Drogen, Alkohol, Sex, Computerspiele – all das macht süchtig: und nun auch noch Fontane! Wo Süchte drohen, sind Warnungen angezeigt. Dem Himmel sei Dank, dass es die Frankfurter Allgemeine Zeitung war, die Fontane als Suchtfaktor diagnostiziert hat. Werbewirksam, und dies schon vor fünfzehn Jahren.
So ist es kein Wunder, dass Der Audio Verlag (DAV) eben diesen Diagnose auf eine Hörspiel-Box druckte, die selbst ein kleines Wunderwerk ist. Zum 200. Geburtstag des Dichters erfüllt der Verlag einen Wunsch, den nicht wenige Fontane-Liebhaber seit langem hegen: die trefflichsten Hörspielproduktionen seiner Romane bequem in einer Sammlung zur beliebigen Verfügung zu haben. Kein Zufall, dass neben dem FAZ-Zitat auch ein Foto abgedruckt ist. Es zeigt die Fontane-Leselegende schlechthin: Gert Westphal (1920-2002). Auch wenn er hier nur in „Unwiederbringlich“ als Erzähler zu hören ist, hält die Faszinationskraft dieser Stimme bis heute, was ihr Bewunderer attestieren. Die Deutsche Grammophon hat 2004 in zwei Boxen zu je 38 CDs „Die großen Romane“ Fontanes, eingelesen von Westphal, auf den Markt gebracht (139 € u. 131,70 €). Wer sie zu hören beginnt, hört nicht mehr auf – Westphal lehrte Liebe zur Literatur, in dem er sie laut las.
Doch auch diese Hörspiel-Box verfehlt ihre Wirkung nicht. Sie ist nicht nur ein Spaziergang durch die Romanwelten von „Schach von Wuthenow“ über „Unterm Birnbaum“, „Cécile“, „Irrungen, Wirrungen“, „Unwiederbringlich“, „Frau Jenny Treibel“, „Effi Briest“ bis „Mathilde Möhring“, sondern führt auch eine historische Revue auf. Dieter Meichsners „Schach“-Bearbeitung dokumentiert, wie man sich 1963 die Bearbeitung eines literarisches Textes für den Hörfunk dachte, und mit Carl Raddatz erlebt man einen Schauspieler, der charakteristisch für seine Zeit war (im selben Jahr wurde er übrigens zum „Berliner Staatsschauspieler“ ernannt). Oder gar jene „Unterm Birnbaum“-Produktion des SWR, die 1948 ihre Hörgestalt fand – und der wenige Jahre später Günter Eich eine weitere Bearbeitung des Fontane’schen Textes folgen ließ. Die von Westphal bearbeitete Erzählung „Unwiederbringlich“ stammt aus dem Jahr 1983 – und mit ihr gelingt es durchaus zu erhärten, was mancher Fontane-Forscher bis heute meint: dass dieses Erzählgewebe zu einem der kunstvollsten des Dichters gehört.
Offen gestanden war ich besonders gespannt auf Christiane Felsmanns Effi (BR 1949, Bearbeitung: Gerda Corbett, Regie: heinz-Günter Stamm) – und vor allem auf Albert Bassermanns Vater Briest. Bassermann (1867-1952), der grandiose Stummfilm-Mime, der mit seiner jüdischen Frau 1934 Deutschland verließ, der erfolgreicher Charakterschauspieler in der Filmwelt Hollywood wurde und noch einmal nach dem NS-Terror und Krieg auf die Wiener Bühne zurückkehrte – Bassermann, dessen hinterlassene Uhr, weitergegeben für große Schauspielkunst, derzeit bei Ulrich Matthes ist. Dieses Hörspiel, vier Jahre nach Kriegsende, ist eine eigene Kostbarkeit – und wer noch nie die Stimme von Pamela Wedekind (1906-1986, Tochter von Tilly Newes und Frank Wedekind, zeitweilige Verlobte von Klaus Mann und Ehefrau von Carl Sternheim), gehört hat: sie/er kann sie in dieser Inszenierung als Johanna hören.
„Da steht doch auch Klaus Maria Brandauer auf dem Box-Cover, gleich als erster Name?“ Ja, wer das bemerkt, hat Recht, Brandauers Name steht da – und seiner unverwechselbare Stimme ist ebenfalls zu hören: in „Cécile“ (NDR 1975) spaziert sie als Herr von Leslie-Gordon in unser Ohr, vertraut-fremd, noch jung und ohne eine Ahnung, wenige Jahre später als „Mephisto“ auf den Filmleinwänden der Welt bewundert zu werden.
Fontane macht süchtig? Ja, und das ganz ohne Folgeschäden – es sei denn, der Wunsch nach „mehr“ fällt darunter. Aber, lieber DAV, Schäden dieser Art sind heilbar, oder?
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