Jürgen Quasners Briefe an Fontane II. – Betreff Heinrich Heine

Datum: 2. Oktober 2021 um 09:07
Betreff: Der Neandertaler/ H. Heine

Sehr geehrter Herr Professor Berbig,
bonjour bei Bewölkung in Metzingen. Am Streiflicht der SZ finde ich
heute nichts zu glossieren. Es ist, ungewöhnlich für die Kolumne, eindimensional; es beginnt mit dem schlechten Ruf des Neandertalers, der bei Tisch rülpst. Dann wird sein Äußeres beschrieben ( Vergleich mit Hofreiter wegen der Frisuren), daraufhin seine elegante Einkleidung im Museum in Mettmann (seine damit mögliche Teilnahme an den Sondierungsgesprächen in Berlin). Zum Schluß wird begrüßt, daß er sich still vom Acker gemacht hat, evtl. ein Tipp an A. Laschet. Der Name taucht aber nicht auf. Weil der N. fast denselben Geburtsort hatte wie H. Heine, für Franzosen Ähn, tippe ich aus Ähns letzten Gedichten die Ausstattung des Menschen teilweise ab: „Gott gab uns …“
Beine hat uns zwei gegeben Gott, der Herr, um fortzustreben …

Die meisten Verse befassen sich mit den Bestandteilen des Gesichts.
Gott gab uns nur einen Mund,
Weil zwei Mäuler ungesund .
Mit dem einen Maule schon
Schwätzt zu viel der Erdensohn.
Wenn er doppelmäulig wär‘,
Fräß‘ und lög‘ er auch noch mehr.
Hat er jetzt das Maul voll Brei,
Muß er schweigen unterdessen,
Hätt‘ er aber Mäuler zwei,
Löge er sogar beim Fressen.
———
Weil diese Anthropologie nicht ganz die Ebenbildlichkeit wiedergibt, eignet sie sich wohl nicht für einen Rundbrief, auch wenn man von da aus auf den Pessimismus Th. Manns übergehen könnte. Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
JQ

Datum: 4. Oktober 2021 um 09:34
Betreff: Fontane blog? /F. und Heine

Lieber Herr Fontane,
bonjour. Weil ich zur Zeit H. Heine lese und Lilges Biografie über ihn, interessiert mich auch Ihre Meinung zu Ihrem Kollegen, der den
Nobelpreis nicht bekommen hat, weil es den Preis noch nicht gab. Daß Sie beide ihn verdient hätten, steht für mich so fest und über allem wie der Loreley-Fels. Zur Beantwortung meiner Frage habe ich mir das Heine-Jahrbuch von 1979, 18. Jahrgang, beschafft.Dort stellt Hans Otto Horch Ihre Beziehungen zu Heine vor unter dem Zitat „Das Schlechte … mit demselben Vergnügen wie
das Gute“ (S.139 bis 176). Wenn Sie doch noch antworten, würde mich sehr interessieren, ob Sie mit Horchs Ausführungen einverstanden sind.Heine sei demnach bei Ihnen ständig präsent von 1837 bis zu einem der letzten Briefe von 1898. In allen Textarten hätten Sie auf Heine verwiesen , 1889 mit der Äußerung, die Horch an den Anfang setzt. 1884 haben Sie brieflich alles von ihm Gelesene „kolossal geistreich, fein, witzig“ gefunden, „kuckte nicht die Verlogenheit und Eitelkeit überall hervor, so wär es Nummer eins.“ Hier, sagt das Horch, reproduzieren Sie „das fatale Klischee von Heine als dem witzigen Lügner“. Diese und eine weitere negative Äußerung wertet Horch als Ausnahmen „in einem ansonsten eindrucksvoll stimmigen Bezugssystem“ (142)… To be continued …
Mit herzlichen Grüßen nach drüben, auch an Heine, wenn Sie ihn sehen,
JQ

Datum: 5. Oktober 2021 um 10:06
Betreff: Fontane über Heine/ F. blog

Lieber Herr Fontane,
bonjour. Welche Erinnerungen Sie nach da drüben mitgenommen haben, weiß ich natürlich nicht. Vielleicht lesen Sie ganz vergnügt, wie Horch Ihr Engagement für Heines Lyrik beleuchtet , das er aus Ihrer Anthologie „Deutsches Dichter-Album“(1851) herausliest: sehr viel Rückert, den Klassizisten, in der ersten Auflage, von Heine und Uhland nur etwa halb so viel, vom früher geschätzten Herwegh nach der gescheiterten Revolution von 48 nur noch sehr wenig. 1852 beschafften Sie sich Heines „Romanzero“ und bewunderten ihn darum noch mehr. Für Sie sei Heine der Inbegriff des originalen Lieder- und  Balladendichters gewesen. Etwas später haben Sie in die Anthologie auch Storm aufgenommen und dessen Vorliebe fürdie „Sezierung erotischer Stimmungen …“ betont. Sie erinnern sich bestimmt, daß es wegen dieser Vorliebe Storms im Tunnel einen Krach gesetzt hat mit Nachwirkungen in Ihrem Briefwechsel mit Storm. Storm hat aber nicht jene Manier nachgeahmt, die, wie Sie sagen, „nur an Heine selbst zu ertragen ist und jeden Nachfolger ruiniert“ (Horch 144). In „Von Zwanzig bis Dreißig“ (1898) verweisen Sie auf Heines Schilderung einer dekolletierten Embonpoint-Madame, die – ich raffe hier stark – ganz Arabien und noch mehr gezeigt habe. Als Bonbon sehe ich Ihr Lob dieser „Verquickung von Übermut und Komik“, womit „eine künstlerische Hochstufe“ erreicht sei. Und damit versänken alle angeblichen Unschuldserotiker „auch moralisch“. Mit bestem Dank für dieses Vergnügen und herzlichen Grüßen,
JQ

Datum: 6. Oktober 2021 um 14:25
Betreff: Fontane über Heine / F blog; Horchs Aufsatz, 2. Teil

Lieber Herr Fontane,
bonjour de nouveau. In der 2. Abt. spricht Horch von Ihren Briefen an Freunde wie Lepel, in denen Sie Heine zitieren, ohne ihn zu nennen. Sie klagen 1842 über die fehlende Poesie, „die Scheherazade, die mir die „märchenhafte Zauberwelt“ erst wahrhaft erschließt …“. Ihre Feststellung, die Muse sei eine spröde Dame, ist ebenso heinesch wie die Apostrophierung der „lieben deutschen Sommersproß-Gesichter“ in einem Reisebericht „Ein Sommer in London“. Horch findet deutliche Parallelen zu Heines „Englischen Fragmenten“. So erinnere Ihr Kapitel „Die Musikmacher“ in seinen satirischen Zügen an Heines „Berliner
Briefe.“ Ähnlich wie Heine lehnen Sie geschmacklose Tendenzpoesie ab. Sie haben die politische und soziale Lyrik Heines aufmerksam verfolgt, Ihr späterer kritischer Lakonismus ist ohne Heine kaum denkbar (Horch 148). So läßt sich Ihr spätes Gedicht „Die Balinesenfrauen …“ (1895) durchaus in der Problemstellung mit Heines „Sklavenschiff“ (1853) vergleichen. Wenn Sie nicht antworten können oder dürfen, klopfe ich bei Heine an, wobei mir wieder nicht klar ist, was es dort oben bedeutet, daß Sie 40 Jahre später als Heine aufgetaucht sind. Und wenn es stimmt, daß Heine nie ein überzeugt frommer Christ gewesen ist, dann dürfte er eher in der Abt. des AT zu finden sein als beim NT oder womöglich zu Füßen des Paulus, der Ihnen vermutlich zu scharf vorgegangen ist. Ketzerisch gesagt: Als Vertreter der Staatsmacht hätte er vielleicht schon die Inquisition eingeführt. Behalten Sie das bitte für sich, denn ich habe mich noch nicht entschieden, wohin ich in einigen Jahren verbracht werden will.
Ich suche jetzt die zitierten Gedichte und grüße Sie herzlich
JQ

Datum: 8. Oktober 2021 um 19:47
Betreff: Heine/ Th. Fontane

Sehr geehrter, hochverehrter Herr Heine,
bonjour dort drüben bei Ihnen. Wie hier Zurückgebliebenen haben leider trotz einer Unzahl von Theologen keine Ahnung davon, wie es bei Ihnen so zugeht. In Lilges kleiner Biografie habe ich gesehen, daß Sie Ihr entrée ins Christentum später bedauert haben, weil es Ihnen nicht in den Staatsdienst verholfen hat. Auch wenn einige annehmen, Sie seien innerlich Jude geblieben, so haben Sie doch in Paris katholisch geheiratet. Daher also meine Frage: In welcher himmlischen Abteilung sitzen Sie denn, im Salon des AT oder im paulinischen? Nur die griechisch-orthodoxe Variante scheidet wohl aus. Nächste Frage: Hatten Sie Gelegenheit, Theodor Fontane kennenzulernen, Theo d‘or, wie ihn unsere Freundin Kerstin enttheologisiert hat? Dieser uns sehr angenehme Autor des späteren 19. Jahrhunderts hat vor allem Ihre Lieder und Balladen bewundert und selbst in seinen dichterischen Anfängen Balladen geschrieben. Vor allem hat er Ihre nordischen Balladen gerühmt.  Sie hätten – erstaunlich für einen jüdischen Dichter – diesen Dingen den nötigen „Schneddredin“ zu geben gewußt. (Schneddredin ist mir kein Begriff, aber er muß sich wohl zu einer Eloge eignen.) Fontanes Vorbilder waren wohl „Ritter Olaf“ und „Childe Harold“.
Fontane teilt auch in etwa Ihren Romantikbegriff, wenn er neben eine Altromantik eine modische Neuromantik setzt; echte Romantik vertrage sich immer mit Realismus. Der ganze Krimskrams von Klassizität und Romantik sei nicht so wichtig, wenn ein Autor eine Übereinstimmung von Inhalt und Form erreiche. Ach, sorry, ich schöpfe hier dauernd aus einem Beitrag von Hans Otto Horch im Jahrbuch Ihrer Gesellschaft von 1979, 18. Jahrgang. Ich erkläre morgen, warum ich Ihnen überhaupt schreibe, und grüße einstweilen herzlich nach dort oben
JQ

Datum: 9. Oktober 2021 um 18:46 
Betreff: Fontane blog

Lieber Herr Heine,
die Sache verhält sich so: Prof. Berbig, der Vorsitzende der Fontane-Gesellschaft, hat mich aufgefordert, für den F. blog etwas einzureichen. Inzwischen habe ich von Herrn Fontane aus dem Jenseits keine Antwort bekommen und von Herrn Berbig auch keine eindeutige Akzeptanz. Was Sie in dieser Sache unternehmen könnten, weiß ich selbst nicht so recht, welche Kanäle Sie da nun anzapfen könnten. Macht nichts, es amüsiert mich über alle Maßen, Sie kontaktieren zu können, und wenn eine Replik von Ihnen oder Fontane käme , würde ich nur noch flüstern:
Ich sei, gewährt mir die Bitte,
In euerm Bunde der Dritte.
Einstweilen, gewährt mir die Bitte, referiere ich weiter die
Feststellungen Herrn Horchs. Fontane, sagt er (S. 151), kannte sicherlich die Heineschen Erläuterungen zum Nixenwesen in den „Elementargeistern“. Wichtiger seien noch die auf Sie zurückgehenden Meer-Bilder in Verbindung mit dem Melusine-Thema. Th. Mann – na, endlich das Thema, über das sich Herr Baumgärtner, der Vorsitzende des Th. Mann – Ortsvereins Bonn, freuen wird –, – Th. Mann, sagt Horch – Schüler H. Manns wie Fontanes – hatte recht, als er im Essay dessen alten Romantikbegriff hervorhob – in Sätzen, die ebenso auf Sie gemünzt sein könnten: Seine Romantik ist romanischer Herkunft, eine
Cyrano-de-Bergerac-Romantik, die unter Versen ficht . Auch schauerliche Motive … als Sühne für heiße Verfehlungen kommen darin vor. Aber ihr Grundwesen ist Rationalismus, ist heiterer Geist und freie Sinnlichkeit, und was vollkommen fehlt, … ist das brünstig Metaphysische, die trübe Tiefe. Was fehlt, ist ferner … der reaktionäre Zug, der Haß gegen „diese Zeit“. (151f.) Eine tapfere Modernität zeichnet Theodor Fontane aus.
Herzliche Grüße
JQ

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