Wer, wie der Verfasser dieses kleinen Textes, seit Gründung der Theodor Fontane Gesellschaft und ihrem Vorstand angehört und seit September 2018 deren Vorsitz übernommen hat, beobachtet stillvergnügt all den Jubel und Trubel, der mit dem 200. Geburtstag des Dichters einhergeht. „Haben wir es nicht schon immer gesagt“, ist er versucht zu murmeln, „ein großer Schriftsteller, nein: ein großartiger!“ Das Land Brandenburg ruft ein Fontane-Jahr ihm zu Ehren aus, neue Fontane-Biographien füllen die Schaufenster der Buchläden, und Lego nimmt nach Luther nun auch Fontane in die Ehrenlegion seiner Figurenwelt auf. Der so verdienstvolle Deutsche Audioverlag bringt kostbare historische Fontane-Lesungen und -Hörspiele heraus, und die Notizbücher des Dichters werden nach jahrelanger Transkriptions- und Kommentierungsarbeit netz- und medientauglich präsentiert. Zum Sekt, der mit Fontane etikettiert ist, hat sich längst auch der fällige Schnaps gesellt. Und wenn Ende März ‚das Fontane-Jahr‘ offiziell mit einer gediegenen, großen Jubiläumsveranstaltung in Neuruppin, der Geburtsstadt des Autors, eröffnet wird, wird nicht nur die frisch gekürte neue Direktorin des Deutschen Literaturarchivs, Frau Prof. Dr. Sandra Richter, eine Festrede halten, nein, neben ihr in der Ehrenloge wird der Bundespräsident, Herr Dr. Frank-Walter Steinmeier, stehen. Und auch er, das darf man vermuten, wird ein aus dem Herzen kommendes Fontane-Bekenntnis ablegen. Zwei Ausstellungen in Potsdam und Neuruppin, von profilierten Kuratorinnen entwickelt und umgesetzt, geben den Rahmen, der ausgefüllt ist mit so vielen begleitenden Veranstaltungen, dass es einigen Aufwand bedurfte, die Fülle zu ordnen und auf modernste Weise medial aufzubereiten: Webseite, Apps, facebook, Twitter – – – Wem daran liegt, doch noch zu mosern, der kann die weitgehende Zurückhaltung der Stadt Berlin in Sachen „Fontane 200“ kritisieren. Bauhaus und Humboldt-Forum verdienten, keineswegs zu Unrecht, entschiedene Aufmerksamkeit – da blieb für den alten Fontane nicht mehr viel übrig. Und vielleicht, mag sein, hatte man im Kultursenat für den Preußensänger und -kritiker und für den, der sich selbst als unsicheren Kantonisten bezeichnet hatte, auch nicht viel übrig …
Die Theodor Fontane Gesellschaft hat also allen Grund zur Freude. Sie kann sich – gewissermaßen – entspannt zurücklehnen: Das Theodor-Fontane-Archiv, dessen Erhalt 1990 zur Gründung dieser literarischen Gesellschaft geführt hatte, ist bei ihrem neuen Leiter, Herrn Prof. Dr. Peer Trilcke, in den besten Händen und das, was man heute „gut aufgestellt“ nennt. Trilcke selbst gehört seit der letzten Jahresversammlung im Herbst 2018 zum Vorstand der Gesellschaft. Die schweren Krisenjahre sind glücklich überwunden, beide Institutionen ziehen an einem Strang. Und was ließe sich Besseres aus Sicht einer literarischen Gesellschaft sagen, als dass alle Welt von ihrem Hausgott schwärmt und in Feierstimmung gerät, fällt dessen Name!
Freilich: Von nichts kommt nichts. Das gilt auch hier. Wo die Kulturpolitik in kleinen, nicht selten hastigen Schritten ihre Jubiläenspfade tritt, kann eine Literaturgesellschaft weiträumiger agieren. Früh war die Theodor Fontane Gesellschaft darauf bedacht gewesen, Institutionen und Personen, die sich für Fontanes Werk und Weiterwirken engagierten, regelmäßig an einen Tisch zu bringen. Spätestens seit 2009, um genau zu sein:
Getragen von der Absicht, die in Berlin und Brandenburg vorhandenen vielfältigen Potentiale zur Erschließung, Erforschung und Pflege des Fontane’schen Werkes besser zu nutzen, kamen Anfang März 2009 Vertreter von Universitäten, Bibliotheken, Archiven, literarischen Gesellschaften und Verlagen zu einem ersten Arbeitstreffen zusammen. Sie vereinbarten zur Beförderung ihres Vorhabens eine Ringvorlesung, die eine interessierte Öffentlichkeit mit den betreffenden Institutionen und Personen bekanntmachen und ihr die laufenden oder geplanten Projekte vorstellen sollte.
Schon beizeiten kristallisierte sich das Jubiläumsjahr als Herzstück der Beratungen heraus. „Ja, ja, ich weiß, es ist noch eine Weile hin, aber wir müssen schon jetzt an das Jahr 2019 denken“ – wie oft erklang dieser Satz, wie zutreffend war er, und wie schnell verwandelte sich das anfängliche Lächeln in ernste Wir-müssen-langsam-an-Anträge-denken-Mienen!
Die Erinnerung an die Begegnungen in diesem Fontane-Forum sind hell, ein heiterer Glanz liegt auf ihnen: Da betrat der profilierte Bibliograph Dr. Wolfgang Rasch, allzeit ein Fontane-Fundstück in petto, den Raum in unserem Institutsgebäude, gefolgt vom Kulturpolitiker Mario Zetzsche, der heute als Fontane-Botschafter der Stadt Neuruppin viele Feierfäden zieht. Mit ihm kamen die Organisatorinnen der Fontane-Festspiele, fröhlich plaudernd mit dem früheren Sekretär unserer Gesellschaft, Bernd Thiemann. Voller Ideen und immer offen für Brückenschläge nahm Dr. Jutta Weber, stellvertretende Leiterin der Handschriftenabteilung in der Berliner Staatsbibliothek, ihren Platz ein, um sogleich in ein angeregtes Gespräch mit Bettina Machner vom Berliner Stadtmuseum, Sigurd Hauff, seit 2004 Stadtältester von Berlin und früherer Bürgermeister von Spandau, zu treten. Das Potsdamer Ministerium war mit Nicola-Maria Bückmann ebenso vertreten wie die Verantwortlichen der über die Republik und im Ausland verstreuten Sektionen unserer literarischen Gesellschaft. Dr. Hanna Delf von Wolzogen vom Theodor-Fontane-Archiv sah gewichtig in die sich stetig vergrößernde Runde. Franz-Christian Semrau war aus Hamburg, Dr. Michael Ewert aus München und Dr. Gabriele Radecke aus Göttingen angereist. Prof. Dr. Hubertus Fischer, der zwei Wahlperioden der Theodor Fontane Gesellschaft vorstand und wesentlichen Anteil an deren Internationalisierung hat, breitete kleine Konzept-Stapel vor sich aus, und Dr. Regina Dieterle, eingeflogen aus Zürich und jetzt mit einer großen Fontane-Biographie im medialen Rampenlicht, hatte einige Mühe, ihren bunten Ideenstrauß nicht gleich auf den Tisch und zur Diskussion zu stellen. Die Moderation, die in meiner Hand lag, bereitete Vergnügen. Einvernehmlichkeit gab den Ton vor, jede Stimme hatte ihren eigenen Fontane-Klang. Immer wieder kamen neue Interessenten hinzu – und nur ein Stuhl blieb leer: der eines Vertreters des Berliner Senats. Ein Fontane-Jubiläum, bei aller Wichtigkeit, was ist es gegen die Kämpfe mit einem Frank Castorf um die Volksbühne …
Wenn eine literarische Gesellschaft segens- und vor allem sinnvoll wirken will, dann, so scheint mir, auf diese Weise. Die damals sich trafen, sie begegnen sich heute an allen Fontane-Schauplätzen, die entstehen, wieder. Die Wege, die man zu gehen hat, sind zuweilen getrennt, wie auch anders, aber das Ziel eint und lohnt. Die Theodor Fontane Gesellschaft hat sich als Bindungs- und Brückeninstanz bewährt. Sie ist in Neuruppin fest verankert. Dass die Stadt sie dankbarerweise fördert, ist ihr Schaden nicht und soll es schon gar nicht im Fontane-Jahr sein. Nachdem ihr langjähriger Sekretär, Bernd Thiemann, aus Gesundheitsgründen vorzeitig in den Ruhestand getreten ist, gab es nicht, was zu befürchten war, Chaos und Katastrophen. Fast im Gegenteil: Mit Vanessa Brandes ist in die Geschäftsstelle eine überaus kompetente und erfahrene Nachfolgerin gerückt, die beinahe mühelos alle Fäden, die zu entgleiten drohten, aufnahm und in schönster Selbstverständlichkeit weiter flocht. Die Mitteilungen, ein beliebtes Periodikum, das halbjahresweise erscheint, über alle Belange der literarisches Gesellschaft unterrichtet und von Mitgliedern für Mitglieder gestaltet wird, gingen pünktlich heraus. Wer sie in die Hand nimmt, kann nachlesen, was alles geplant und in welchem Maße unsere Gesellschaft 2019 ‚Fontane-präsent‘ ist. Mit Prof. Dr. Andreas Köstler und mir sind zwei Vorständler in den vom Land Brandenburg berufenen Beirat „fontane 200“ berufen worden. Bei Theaterprojekten ist unsere Gesellschaft gefragter Partner, keineswegs nur als Zuschauer. Zusammen mit dem Literarischen Colloquium wird es im April 2019 am Wannsee ein Fontane-Abend geben: Ernst Osterkamp (Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung) und Norbert Miller (Mitglied der Darmstädter, Mainzer und Berlin-Brandenburgischen Akademie), die derzeit vielleicht renommiertesten deutschen Literaturwissenschaftler, gehen der Frage nach Sinn und Unsinn von Fontane- und Dichterjubelfeiern auf den Grund. Zu ihnen gesellen sich die Autor*innen Jan Böttcher und Annett Gröschner, die ‚ihrem Fontane‘ das Wort erteilen. Der Terminkalender unserer Sektionen, die gut miteinander vernetzt sind, ist voll. Mitnichten sind es nur die Akademiker*innen aus unseren Reihen, die gefragt sind. Davon zeugen die Fontane-Tage − eine Idee, die auf den unvergessenen Literaturwissenschaftler Peter Wruck (1932-2007) zurückgeht − der letzten Jahre und im Jubiläumsjahr selbst eindrucksvoll. Parallel zur Jahresversammlung unserer Gesellschaft wird in Neuruppin eine Fontane-Akademie ins Leben gerufen: mit Vorträgen, Vorführungen und Verführungen. Fortan soll sie alljährlich dafür sorgen, dass die wissenschaftliche wie populäre Beschäftigung mit dem Dichter und seinem Werk einmal im Jahr in Neuruppin ein Podium findet: Anziehungsort und Bezugsraum,
Nein, nein, die Theodor Fontane Gesellschaft denkt gar nicht daran, sich zurückzulehnen und sich auf den derzeit hohen Fontane-Wellen selbstzufrieden zu wiegen. Jungen Leute aus dem universitären Umfeld haben sich locken lassen, sie wollen Neues probieren. Seit einigen Semestern basteln Studierende an der Humboldt-Universität an einem „Fontane-Blog“ (theodorfontane.de), dessen technische Betreuung in den Händen von Leander Wattig (stellv. Vorsitzender) liegt – nach und nach zeichnet sich ein Profil ab, das im Dutzend nicht aufgeht. Der Gedanke an eine digitale Literaturgesellschaft, die die traditionelle Form mit modernen medialen Möglichkeiten vermittelt. Die „Fontane-Akademie 2019“ soll Testlauf und Auftakt sein. Was dort auf die Beine gestellt wird, soll digital auf- und generationsüberschreitend zubereitet werden, um neue, ergiebige Zugänge zu öffnen: nachhaltig und haltbar – über das Jubiläumsjahr hinaus. Sie kann ein konzentriertes Forum sein für die erstaunliche Energie, die nach wie vor von Theodor Fontane ausgeht. Es wird darauf ankommen, diese Kraft zu bündeln. Dass sie, bei aller regional-märkischen Bedeutung, an der wir unsere Freude haben und gerade viel Neues, Unbekanntes entdecken, von europäischem Rang ist, ist ihr hoher Vorzug. Mit seinem literarischen Werk wird das Regionale in europäische Konstellationen gerückt und Europas Blick auf regionale Welten gelenkt. Fontane muss nicht vergrößert, aber er darf auch nicht verkleinert werden. Wir sind ihm nahe geblieben, keine Selbstverständlichkeit. Zu Anbiederei und Eingemeindung besteht kein Anlass, der Gewinn wäre keiner.
„Was würde Fontane zu all dem sagen!“, höre ich immer wieder fragen. Weiß der Himmel, ich weiß es nicht. Und ich weiß auch nicht, ob Fontane getwittert hätte oder ein vergnüglicher Blogger geworden wäre oder Gratulationsgrüßen per Facebook ein Hauch von Gewicht beigemessen hätte. Offen gestanden: Es ist mir egal. Eins aber weiß ich: Mit dem, was von Fontane überliefert ist, haben wir einen ebenso kompetenten, streibaren wie amüsanten Gesprächspartner für alle maßgeblichen Fragen, allgemein-menschlichen wie konkret-politischen oder -ästhetischen. Dass wir uns um diesen Gesprächspartner bemühen müssen, dass er umworben sein will und Instrumentalisierung weder verträgt noch verdient – das steht fest. Und wie gut!
Postscriptum:
Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Allseits Theodor Fontane – 1819 bis 2019“ in: ALG Umschau. Arbeitsgemeinschaft literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten e. V. Nr. 60 | März 2019. S. 26–29.] Sein Wiederabdruck erfolgt aus dokumentarischen Gründen – und als Dank an alle, die sich in Sachen „Theodor Fontane“ seit Jahren ehrenamtlich engagieren. Bei der feierlichen Eröffnung des „Fontane-Jahres“ am 30. März 2019 in Neuruppin wurde weder das Theodor-Fontane-Archiv noch die Theodor Fontane Gesellschaft erwähnt.
Ich muß es einfach mal lowerden. Und der Beitrag von Roland Berbig vom
24. April 2019, gibt dafür den Anstoß : Wo widerspiegelt sich im FONTANE
BLOG das Vereinsleben der TFG ?
So,wie zur Zeit, Ende April des Fontane-Jahres, ist er ein Tummelplatz für
Journalisten und spitzfindige Fontane-Prediger. Toll,was die so alles aus
Th. F. heraus-und hineininterpretieren. Fehlt es der Redaktion an Informationen über die Aktivitäten in den Sektionen und Kreisen unseres
Vereins ? Oder fehlt der Ansatz dafür?
Allein in dem Aktionsradius den ich beurteilen kann, gibt es viele und bemerkenswerte, im Dienste unserer Fontane Gesellschaft stehende Beispiele
lebendigen Vereinslebens, die zu nennen den BLOG beleben würden.
Doch es ist ja erst April.
Hinweis an den Vorstand, nach einer Erkenntnis von Fontane : Das Leben ist
eine ewige Offenbarung und wahrlich eine klarere wie die des Predigers Sankt
Johannes.( Zitat ) Auch ich war mehr als enttäuscht darüber, wie unbedeutend die TFG in der Eröffnung des Fontane-Jahres behandelt wurde. Aber haben wir
nicht etwas selbst Schuld daran in den Akademischen-Wertschätzungs-Reden
in Neuruppin vergessen worden zu sein?
Ach, lieber Herr Henke, was soll ich auf Ihre Zeilen erwidern? Sie bekümmern mich. Da legen sich mindestens zwei TFG-Vorstandsmitglieder allwöchentlich ins Zeug, damit der Fontane-Blog lebendige Gestalt behält – bringen Studierende dazu, sich in der Fontane-Gegenwartswelt umzusehen und darüber zu berichten – gewinnen Beiträgerinnen und Beiträger aller Orten – freuen sich über jeden Bucher Henke-Beitrag und jeden Bad Saarower Hartmann-Artikel. Da findet eine doch sehr freundlich aufgenommene Fontane-Veranstaltung an einem so prominenten Ort wie dem „Literarischen Colloquium“ am Wannsee statt (ausgeheckt von der TFG und verwirklicht in Zusammenarbeit mit dem LCB), und Herr Möller vom Theodor-Fontane-Archiv berichtet darüber … Na, und so fort. Und Sie fragen, so mal hoppla, nach der Redaktion und ihrem TFG-Treiben? Gerne will ich in Klausur gehen, aber vielleicht wägen Sie auch noch einmal in Ruhe. Indes, auch dies gilt: Der Fontane-Blog will nicht allein Sprachrohr der „Theodor Fontane Gesellschaft“ sein. Dafür gibt es deren Webseite, die „Mitteilungen“ und sogar spezielle Netzseiten der Sektionen. Sie will – was ihr Eigentliches ist, gewissermaßen ihr gerne übernommener Auftrag – alle, die sich für Fontane interessieren, zusammenführen. Bunt und abwechslungsreich, anregend und unterhaltend, kontrovers und im Einklang.