Der letzte Förstermord im Riesengebirge an Wilhelm Frey im Jahre 1877

Redaktionelle Notiz: Seit über 25 Jahren beschäftigt sich Ullrich Junker mit der Forsttragödie „Frey“. Vor 25 Jahre lernte er die Enkeltochter Susanna Neumann geb. Frey kennen und hält seit ihrem Tod 1999 mit deren Ur-Enkelin Kontakt. Im Jahr 2020 setzt sich Ullrich Junker dafür ein, das beschädigte Frey-Denkmal im Nationalpark in Sobieszow/Hermsdorf wiederherzurichten und mit einer viersprachigen Hinweistafel (polnisch, deutsch, tschechisch und englisch) zu versehen. Den nachfolgenden Artikel, erschienen im „Gruss aus Lomnitz/Pozdrowienia z Łomnicy. Informationsheft des Vereins zur Pflege schlesischer Kunst und Kultur e.V. (VSK) Ausgabe Nr. 60 – August 2018“, stellt er dem Fontane Blog für die Veröffentlichung zur Verfügung. Dafür herzlichen Dank!

Der reichsgräflich Schaffgotsche Förster Wilhelm Frey aus Wolfshau bei Krummhübel wurde seit dem 21. Juli 1877 vermisst. Obwohl von Montag an seitens der gräflichen Forstverwaltung Mannschaften aufgeboten wurden, um den Vermissten aufzusuchen, blieben doch alle Nachforschungen vergeblich. Erst am Freitagnachmittag, den 27. Juli, fand man den Forstmann entseelt in der Tiefe der sogenannten Seiffenlehne, unweit der Hampelbaude, westlich von dem Wege über das Gehänge. Er war offensichtlich das Opfer von Wilddieben geworden. Oberhalb beider Knie zeigten sich Schusswunden. In derjenigen Wunde, welche wohl den Tod des unglücklichen Beamten herbeigeführt haben mag, hat man gehacktes Blei vorgefunden. Frey hat sich diese Wunde noch selbst verbunden. Das andere Bein war von Schrot getroffen. Neben dem Toten fand man sein Gewehr (an welchem der eine Hahn noch gespannt war). Die Fingerringe, die Börse – aber entleert – und die geöffnete Brieftasche lagen ebenfalls neben dem Toten. Der Sterbende hatte noch auf einem Blatte der Brieftasche vermerkt, dass er von fremder Hand geschossen worden sei.

In der Chronik des Deutschen Forstwesens können wir folgendes nachlesen:

Noch eine andere blutige Tat ist in Schlesien geschehen; in den Schluchten des Riesengebirges hat die Kugel des Verbrechens am 21. Juli den gräflich Schaffgotschen Förster Frey aus Wolfshau bei Krummhübel getroffen. Erst am 27. Juli fand man die Leiche in der Tiefe der Steinseiffenlehne. Das Notizbuch des Unglücklichen gab Aufschluss über sein jähes Ende. Er ist erst gefallen, nachdem er seine sämtlichen Patronen verschossen hatte, also nach langem Kampfe. Die Täter sind noch nicht entdeckt.

Das aufgefundene Notizbuch des Försters Frey soll folgende Worte enthalten haben:

Sonnabend, den 21 Juli zwischen 7–8 Uhr abends. Wenn ich sterben sollte, ehe ich gefunden werde, so wisse man, dass ich von einem Wilddiebe geschossen bin; der war ganz nahe mit Doppelflinte, vermummt und mit falschem Bart. Liebes treues Weib und liebe Kinder, Eltern und Geschwister, lebt wohl! Gott sei mir gnädig. Mein gutes, liebes Weib, meine lieben Kinder, werdet gute Menschen und betet für mich; ich habe fürchterliche Schmerzen. Gott erbarme sich meiner! Gott in deine Hände befehle ich meine Seele, erlöse mich. Ich schreie so sehr und kein Mensch hört mich. O Kinder betet für euren Vater und denkt nicht an Rache. Gott vergebe meinem Mörder; meine Leiden sind groß. Frey

Förster Wilhelm Frey mit seiner Frau Marie Anna geb. Springer und 3 Kindern im Hintergrund ein Gemälde mit der Schneekoppe, (c) Susanna Neumann geb. Frey

Mehrere Tage vorher war bereits der Jagdhund des Entseelten erschossen aufgefunden worden. Die nähere Untersuchung hat ergeben, dass der Entseelte, nachdem er alle eigenen Patronen selbst verschossen, in trostloser Lage in der Bergwildnis des Hochgebirges sein Ende gefunden hat. Frey war Leibjäger des im Jahre 1873 verstorbenen Grafen Leopold Schaffgotsch und erst seit kürzerer Zeit aus Boberröhrsdorf nach Wolfshau als Förster versetzt worden.

Er hinterlässt eine Frau und 5 unmündige Kinder.

Wer war nun Förster Wilhelm Frey und woher stammte er? Die Standesamtsunterlagen und die Kirchenbücher geben uns Auskunft über ihn und seine Familie.

Der Vater von Wilhelm Frey war herrschaftlicher Revierjäger in Schreiberhau. Er wird erstmals in Schreiberhau in der Kommunikantenliste der katholischen Kirche im Jahre 1838 aufgeführt.

Am 15. Sept. 1840 finden wir in Schreiberhau in der kath. Kirche die Eintragung seiner Vermählung mit der Jungfer Antonia Gottstein, Tochter des Hausbesitzers Johann Gottstein in Rochlitz im böhmischen Riesengebirge. Am 4. Februar 1842 wurde der Sohn Johann Wilhelm Gustav Frey in Schreiberhau geboren und am 14. Februar in der katholischen Kirche zu Schreiberhau getauft.

Mit Franz Pohl, dem Gründer der Josephinenhütte, und Alois Partsch, dem kaufmännischen Leiter der Josephinenhütte, hatte Johann Wilhelm Gustav berühmte Paten. Dies spricht auch für das hohe Ansehen, welches der Vater Wilhelm Frey als herrschaftlicher Revierjäger in Schreiberhau genoss.

Wo Johann Wilhelm Gustav Frey und bei wem er seine Ausbildung zum Förster erhalten hat, konnte bisher nicht ermittelt werden. Er muss aber ein tüchtiger Förster gewesen sein.

Von allen ortsgeschichtlichen Ereignissen hat wohl selten eines die Gemüter der Krummhübler so nachhaltig erschüttert wie die Ermordung des Försters Wilhelm Frey. Einhundertvierzig Jahre (im Jahre 2017) sind es nun schon her, seit am Nordhange der Kleinen Koppe oberhalb des Gehängebrunnens ein pflichtbewusster Waidmann von einem Wilderer erschossen wurde. Aber noch immer raunt es unter den Nachkommen längst dahingegangener Zeitgenossen, wenn von Jägern und Jagd die Rede ist. Trotz aller Bemühungen konnte bis heute noch kein Licht ins Dunkel jener unseligen Tat gebracht werden. Immer wieder scheiterten Verhöre und Nachforschungen der Behörden am Zusammenhalt einer durch Schicksal und Jagdleidenschaft verschworenen Gemeinschaft von Wilderern. Und das waren nicht wenige in den hochgelegenen Ortschaften; damals, als der Fremdenverkehr in den Anfängen stand, und die Not der kinderreichen Familien noch groß war. Die anderen aber hüteten sich aus Scheu vor gerichtlichen Auseinandersetzungen, die umherschwirrenden Gerüchte allzu offen auszusprechen.

Was aus amtlichen Aufzeichnungen und Zeitungsberichten der Tatzeit sowie aus Erzählungen der Alten bewahrt wurde, soll nun dem Versuch dienen, ein möglichst einwandfreies Bild zu entwerfen und damit die Geschehnisse jener Tage vom üppigen Rankenwerk der Volkserzählung zu befreien.

Am Nachmittag des 21. Juli 1877, einem Sonnabend, war Wilhelm Frey von der Försterei Wolfshau-West in sein Revier aufgestiegen. Nach seiner Gewohnheit nahm er den Weg über die Schlingelbaude und Hampelbaude, um dann – die Seiffenlehne überquerend – auf dem schmalen Pirschwege (etwa in halber Höhe der Kleinen Koppe) heimwärts zu streben. In der Hampelbaude hatte Frey noch kurz ein Glas Bier getrunken. Das war das letzte Mal, dass er mit jemandem sprach; denn etwa eine Stunde später traf ihn jener Schuss, der seinem Leben ein so grausames Ende setzen sollte. Als man den Toten nach eifrigem und planmäßigem Absuchen des Reviers erst eine ganze Woche später fand (ein Krummhübler Gebirgsführer hatte ihn zuerst entdeckt, nicht – wie Fontane schreibt – der Lehrer Lösche), musste man etwas Schreckliches feststellen: Dem unter einem Knieholzbusch und von hohen Farnstauden fast verdeckt Liegenden waren durch eine einzige, aus unmittelbarer Nähe und von unten abgefeuerte Schrotladung beide Oberschenkelknochen völlig zersplittert und die Kniegelenke zertrümmert worden. Dennoch hatte sich Frey zum Schutze gegen den aufkommenden Abendwind mit letzter Kraft unter das Gehölz schleppen können, wo er den nutzlosen Versuch unternahm, sich mit dem Taschentuch die größte seiner dreizehn Wunden zu verbinden. Neben ihm lag der aufgeblätterte Jagdkalender, in den der Sterbende mit blutbefleckten Fingern auf vier Seiten seine letzten Eintragungen gemacht hatte. Rundum verstreut lagen auch die Hülsen aller Patronen, die auf den Pirschgang mitgenommen worden waren.

Doch die Schüsse des todwunden Mannes hatten keine Hilfe mehr bringen können. Wer zur späten Abendstunde auf dem damals noch unwegsamen Gehänge herumstreunte (der Gehängeweg ist erst 1894 vom RGV ausgebaut worden), der hatte als Pascher oder Wildschütz anderes zu tun, als Signalschüssen nachzulaufen. Im Dorfe wollten einige sie gehört haben, was aber der Windrichtung nach zu schließen unmöglich gewesen sein musste. Zudem krachten die Wildererbüchsen damals zu oft in den nächtlichen Wäldern des Riesengebirges, als dass man sich wegen ein paar Schüssen geängstigt hätte. Nur Kajetan Häring, ein 1866 von „drüben“ zugezogener Wolfshauer, machte später als einziger nähere Angaben über Zeitpunkt, Schusszahl und Richtung. Als er mit einer schweren Hucke über das Gehänge zur Wiesenbaude gelaufen war, wollte er auch Schreie gehört haben.

Auf einer am Tatort zusammengeschlagenen Tragbahre brachte man den Toten ins Forsthaus zurück, wo er in der unter dem östlichen Giebel gelegenen „Jägerkammer“ von einer Gerichtskommission untersucht und der erste Vernehmungsbericht fertiggestellt wurde. Nach einer bangevollen Woche hatten die Witwe und vier unmündige Kinder endlich Gewissheit über das Schicksal ihres auf so tragische Weise umgekommenen Ernährers erhalten. Auch wenn Frey sofort aufgefunden worden wäre, hätte man ihn nicht mehr retten können. Die Verwundungen waren so schwer, dass er kaum noch eine Stunde gelebt haben dürfte. Zwei Tage darauf, am 31. Juli, erfolgte die Beerdigung auf der Südseite des Arnsdorfer katholischen Friedhofs in Gegenwart des Grafen, der gesamten Försterschaft und einer zahllosen Trauergemeinde. Zum Schluss legten Wolfshauer Waldarbeiter einen großen Granitstein auf den Sarg. Eine abergläubische Volkssitte wollte es so: der Geist eines Ermordeten sollte Frieden finden und nicht mehr zurückkehren.

1904 wurde nun diese Grabstelle mit dem verstorbenen Krummhübler Lehrer Bruno Eberhardt wiederbelegt. Beim Ausheben der Gruft stieß man auf den besagten Granitstein, der als Grundstein für die später zu errichtende katholische Kirche in Krummhübel vorgesehen wurde. So jedenfalls hat es – wenngleich auch ohne volkskundliche Erklärung – Pfarrer Hitschfeld aufgezeichnet. Und wirklich ist der etwa 10 Zentner schwere Granitstein 1909 nach Krummhübel zurückgebracht worden, um zum Bau seiner Bestimmung zu dienen. Nur wer als Volkskundler um die Bedeutung dieser Handlung weiß, durch ein zauberabwehrendes Mittel den Wiedergang eines Ermordeten zu verhindern, wird es reizvoll finden, zu erfahren, dass dieser Stein als Grundstein für den späteren Kirchenbau verwendet wurde.

Die Forsttragödie hat auch Einzug in die Literatur gefunden. Theodor Fontane weilte in den Jahren 1868 bis 1887 insgesamt sieben Mal zu größeren Sommeraufenthalten im Riesengebirge: in Erdmannsdorf, Hermsdorf unterm Kynast und Krummhübel in Ausübung seiner schriftstellerischen Tätigkeit. Im Sommer 1884 lernte er in Krummhübel den Amtsgerichtsrat Georg Friedländer kennen. Aus diesen Gesprächen mit Friedländer über diese Mordtragödie entstand dann während des dreieinhalb Monate währenden Sommeraufenthaltes in Krummhübel der Roman Quitt.

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