Fontane als Herzensmann: Liebesbriefe eines Realisten

In der langen Kulturgeschichte des Briefwechsels, die bis in die Antike reicht, scheinen sich die schriftlichen Erzeugnisse unter Liebenden in besonderer Weise hervorzutun. Gemessen an den zahlreichen Publikationen von Liebesbriefen, ließe sich behaupten, dass es vor allem die poetischen Verehrungen und geheimen Botschaften berühmter Männer sind (z.B. Napoleon, Beethoven, Kafka), die eine beachtliche Faszination auf den Leser ausüben. Die Literaturwissenschaftlerin Eva Wyss stellt auf der Grundlage intensiver Forschung die These auf, dass es sich bei dem Liebesbrief um eine vornehmlich männliche Gattung handelt. Sie begründet dies damit, dass der sonst eher rational veranlagte Mann im Brief die Möglichkeit ergreift, seinen Emotionen Ausdruck zu verleihen. Obwohl sich diese Behauptung im Rahmen der Geschlechterforschung kontrovers diskutieren ließe, halte ich es für zutreffend, dass gerade die Gefühlswelt der Menschen, die vordergründig eher von Vernunft bestimmt werden, ein allgemeines Interesse erweckt.

Theodor Fontane, der sich in seinen Werken als sachlicher Beobachter hervortut und die überschwänglichen Affekte der Romantiker ablehnt, ließe sich einem solchen Menschentypus zuordnen. Insbesondere das vermehrte Scheitern von Liebesbeziehungen in Fontanes Romanen steigert das Bedürfnis, die persönlichen Herzensangelegenheiten des Autors zu ergründen. Der Ehebriefwechsel zwischen Theodor Fontane und seiner Frau Emilie (ich beziehe mich im Folgenden auf die Ausgabe Emilie & Theodor Fontane. Die Zuneigung ist etwas Rätselvolles. Eine Ehe in Briefen) gewährt nicht nur einen wahrhaftigen Einblick in die private Sphäre des bekannten Literaten, sondern ist zugleich ein Zeugnis von Liebesbriefen mit schriftstellerischer Qualität. Der briefliche Austausch, den dieser Band dokumentiert, umfasst einen Zeitraum von 46 Jahren – in dieser epochalen Größe liegt, meines Erachtens, eine Liebesbekundung an sich.

Dinge, die das Herz bewegen

Bereits im ersten Brief der Sammlung, datiert auf den 6. April 1852, offenbaren sich Momente, die Fontane als „Herzensmann“ (wie ihn Emilie nennt) ausweisen. Der Schriftsteller befindet sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Weg nach London und berichtet seiner Frau in unterhaltsamer und ausführlicher Manier von den Reiseerlebnissen. So erklärt Fontane nahezu sentimental, dass der Kölner Dom das Großartigste sei, was er je gesehen habe, und dass von dem Bauwerk Kräfte ausgingen, die „das Menschenherz bewegen“ (S. 14). Die Episode illustriert einen Hang zur Schwärmerei, doch im Gegensatz zu dieser emotionalen Äußerung kommen die Gefühle für seine Frau und die Auswirkungen der Trennung erst am Ende der Nachricht zur Sprache. Er schreibt:

Wenn dieser Brief keine Liebes- und Sehnsuchtsversicherungen enthält, so suche die Gründe nicht anders als wo sie liegen. Ich darf ehrlich behaupten, daß ich vielfach in Worten und immer in Gedanken um Dich […] bin. (S. 15)

Die Gründe, auf die sich Fontane hier bezieht, bleiben dem Außenstehenden verborgen. Fällt es dem Schriftsteller schwer, seine Zuneigung und Sehnsüchte offen darzulegen? Oder fürchtet er, dass dieser Brief einem anderen Menschen in die Hände fallen könnte? Was es auch sei, beachtlich ist: Fontane macht selbst auf die mangelnden Liebesbekundungen aufmerksam und schafft es letztendlich, den Missstand auf wahrhaftige und diskrete Art zu beheben. Durchaus ironisch ist die Tatsache, dass sich der Mythos vom undurchdringlichen Mann, der sich im geschriebenen Wort offenbart, an dieser Stelle sowohl bestätigt als auch widerlegt. Die Wechselseitigkeit von Zurückhaltung und Wahrhaftigkeit ist ein wiederkehrendes Phänomen,  dass den Fontane’schen Briefen zu eigen ist.

Fontane zeigt sich auf ganz unterschiedlichen Gebieten begeisterungsfähig und sozusagen ‚mit vollem Herzen dabei‘, doch niemals verklärt oder unkritisch. Und so hält er es offenkundig auch in Sachen Liebe: jedem Kompliment, jeder Gefühlsbekundung folgt ein ‚aber‘. Nirgendwo wird dieser Umstand so deutlich wie in den Zeilen vom Oktober 1869:

[…] ich will Dir lieber sagen, was Dir das liebste sein wird, daß ich mich glücklich schätze Dich zu besitzen und daß ich ganz glücklich und ganz zufrieden sein würde, wenn Du gleichmäßiger wärst und Macht über Deine Stimmungen hättest. (S. 125)

 Die Liebe ist ein weites Feld

Die Ehejahre der Fontanes sind gezeichnet von ungewissen Lebensumständen und tragischen Ereignissen. Finanzielle Nöte, wechselnde Anstellungen und Wohnorte sowie der frühe Tod dreier Kinder stellen die Beziehung immer wieder auf eine harte Probe. Obwohl der Schriftsteller kompromisslos seine persönlichen Interessen verfolgt, wird doch deutlich, dass ihm der Austausch mit seiner „liebe[n] süße[n] gute[n] Mila“(S. 26) ein Lebensbedürfnis ist. In einem besonderen Moment schreibt Fontane seiner Frau:

[…] wir werden immer lebhaft, espritvoll und gesellschaftlich-liebenswürdig bleiben und die Menschen werden sich immer ein Vergnügen und eine Ehre daraus machen uns zu Gaste zu laden, […](S. 157)

Die Wesenszüge des Schriftstellers werden anhand dieser Briefe in jeglicher Facette sichtbar, doch zu einer unvorhergesehenen Enthüllung kommt es nicht. Die Vermutung, dass aus Fontanes Feder keine überschwänglichen Passionen stammen, wird ausnahmslos bestätigt und durch Emilies wiederkehrende Beanstandung manifestiert. Im Gegensatz zu seiner Frau, die ihre Liebe offen zum Ausdruck bringt, sind Fontanes Bekundungen meist förmlich und verhalten. So schreibt der Autor im Juni 1862:

Du fragst, ob Du mir fehlst? Allerdings fehlst Du mir, nicht wegen Suppe und Braten […] sondern aus ganz anderen Gründen. (S. 89)

Dass diese Zeilen der beunruhigten Emilie nicht zur inneren Erfüllung reichen, ist nachvollziehbar. Statt das poetische Geschick zu nutzen, bleibt Fontane seinem Charakter treu und führt seine Nüchternheit auf strapaziöse Lebensumstände zurück. Fontane verlangt seiner klugen und verständnisvollen Gattin über die Jahre einiges ab und ist doch oft grob in seinen Worten und seinem Urteil. Emilie schreibt im Mai 1870:

Sobald ich durch irgend etwas Dir unangenehm bin, sobald ich Dir entgegen stehe, sprichst Du von einer 20 jährigen, unerträglichen Ehe. (S. 150)

Auch ein einfaches ‚Ich liebe Dich‘ sucht man in den Briefen des Schriftstellers vergeblich. Es ist deutlich erkennbar, dass sich Fontanes Zuneigung zu Emilie in erster Linie über seinen Intellekt vermittelt: im geistigen Austausch mit ihr und seinem Interesse an ihr. So erscheint es wie eine ultimative Liebeserklärung, wenn Fontane im Dezember 1869 feststellt: „Du hast brillante Einfälle und bist scharfsinnig im Erkennen der Menschen […].“ (S. 130)

Die eigentliche Offenbarung des Ehebriefwechsels

Die, laut Herausgeber (vgl. S. 235), lange Zeit unterschätzte Emilie Fontane ist meines Erachtens die wahre Entdeckung dieser Briefsammlung. Wie Gotthard Erler eindrücklich belegt, ist Emilie nicht nur die treue Lebensgefährtin des berühmten Schriftstellers, sondern zugleich „Erzieherin der vier Kinder, Lektorin, Sekretärin, Verbindungsfrau zum großen Freundeskreis“ (S. 234) sowie fleißige Abschreiberin und Mitarbeiterin im Schriftsteller-Laden. Der Brief vom Juni 1883 macht deutlich, dass sich Emilie auch an der künstlerischen Gestaltung der Romane beteiligt. Sie schreibt unter anderem:

Der Schluß des Kapitel’s, wo er seine Stellung zu ihr in Erwägung zieht [ist] doch fast zu zurecht gemacht u. grußlich. (S. 251)

 Die Sammlung bringt somit nicht nur eine ‚rätselvolle Zuneigung‘ ans Licht, sondern belegt zudem die besondere Leistung einer Künstlergattin. Obwohl Emilie an ihrem Mann eine „erotische Gefühlsseligkeit“(S. 195) vermisst und sich immerzu auf neue und ungewisse Lebensverhältnisse einlassen muss, ist sie ihrem eigensinnigen „Herzensmann“ doch stets in tiefer Liebe verbunden und empfindet ihn als die „größte Freude [ihres] Lebens“ (S. 57).

ZUSATZ

Den häufig verkannten Beitrag der Ehefrauen zum Erfolg berühmter Männer bringt die Neusachliche Autorin Mascha Kaléko in dem Gedicht Die Leistung der Frau in der Kultur ironisch auf den Punkt:

Die Leistung der Frau in der Kultur

(Auf eine Rundfrage)

Zu deutsch: „Die klägliche Leistung der Frau“.
Meine Herren, wir sind im Bilde.
Nun, Wagner hatte seine Cosima
Und Heine seine Mathilde.
Die Herren vom Fach haben allemal
Einen vorwiegend weiblichen Schatz.
Was uns Frauen fehlt, ist „Des Künstlers Frau“
Oder gleichwertiger Ersatz.

Mag sie auch keine Venus sein
Mit lieblichem Rosenmund,
So tippt sie die Manuskripte doch fein
Und kocht im Hintergrund.
Und gleicht sie auch nicht Rautendelein
Im wallenden Lockenhaar,
So macht sie doch täglich die Zimmer rein
Und kassiert das Honorar.

Wenn William Shakespeare fleißig schrieb
An seinen Königsdramen,
Ward er fast niemals heimgesucht
Vom „Bund Belesner Damen“.
Wenn Siegfried seine Lanze zog,
Don Carlos seinen Degen,
Erging nur selten an ihn der Ruf,
Den Säugling trockenzulegen.

Petrarcas Seele, weltentzückt,
Ging ans Sonette-Stutzen
Ganz unbeschwert von Pflichten, wie
Etwa Gemüseputzen.
Doch schlug es Mittag, kam auch er,
Um seinen Kohl zu essen,
Beziehungsweise das Äquivalent
In römischen Delikatessen.

Gern schriebe ich weiter
In dieser Manier,
Doch muß ich, wie stets, unterbrechen.
Mich ruft mein Gemahl.
Er wünscht, mit mir
Sein nächstes Konzert
Zu besprechen. 

(aus: In meinen Träumen läutet es Sturm)

 

Für Interessierte empfiehlt sich weiterführend und komplettierend die dreibändige Ausgabe des Ehebriefwechsels, herausgegeben von Gotthard und Therese Erler im Aufbau Verlag.

komplette bibliografische Angabe

Theodor & Emilie Fontane: Die Zuneigung ist etwas Rätselvolles: eine Ehe in Briefen. Hg. von Gotthard Erler. Berlin: Aufbau Verlag 2018.

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