Jürgen Quasners Briefe an Theodor Fontane III. – Betreff Fjodor Dostojewski

Datum: 29. Oktober 2021 um 13:45
Betreff: Russisches

Lieber Herr Fontane,
ich habe mich verpflichtet gefühlt, zu Dostojewskis 200. Geburtstag zu gratulieren. Mehr Expressivität als er kann man in einem Roman wohl nicht bieten, wo alles hochkocht wie zur Zeit auf La Palma. Die Romane Dostojewskis strengen mich an, Ihre viel weniger. Bei Ihnen fühle ich mich gut aufgehoben, in der Jenny Treibel, im Stechlin mit seinem stillen Ende und sogar in Vor dem Sturm, wo Bamme als segensreiches Moment der Retardierung auftritt und endlos seine Karten wälzt.
Ach, wären doch alle Kriege allein mit Karten entschieden worden!
Den Übergang zu den klassischen Russen bieten Sie selbst, wenn Sie sagen, Rußland lehnten sie ab als Land der Knute, sie schätzten es aber als Land des Kaviars. Das bedarf weiterer Erörterung. Wenn Sie glauben, Rußland sei zu klein/zu groß, dann sehe ich diese Einschätzung als Klammer, in die sehr viel Ergänzendes hineinpaßt.
Briefe an Ihre russischen Kollegen gebe ich gern an Sie weiter in der Hoffnung, daß Sie Unterhaltendes darin finden.
Mit herzlichen Grüßen
JQ

Datum: 30. Oktober 2021 um 18:09
Betreff: Ihre Romane

Lieber Herr Dostojewski,
verzeihen Sie, daß ich nicht russisch schreibe, ich verlasse mich darauf, daß Sie da drüben alles verstehen oder einen Übersetzer finden. Wie weit das allgemeine Verständnis zu den ersten Pfingsten noch ins etwas spätere Rußland gewirkt hat, kann ich nicht wissen. Meine sehr tätige Freundin K. will alles für eine Verständigung tun, auch Google bemühen, was Ihnen wahrscheinlich nichts sagt. Ich habe schon ins Jenseits an Herrn Fontane geschrieben, der Ihre aufwühlenden Werke gelesen hat, aber selbst nichts annähernd so Aufwühlendes und Chaotisches wie Sie geschrieben hat. Ich gehe doch recht in der Annahme, daß Pfandleiherinnen bei Ihrem Kollegen nicht vorkommen, was einen Mord ja völlig ausschließt.
Ich möchte heute das Lob anstimmen auf den emeritierten Professor Gerigk, der dafür sorgen wollte, daß man Ihre Romane nicht auf Ihre womoeglichen psychischen Defekte hin untersucht, sondern auf die „Seele“ des literarischen Werks. Dafür bin ich ganz und gar, schreibe auch gern wieder an Sie und bitte Sie, uns Hiergebliebenen einige Hinweise zu ihren Romanen zu geben.
Mit herzlichen Grüßen
JQ

Datum: 31. Oktober 2021 um 4:43
Betreff: Fontane und Sartre

Lieber Herr Dostojewski,
von Schuld und Sühne kenne ich jetzt drei deutsche Titel. Der wohl frühste Übersetzer hat „Raskolnikov“ gewählt und dabei sicher an Effi Briest gedacht, bei Fontane das helle i im Namen, bei Ihnen das dunkle mörderische o. Hätte nicht Fontane den Titel fest gelegt, würde sein Roman heute „Liebe, Duell und Tod“ heißen, ein Sonderdruck für Tierfreunde „Der Hund blieb mir im Sturme treu“. Als Motto käme dann: „…der Mensch nicht mal im Winde…“ (Ihr bettelarmer Student hat keinen Hund, sondern nichts, darf aber dann mit Sonja sprechen, der Dirne mit dem goldenen Herzen.) Sie haben französisch nicht am Zarenhof gelernt, eher in winstubs in Baden-Baden oder dort beim „Faites votre jeu!“ Leihen Sie sich doch in der Bibliothek dort drüben La putain respectueuse von Sartre aus und vergleichen Sie die ehrbare Frau mit Ihrer Sonja. Das Synonym putain verwenden die sprechenden Franzosen fast nur noch, um nicht merde sagen zu müssen. Zut habe ich in la douce France nie gehört, nur im Comicheft gelesen. Bei Tintin schimpft so der capitaine Haddock, wohl ein Brite, und der kennt „zut alors“ wahrscheinlich nur aus einem anderen Comicheft, von Asterix vielleicht.
Unserer Freundin K. und Ihren Romanen verdanke ich es, daß neues Interesse an Russischem in mir entbrannt ist, ein so brennendes, daß ich mir heute nacht einen Lehrgang Russisch bestellt habe. Der Anbieter behauptet, russisch sei ganz leicht, wenn man konsequent die Grammatik lernt. Das gilt doch dann auch für andere Sprachen, nur nicht fürs Englische und Schwedische, die die Grammatik durch starke Verben ersetzen. to go, went, gone haben diese brexiteers nur eingeführt, um
zu demonstrieren, daß sie es auch kompliziert machen können. Sartre hätte das Geworfensein ins gar nicht so erwünschte Leben besser an Ihrer Biografie und an Ihrem Raskolnikov vorführen können statt an Flaubert. Dafür hat er eine eigene Methode entwickelt, bei der Hunderte von Seiten herausgekommen sind und sonst nichts. Seine plays sind besser, klarer als Ihre Romane, manchmal glasklar langweilig und nicht so interessant wie Ihr Romanchaos.
Mit besten Grüßen, bis zum nächsten Mal
JQ

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