Die Macht des Satirikers: Jan Böhmermanns „Effi Briest“.

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Die „Letzte Stunde vor den Ferien“ ist sicherlich vielen bekannt. Jan Böhmermanns Kurzfilme über die deutschen Klassiker wie Goethes Faust, Fontanes Effi Briest oder Dürrenmatts Die Physiker kommen vor allem beim jungen Publikum gut an. Klar, der kanonisierte Klassikerroman ist gern gesehen auf dem Lehrplan, bei den Schüler*innen meist eher weniger. Er lässt sich jedoch leichter ertragen, wenn man ihn auf die heutige Zeit bezieht und vor allem an der einen oder anderen Stelle ironisch darstellt.

Ganz offensichtlich kommt Böhmermanns Neuinterpretation gut an. Der YouTube Kanal verzeichnet über 20.000 Likes, dagegen gibt es nicht mal 400 Daumen runter. Viele Menschen, wahrscheinlich vor allem Schüler*innen sowie Studierende, fühlen sich angesprochen von dem Beitrag. Endlich ist man nicht mehr alleine mit der Ansicht, dass Fontanes Effi eine der „langweiligsten und überinterpretiertesten Liebesgeschichten“ ist. Aber wie viel Macht hat der Satiriker, wenn er diese Klassiker auf ironische Art und Weise neuinterpretiert? Schafft er es, durch seine Kurzvideos eben diese kanonischen Werke zurück in das Bewusstsein der Jugend zu holen? Oder erreicht er das genaue Gegenteil?

Ich gebe zu, ich war skeptisch zu Beginn. Für mich war es naheliegend, dass eine solche Darstellung des Werkes Fontanes eher dazu führt, dass man es noch weniger lesen möchte. Wenn Jan Böhmermann, eine Person des öffentlichen Lebens, der gerade bei jüngeren Zuschauer*innen durchaus Einfluss hat, sagt, dass Fontanes Werk einen „wahnsinnig langweiligen Plot“ hat, könnte man eher davon ausgehen, dass das Interesse an dem Werk schwindet statt steigt. Das Gegenteil ist jedoch in den Kommentaren zu lesen. Viele Zuschauer*innen freuen sich über diese komische, bissige und vor allem leicht verständliche Aufbereitung der Lektüre. Vereinzelt konnte man sogar Kommentare lesen, in denen sich der/die Zuschauer*in aufgrund des Kurzfilmes, Fontanes Effi Briest zulegen und lesen möchte. Ich wollte es aber noch ein bisschen genauer wissen und habe Menschen aus meinem nahen Umfeld gefragt, wie sie denn eigentlich die Darstellung finden.

Augenscheinlich hat Jan Böhmermann alles richtig gemacht, sowohl das jüngere Publikum in den 20ern als auch älteres Publikum in den 60ern fühlen sich abgeholt von der Neuinterpretation. Das Video ermuntert die Zuschauer*innen zum Nachdenken, durch den ständigen Rückbezug auf das Hier und Jetzt. Es animiert dazu, sich mit den derzeitigen Problemen auseinanderzusetzen und die Veränderungen zu überdenken.

Der Satiriker heizt mit einer solchen Aufbereitung Fontanes Lektüre den Diskurs der heutigen Zeit an. Klar, das Video ist lustig und man muss oft schmunzeln, gerade Aussagen wie „Hauptsache Alessio geht’s gut“ oder „Es heißt Capri Sonne nicht Capri Sun!“ treffen den Humor vieler Menschen. Aber wirklich zum Grübeln, bringen einen Sätze wie „Und weil Effi nicht schnell genug Nein heißt Nein sagt“ und „Am Ende gewinnt der alte privilegierte weiße Mann und die Frau nicht, aber das mag ein Problem meiner Zeit sein, in 120 Jahren wird die Welt da sicher schon weiter sein“. Es wird auf die Me-Too Kampagne aufmerksam gemacht und durch die ironische Betonung dieser Aussagen klar gemacht, dass es eben heute noch dieselben Probleme wie zu Fontanes Zeit gibt.

Und das ist auch der Grund, warum die Neuinterpretation so gut ankommt. Aber neben all dem positiven Feedback, gibt es auch Gegenmeinungen. Mein Vater, ein belesener, kritischer, reflektierter Mann mittleren Alters, hat sich durchaus unterhalten gefühlt von dem Beitrag. Klar man musste schmunzeln, gerade zu Beginn, als das „selbstgekochte“ Essen auf den Tisch kam mit der Bestellnummer 66. Aber mein Vater kritisiert die Überzeichnung und das Obszöne, was sich durch das gesamte Video zieht. Er findet es wichtig, sich auch mit der Frage zu beschäftigen, warum es Veränderungen und Umbrüche in der Gesellschaft gab oder eben nicht gab. Er stellt infrage, dass man sich durch das Video kritischer mit Gleichberechtigungs- und Unterdrückungsthemen auseinandersetzt. Er persönlich fühlt sich nicht mehr dazu animiert, als vor dem Video. Trotzdem kann man sagen, dass hier generationenübergreifend die Menschen angesprochen werden. Es ist nicht mehr nur so, dass Böhmermann die jungen Leute unterhält und sie seine Zielgruppe darstellen, sondern viel mehr werden Menschen, egal welchen Alters, adressiert und auch erreicht. Es wird ein Nerv getroffen und sei es nur, dass sich die Zuschauer*innen für einen kleinen Augenblick die Frage stellen: „Ja, ist es denn wirklich anders, jetzt, nach 120 Jahren?“

Um nun zum Schluss die anfänglich gestellten Fragen zu beantworten, kann man meiner Meinung nach sagen, dass es Jan Böhmermann durchaus gelingt, mithilfe dieser Kurzvideos diese kanonischen Werke noch mehr in das Bewusstsein der Menschen zu holen. Die Macht, die er besitzt und die damit einhergehende Reichweite wird genutzt. Er zeigt auf, wie die Probleme, die vor über 120 Jahren aktuell waren, immer noch Probleme in unserer heutigen Zeit sind. Damit trifft er eine breite Masse. Nicht nur Jugendliche, die tendenziell eher genervt sind von Schullektüren, sondern auch Menschen in höheren Altersgruppen. Sie sind vielleicht nicht immer ganz d’accord mit der Art und Weise der Darstellung, doch trotz allem regt sich auch in ihrem Bewusstsein etwas durch das Anschauen dieses Beitrages. Es wird damit verdeutlich, wie Autoren wie Theodor Fontane noch heute wichtig sind zu lesen.

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