre 1885 hat Fontane durch Befragung des Lehrers Loesche und des Amtsgerichtsrates Friedlaender den historischen Tathergang zu ermitteln versucht. Fontanes Freund, Amtsgerichtsrat Georg Friedlaender (siehe Handzeichnung von ihm), hatte Gerichtsverhandlungen teilgenommen. Dr. Baer hat sich indem Artikel „Fontane und das Riesengebirge“ in der Zeitschrift Der Wanderer im Riesengebirge Ausgabe April 1890, Seiten 43-45, mit dem Roman Quitt kritisch auseinander gesetzt. Er kommt dabei zu folgendem Schluß: „Es war nur natürlich, daß dieser tragische Stoff eine rege Phantasie zur weiteren Ausmalung reizte.“

Dr. Reitzig erwähnt auch in seiner Reihe „Aus 250 Jahren heimatlichen Schulwesens“, erschienen im „s‘ Heemteglöckla“, nochmals den Förster Frey.

1904 war der Krummhübler Lehrer Bruno Eberhardt verstorben. Durch seine Abfassung ist 1900 die erste Ortsgeschichte unter dem Titel Krummhübel einst und jetzt erschienen. Durch einen merkwürdigen Zufall wurde dem Verstorbenen als letzte Ruhestätte das zur Auflassung freigegebene Grab des 1877 durch Wilderer erschossenen Försters Frey bestimmt. Beim Ausheben des Grabes fand man einen größeren Granitstein, den Wolfshauer Forstarbeiter bei der Beerdigung Freys in dessen Grab gelegt hatten. Nur wer als Volkskundler um die Bedeutung dieser Handlung weiß, als einem zauberabwehrenden Mittel, den Wiedergang eines Ermordeten zu verhindern, wird es reizvoll finden, zu erfahren, daß dieser Stein als Grundstein für eine später zu errichtende katholische Kirche bestimmt wurde. So jedenfalls hat es – wenngleich auch ohne volkskundliche Erklärung –- Pfarrer Hitschfeld aufgezeichnet. Und wirklich ist der etwa 10 Zentner schwere Granitstein 1909 nach Krummhübel zurückgebracht worden, um dort zum Bau seiner Bestimmung zu dienen.

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Der Gedenkstein für Förster Frey befindet sich unterhalb der Seilbahn zur Schneekoppe, ca. 150–200 m vom Seilbahnmasten N°19, rechts von der Fahrtrichtung. Der Gedenkstein wurde umgeworfen und befindet sich ca. 5m unterhalb des Sockels. Er soll wieder instand gesetzt und aufgerichtet werden.

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(Der zweite Teil des Artikels ist mithilfe dieses Links zugänglich.)

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