Redaktionelle Notiz: Grażyna Prawda ist Diplom-Ökonomin, Übersetzerin und Autorin. Zuletzt veröffentlichte sie 2017 in Zusammenarbeit mit Helmuth James v. und Freya Moltke: „Abschiedsbriefe / Listy na pożegnanie“. Überdies schreibt sie historische Aufsätze in der Zeitschrift „Karkonosze“ (Riesengebirge). Derzeit lebt sie in Warschau. Der nachfolgende Beitrag wurde ursprünglich auf polnisch geschrieben und erschien zuerst neben einer deutschen Übersetzung in „Gruss aus Lomnitz/Pozdrowienia z Łomnicy. Informationsheft des Vereins zur Pflege schlesischer Kunst und Kultur e.V. (VSK), Ausgabe Nr. 63, Dezember 2019, S. 28-36“. Für die Genehmigung der Veröffentlichung danken wir herzlich.
Am 30. Dezember 2019 jährt sich zum 200. Mal der Geburtstag von Theodor Fontane. So ist das eine gute Gelegenheit, sich an den herausragenden Romancier des 19. Jahrhunderts, einen Vertreter des sogenannten deutschen bürgerlichen Realismus, zu erinnern. Seine großen Romane schrieb er aber erst nach seinem 60. Lebensjahr. In jungen Jahren war er als Apotheker, dann als Journalist sowie Theaterkritiker tätig. Fontane unternahm Reisen durch England, Schottland, die Mark Brandenburg und Pommern. Letztendlich besuchte er, was aber weniger bekannt ist, mehrmals das Riesengebirge. Ein literarisches Ergebnis dieser Reisen war u. a. der Roman Quitt von 1890.
In Deutschland hat das Interesse am Schaffen von Theodor Fontane trotz des langen Zeitlaufs nicht nachgelassen. Sein bedeutender Roman Effi Briest (1894) nimmt immer noch einen wichtigen Platz im Kanon der Schullektüren ein. Heutzutage erlebt das fünfbändige Werk die Wanderungen durch die Mark Brandenburg, das er in den Jahren 1862/1888 geschrieben hat, eine wahre Renaissance. Dieser literarische Bericht führt heute viele Liebhaber von Wanderungen sozusagen „auf die Spuren von Theodor Fontane.“
In Polen ist Fontane eher einer kleinen Leserschaft bekannt, obwohl die Hälfte seiner Romane ins Polnische übersetzt und der erste Roman Schach von Wuthenow 1953 veröffentlicht wurde. Die in den Werken von Theodor Fontane geschilderte Welt ist den Menschen in Polen kulturell wohl etwas fremd, auch wenn einige der dort beschriebenen Orte nach dem Jahr 1945 zu ihrer Heimat wurden. Ein Versuch, sich dieser Vergangenheit zu öffnen, kann jedoch helfen, sie auch besser zu verstehen und sogar eine Brücke in die Zukunft zu schlagen. Anlässlich der runden Geburts- oder Todestage des Schriftstellers bemühen sich einige Orte in Pommern, Großpolen sowie im Lebuser Land oder in Schlesien, an denen sich der Schriftsteller aufhielt oder sich die Handlungen seiner Bücher abspielten, dem polnischen Publikum das Leben und Schaffen von Fontane näher zu bringen und organisieren oft in Kooperation mit einem deutschen Partner wissenschaftliche sowie kulturelle Veranstaltungen.
Wie ist es dazu gekommen, dass der Apotheker Fontane in das Pantheon der großen deutschen Künstler aufgenommen wurde? Welche Rolle spielte das Riesengebirge in seinem Schaffen?
Der Apotheker Fontane
Heinrich Theodor Fontane wurde am 30. Dezember 1819 im brandenburgischen Städtchen Neuruppin geboren. Seine Vorfahren waren Hugenotten,[1] denen das protestantische Preußen Zuflucht vor Verfolgungen bot. Sein Vater war Apotheker, der wegen seiner Spielsucht fast bankrott ging und die Apotheke verkaufen musste. Für den Rest des Geldes kaufte er eine andere Apotheke im billigeren Swinemünde, d. h. dem heutigen Świnoujście. Theodor war damals fast 8 Jahre alt. In seiner Autobiografie Meine Kinderjahre (1894), die er am Ende seines Lebens im Jahre 1894 schrieb, schilderte Fontane seinen fünfjährigen Aufenthalt an diesem Ort und gab exakt die damalige Lebenssituation in dieser Stadt im 19. Jahrhundert wieder. Die Familie zog nach Neuruppin zurück, weil der Vater wieder in Schulden geriet. Fontane hat es geschafft, sich zum Apotheker ausbilden zu lassen. Am Prüfungstag an der Gewerbeschule – er war damals 20 Jahre alt – veröffentlichte der Berliner Figaro die erste Folge seiner Novelle Die Geschwisterliebe. Zu Hause rühmte er sich nur der bestandenen Prüfung und erwähnte kein Wort über den zweiten Erfolg „zum Novellisten erhoben“ zu werden, wie er dies selbst im nächsten Teil der Autobiografie Von Zwanzig bis Dreißig (1898) formulierte, „weil mir die Sache zu hoch stand, um sie vor ganz unqualifizierten Ohren auszukramen.“
Mit seinen Balladen zu Ehren preußischer Generäle (z.B. Der alte Zieten) erlangte er nicht nur Anerkennung bei Anhängern des reaktionären Preußens, sondern auch des elitären Künstlervereins Der Tunnel über der Spree in Berlin, in den er 1844 aufgenommen wurde. In demselben Jahr meldete er sich freiwillig für ein Jahr zum Militärdienst in der kaiserlichen Armee, in der er sich den Dienstgrad Korporal (Unteroffizier) erdiente.
Revolutionär Fontane
Als Völkerfrühling Anfang 1848 Berlin erreichte, klärte er dies so:
Man hatte hier die alte Wirtschaft satt. Nicht dass man sonderlich unter ihr gelitten hätte, nein, das war es nicht, aber man schämte sich ihrer. Aufs Politische hin angesehen, war in unserem gesamten Leben alles antiquiert..
Während der denkwürdigen Märzereignisse von 1848 nahm er an Barrikadenkämpfen teil. Aber alles, was er tat, jedes Handeln, scheiterte und hinterließ in ihm ein Gefühl von Verbitterung und Enttäuschung. Er kannte es aus der Literatur, dass, wenn große Dinge geschehen, sie durch das Läuten der Glocken kundgetan werden. Er rannte also aus seiner Apotheke zu der nah gelegenen Kirche, konnte aber die geschlossene Tür nicht aufbrechen. „Kleinlaut“ kam er in sein Zimmer zurück. Nach einer Stunde des stummen Blicks auf die Decke stellte er fest, dass er nicht untätig einfach so warten konnte. So ging er in die Stadt und schloss sich einer Rebellengruppe an, die gerade den Einlass ins Theater erzwingen wollte. Ihre Beute sollte eine Waffe sein, aber wie es sich herausstellte, war dies eine kaputte und nutzlose Waffenattrappe. Dann atmete er „wie erlöst“ auf, denn es war ihm fremd „bloß zu fallen, um zu fallen“ und „Heldentum ist eine wundervolle Sache, so ziemlich das Schönste, was es gibt, aber es muß echt sein. Und zur Echtheit, auch in diesen Dingen, gehört Sinn und Verstand. Fehlt das, so habe ich dem Heldentum gegenüber sehr gemischte Gefühle.“
Während der Revolution schrieb er mehrere politische Beiträge für eine radikal-liberale Zeitung in Dresden. Schließlich wurde er sogar Wahlmann und hatte einen direkten Einfluss auf die Wahl eines Abgeordneten in die Nationalversammlung. Das erste frei gewählte deutsche Parlament, das in den Jahren 1848/49 in der Frankfurter Paulskirche tagte, wurde bereits nach einem Jahr mit dem Niedergang der Revolution aufgelöst. Die Hoffnungen auf Demokratisierung Deutschlands waren gescheitert. Der enttäuschte Fontane fasste es in einem Satz zusammen: „Volkswille war nichts, königliche Macht war alles“ und eine „revolutionäre“ Episode in seinem Leben hat er mit einem Satz quittiert, dass es „erstes und letztes Auftreten als Politiker“ war.
Journalist Fontane
1850 heiratete er Emilie Rouanet-Kummer und gab seine Arbeit in der Apotheke auf, obwohl er nach einer zehnjährigen Praxis die Approbation als Apotheker erster Klasse erhielt. Diese wohl doch riskante Entscheidung brachte ihn fast um seine Existenz. Um die Familie zu unterhalten, nahm er den Vorschlag einer Arbeit als Scriblifax (heute würden wir Copywriter oder Ghostwriter sagen) im sogenannten Literarischen Cabinett an, das bald in die Centralstelle für Preßangelegenheiten umbenannt wurde. Es war eine neue Einrichtung, die vom Innenminister Otto von Manteuffel, dem späteren Ministerpräsidenten und Außenminister, berufen wurde. Nach einer offiziellen Abschaffung der Zensur hatte sie Ambitionen, die Meinung der Gesellschaft zu beeinflussen. Auf Bestellung der Regierung bereitete Fontane unter Pseudonym desinformative Beiträge vor und war eher nicht stolz darauf:
Ich habe mich heut der Reaction für monatlich 30 Silberlinge verkauft und bin wiederum angestellter Scriblifax […] Man kann nun mal als anständiger Mensch nicht durchkommen. Ich debütiere mit Ottaven zu Ehren Manteuffels. Inhalt: Der Ministerpräsident zertritt den (unvermeidlichen) Drachen der Revolution.[2]
Diese Arbeit eröffnete ihm merkwürdigerweise neue Möglichkeiten, die für seine weiteren Lebensjahre ausschlaggebend waren. Manteuffel selbst unterstützte seine Kandidatur für die Stelle des Korrespondenten im eingerichteten Büro der preußischen Presseagentur in London, wo Fontane mehrere Jahre verbrachte. Nicht so sehr beeindruckt von der Architektur sondern eher vom zivilisatorischen Fortschritt in der Wirtschaft und im Sozialsystem Englands, berichtete er und schrieb Beiträge darüber. Er reiste durch die Insel und sammelte Materialien für seine Bücher. Eins von ihnen sind Reiseberichte aus Schottland Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Die Idee – nach dem Vorbild von Walter Scott – dem Leser eine sich durch nichts auszeichnende Region näher zu bringen, übertrug er auf seine Heimat, die Mark Brandenburg. Im Jahre 1862 entstand der erste Teil der Wanderungen und in einem Jahr der nächste Teil „Das Oderland“, dessen Fragmente in die polnische Sprache übersetzt und im Jahre 2000 in der Sammlung Po tamtej stronie Odry [Auf der anderen Seite der Oder] veröffentlicht wurden. Hier wurden Orte wie Tamsel (Dąbroszyn), Küstrin/Oder (Kostrzyn n. Odrą) und Zorndorf (Sarbinowo) beschrieben. Fontane erreichte auch Marienfließ (Marianów) bei Stargard, wo ihn die Geschichte von Sidonia von Bork interessiert hat. 1881 legte er dem Verleger sogar einen umfangreichen Romanentwurf vor, aber letztendlich schrieb er den Roman nicht. Vielleicht wegen der Arbeitsbelastung, weil eben dann die fruchtbarste Zeit seines literarischen Schaffens begann. Fontane veröffentlichte bis zum Ende seines Lebens im Jahre 1898 viele Romane. Nach der Mark Brandenburg richtete er sein Interesse auf das Riesengebirge, das zunehmend in Mode kam.
Romancier Fontane
Aufenthalte im Riesengebirge
Fontane kam im Jahre 1868 zum ersten Mal ins Riesengebirge. Die neu entstandene Eisenbahnverbindung zwischen Berlin und Görlitz hat ihn wohl ermutigt, in diese Region zu reisen. Das Riesengebirge, das schon damals höchste Gebirge im Königreich Preußen, wurde zu einem sehr beliebten Ziel zur „Sommerfrische“. Der Reiseverkehr nahm nun Jahr für Jahr zu. So wie sich Anfang des 19. Jahrhunderts die königliche Familie und der preußische Adel im Riesengebirge ihre Sommersitze einrichteten, so kamen nun Ende des 19. Jahrhunderts massenhaft das wohlhabende Bürgertum und sogar arme Studenten hierher.
Im August 1868 kam Fontane nach Erdmannsdorf (Mysłakowice), um – wie er zu sagen pflegte – der „Berliner Malarialuft“ und auch der anstrengenden Arbeit für die Neue Preußische Zeitung zu entfliehen. Er wollte aber vor allem in Ruhe an den mitgenommenen Romanskizzen arbeiten. Aus Platzmangel in dem Hotel Zum Schweizerhaus mietete er beim Ortsgendarmen Brey ein bescheidenes Zimmer im Dachgeschoss. Am 28. August 1868 schrieb er an seine Frau, dass es dort „nach gestoßenem Pfeffer und Himbeeräpfeln“ roch. Der Tag verlief ihm nach einem festgelegten Rhythmus: um halb acht Uhr Aufwachen, um neun Frühstücken, d.h. ein Butterbrötchen mit Kaffee. Dann atmete er eine Viertelstunde die kühle Bergluft ein und genoss dabei das Grün der Umgebung und die Stille. Anschließend las er, arbeitete einige Stunden, aß zu Mittag. Am Nachmittag ging er dann spazieren, kam zurück, um um sieben Uhr das Abendbrot zu einzunehmen und danach wieder bis spät in die Nacht bei Kerzenlicht zu arbeiten. Wahrscheinlich schrieb er damals ein Buch über den österreichisch-preußischen Krieg von 1866.
Ein Jahr später begleitete ihn die Familie des Geheimrates von Wangenheim,[3] bei der Fontane in der Vergangenheit als Hauslehrer arbeitete. Beide Herren verband eine herzliche Freundschaft. Sie besichtigten damals Hermsdorf (Sobieszów), Kynast (Chojnik), Schreiberhau (Szklarska Poręba) und Warmbrunn (Cieplice).
Im Jahre 1872 verweilte er wieder im Riesengebirge. Vorher jedoch im Jahre 1870 brach er die Zusammenarbeit mit der konservativen Kreuzzeitung ab und begann anschließend mit der liberalen Vossischen Zeitung zusammenzuarbeiten, für die er Theaterkritiken schrieb. Im Herbst dieses Jahres begab er sich in von Preußen besetzte Gebiete in Frankreich, das im Kriegszustand mit Preußen stand. Dort wurde er festgenommen und unter Spionageverdacht interniert. Otto von Bismarck selbst – was er nicht wusste – vermittelte seine Freilassung.
Während seines Aufenthalts, diesmal in Krummhübel (Karpacz), arbeitete er am dritten Band der genannten Wanderungen unter dem Titel „Havelland“. Seine Nachmittagsspaziergänge schloss er gewöhnlich mit einer Rast auf seiner Lieblingsbank am Eingang zum Melzergrund (Kocioł Łomniczki) ab.
Nach zwanzig Jahren, 1884, kam es zu dem nächsten Besuch in Krummhübel (Karpacz). Bevor er bei dem Bergführer Schreiber Unterkunft bekam, hielt er sich im Augustabad auf, einem frisch eröffneten Gasthaus, das von Nonnen betrieben wurde. Dort traf er übrigens den bekannten Ortsgendarmen Brey, der nach seiner Pensionierung das Gasthaus verwaltete. Dieser Platz unter einem anderen Namen „Teobaldstift“ wurde zur Inspiration für eine der sogenannten „schlesischen Geschichten“ unter dem Titel Gerettet!, die Fontane 1891 schrieb.
In Begleitung seiner Frau machte er oft Spaziergänge in Richtung Wolfshau (Wilcza Poręba) sowie Obersteinseifen (Ścięgny) und unterwegs kehrten sie in das Gasthaus Zum Rabenstein (Kruczy Kamień) in der Nähe von Zimmerberg(Izbica) und Rabenfelsen (Krucze Skały) ein, einem beliebten Ziel der Wanderer und Schürfer von Mineralien, insbesondere Amethysten. Herr und Frau Fontane gingen auch zur Annakapelle, wo sie unweit der Kapelle in einem Gasthaus eine abwechslungsreiche Mahlzeit aus Weinsuppe, Forellen und Pfannkuchen einnahmen. Für die Riesengebirgsküche war das ein atypisches Menü, aber anscheinend entsprach es dem Geschmack der Fontanes. Er selbst machte nur eine Bemerkung, dass die Portionen nicht sehr groß waren.
Als er im Juni nächsten Jahres nach Krummhübel kam, wurde er vom Regenbogen und einem wunderschönen weiß-schwarzen Vogel auf der Fensterbank seines Zimmers begrüßt. Fontane äußerte sich über den Vogel mit den Worten, er sei „viel graziöser als die Preußen“ und „ich kann den Friedensbogen und eine poetische Vogelstimme gleich gut gebrauchen, jenen zum Abschluss, diesen zum Anfang.“ Und bereits am nächsten Tag lud er den Ortslehrer Loesche zu sich ein, den er bereits früher kennen gelernt hatte. Dieser sollte Fontane noch einmal die tragische Geschichte vom Förster Frey erzählen, der im Jahre 1877 von einem Wilderer erschossen worden war (siehe Beitrag von Ullrich Junker im „Gruss aus Lomnitz, Ausgabe 60/2018“). Einige Tage später begab sich Fontane mit seiner Frau an den Ort dieses Geschehens, von wo aus ihn aber auch der schöne Blick auf das Hirschberger Tal begeisterte. Zum Gedenken an diese Tat wurde hier sogar ein Denkmal errichtet, an dem folgende Inschrift zu sehen war:
In einem Brief an seine Tochter Martha gab er einen ziemlich umstrittenen Kommentar dazu ab.
Ich finde dies zu stark. Foerster und Wilddiebe leben in einem Kampfe und stehen sich bewaffnet, Mann gegen Mann, gegenüber: der ganze Unterschied ist, daß der eine auf dem Boden des Gesetzes steht, der andere nicht. Aber dafür wird der eine bestraft, der andere belohnt; von Mord kann in einem ebenbürtigen Kampfe nicht die Rede sein.
Dieses Ereignis hat Einzug in den Roman Quitt gefunden, der 1890 veröffentlicht wurde. Dieses Werk enthält viele Bezüge zum Riesengebirge und seinen Bewohnern.
Auch Dr. Georg Friedlaender, Amtsgerichtsrat aus Schmiedeberg, lieferte Theodor Fontane Einzelheiten dieser Geschichte. Im April 1886 fragte Fontane ihn im Brief nach der „Brieftasche des Försters Frey“, weil er im Sommer diese Geschichte schließlich schreiben wollte. Georg Friedlaender, fast 25 Jahre jünger als Theodor Fontane, wurde nicht nur sein herzlicher Freund und Vertrauter sondern insbesondere ein wahrer „Wissensschatz“ über die Geschichte der Region und deren Bewohner. 14 Jahre lang standen sie in einem lebhaften Briefwechsel und obwohl nur Briefe an Friedlaender (276) erhalten blieben, ist das ein äußerst wertvolles historisches Dokument, denn es gibt viel Auskunft über die Persönlichkeit Theodor Fontanes. Der Schriftsteller beschreibt Ereignisse sowohl getreu als auch gleichzeitig mit viel Humor. Er scheut auch keine noch so kritischen Worte gegenüber dem preußischen Staat.
Aus zwei Briefen vom Februar 1888 können wir auch erfahren, wie seine Schreibkunst war:
Ich will kl. rührsame Ballade schreiben und habe die Geschichte, vom Thüringer Wald her wo sie eigentlich spielt, nach dem Riesengebirge verlegt und zwar auf die Strecke: Seidorf-Annakapelle. […] Nun brauche ich […]Namen, […]um den Lokalton herauszubringen… […] Man braucht die Namen-Anregung und das Bewußtsein, daß ein bestimmtes Quantum von Sachlichem neben einem liegt – und aus diesem Besitz-Bewußtsein heraus producirt man dann.
Nach weiteren Aufenthalten in Krummhübel (Karpacz) in den Jahren 1886 und 1887 entschied er sich im folgenden Jahr, höher in den Bergen (820 m über dem Meeresspiegel) in der Brodtbaude[4] (heute Erholungseinrichtung Stokrotka) zu wohnen, wo er den ganzen Sommer über an der Korrektur von Quitt arbeitete. Er hat dies mit Humor zusammengefasst: „Die Brotbaude habe ich nun hinter, das Brot, nach dem die Kunst geht, wieder vor mir.“
In die Brodtbaude kam er noch einmal im Jahre 1889.
Auch in demselben Jahr bekam Theodor Fontane das Stück Vor Sonnenaufgang von Gerhart Hauptmann zur Bewertung eingereicht. So wie früher wehrte er sich dagegen und sagte: „Schleppt mir nur nicht etwa diesen jungen Menschen ins Haus. Ich will keine Enttäuschung erleben!“ aber nachdem er zwei Akte gelesen hatte, stellte er fest, dass dies „natürlich Schule Ibsen“ sei und von den drei nächsten begeistert, nannte er Hauptmann „ein völlig entphraster Ibsen. Mit andern Worten, ist das wirklich, was Ibsen bloß sein will, aber nicht kann…“
Zum 70. Geburtstag des Schriftstellers bedankte sich Hauptmann für die wohlwollende Kritik. Fontane lud jedoch ein Jahr später „den jungen Mann“ zum Abendessen zu sich nach Hause ein und war offensichtlich darüber aufgeregt. Obwohl er sich später des Kommentars zum Hauptmanns neuen Stück Einsame Menschen enthielt und in Hanneles Himmelfahrt nicht naturalistische Akzente sondern eher eine „neoromantische Mystik“ fürchtete, machte das Drama Die Weber einen positiven Eindruck auf ihn. Er war sich dessen bewusst, dass Hauptmanns Schaffen, das eine neue naturalistische Richtung einschlug, einen Umbruch in der Literatur darstellte, und die Epoche des bürgerlichen Realismus, die er vertrat, zu Ende ging. Dies galt nicht nur für die Literatur. Die Gesellschaftsordnung, in der er leben musste, geriet ins Wanken. Im Jahre 1896 schrieb er im Brief an James Morris über die „vierte Schicht“, die zu Wort kam, denn
[…] das, was die Arbeiter denken, sprechen, schreiben, hat das Denken, Sprechen und Schreiben der altregierenden Klassen tatsächlich überholt, alles ist viel echter, wahrer, lebensvoller. Sie, die Arbeiter, packen alles neu an, haben nicht bloß neue Ziele, sondern auch neue Wege.
Im Jahre 1892 besuchte Fontane letztmals das Riesengebirge und hielt sich hier in der Villa Gottschalk, in der Tiroler Kolonie, auf. Er hoffte, sich durch diesen Aufenthalt in den Bergen bei Freunden und Bekannten von der deprimierenden Stimmung, in der er sich lange Zeit schon befand, befreien zu können. Obwohl er den Schiller-Preis erhielt, versetzten ihn eine Schreibblockade und das Gefühl der Unterschätzung in einen depressiven Zustand. „Alles grau in grau; der Truebsinn hat die Oberhand“, schrieb er an seinen Freund Karl Zöllner. „Keine Therapie war wirkungsvoll, weder mit Morphium noch mit Brom, noch mit einer Flasche Rotwein täglich“. Die Empfehlungen eines anderen Arztes, nur Brühe, Hühnerbrust und Kalbfleisch zu essen, halfen auch nicht. Und das „Elektrisieren“, dem er sich bei Dr. Hirt in Breslau unterzogen hat, „regte ihn mehr auf, als es ihn beruhigte“. Er zog sogar die Möglichkeit in Betracht, nach Schmiedeberg zu ziehen, denn Schmiedeberg bedeutete ihm „einen Platz zum Rückzug aus dem Leben, bis zum Erlöschen“.
Der Hausarzt empfahl ihm schließlich seine ehrgeizigen schöpferischen Pläne aufzugeben und einfach seine Erinnerungen zu schreiben, was eine erlösende Wirkung hatte und zu seiner vollständigen Heilung führte. Bei seinen Erinnerungen an die Kindheit und Jugend entstand die Idee, die Handlung von Effi Briest nach Pommern zu verlegen. Hinter der Ortsbezeichnung Kessin verbarg sich der Ort Swinemünde. Dieser Roman wurde zu seinem größten Erfolg. Wie in anderen Werken erweist sich Fontane als ein scharfsinniger Beobachter der preußischen Gesellschaft. Sie war durch veraltete moralische Normen und Konventionen gefesselt, denen meist Frauen zum Opfer fielen. Mit Hilfe von Dialogen verstand er die Personencharakteristik meisterhaft zu schildern.
Die Idee, nach Schmiedeberg zu ziehen, setzte Fontane nicht um. Er kam nie wieder ins Riesengebirge, aber verewigte es in einigen Erzählungen, die im Band Von vor und nach der Reise (1894) gesammelt wurden und heute ein Zeugnis von der Kultur und Mentalität seiner Bewohner ablegen. Zum Gedenken an den 200. Geburtstag von Theodor Fontane wird eine zweisprachige Ausgabe dieser Erzählungen beim Ad-Rem-Verlag in Hirschberg geplant.
Nachweise:
[1] Theodor Fontane: Fontanes Briefe in zwei Bänden. Bd. 1. Hrsg. von den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der Klassischen Deutschen Literatur in Weimar. Ausgewählt und erläutert von Gotthard Erler. Berlin/Weimar 1968, S. 69.
[2] Theodor Fontane: Fontanes Briefe in zwei Bänden. Bd. 1. Hrsg. von den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der Klassischen Deutschen Literatur in Weimar. Ausgewählt und erläutert von Gotthard Erler. Berlin/Weimar 1968, S. 69.
[3] Geheimrat Karl Hermann Freiherr von Wangenheim. Einer der besten Freunde Fontanes. Er war bei ihm Hauslehrer. In: Conrad Hoefer, Theodor Fontane und die Familie von Wangenheim, 1939. https://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jparticle_00247416
[4] Wir finden in der Literatur und auf alten Ansichtskarten die Schreibweise „Brotbaude“ u. „Brodtbaude“. Der herrschaftliche Jäger Gottlieb Brodte kaufte die Baude am 12. Juli 1779 und wurde somit Namensgeber dieser Baude.
Guten Tag!
Mit sehr großem Interesse habe ich den Beitrag von Grazyna Prawda über Fontane im Riesengebirge gelesen. Sehr gut recherchiert bis auf eine Kleinigkeit. Meines Wissens befindet sich die Villa Gottschalk (Aufenthaltsort mit Tochter Martha 1892) nicht in der Tiroler Kolonie direkt in Myslakowice, sondern in Myslakowice-Kostrzyca (früher Quirl-Drehort) Tokarska 7.
Siehe dazu bitte auch Fontane im Riesengebirge by riesengebirgler.de oder im Internet bei Google: einfach Kowary eingeben und in der nördlichen Verlängerung der Straße Jeleniogorska (früher Hirschberger Straße – hier wohnte übrigens Amtsrichter Georg Friedländer in der Haus-Nr. 32!) die Tokarska 7 suchen. Wenn man diese gefunden hat, von Südosten nach Nordwesten durch Klick in die Straße hinein und Routine Google Street View die Nr. 7 auf der linken Straßenseite bitte suchen. Gegenüber auf der rechten Seite der Straße wird übrigens „Vakantiewoning Beztroski Dom“ automatisch angezeigt. Durch Anklicken des Grundstücks wird auch ein Foto sichtbar, welches mit dem Foto by riesengebirgler.de übereinstimmt. Die Villa Gottschalk wird durch einen Sicherheitsdienst aus Karpacz überwacht!
Ich wünsche allen „Fontanisten“ eine gute Zeit!
Gerd Laeser
Lübbenau
04.10.2020