Fontanepromenade oder eher „Schikanepromenade“?

Foto von der Verfasserin.

Die Fontanepromenade ist eine Einbahnstraße im Berliner Bezirk Kreuzberg. Der Mittelstreifen mit Grünanlage und Spielmöglichkeiten wurde im Jahre 1862 durch den Bebauungsplan von James Hobrecht angelegt. Damals wurde die Promenade als Straße 13 bezeichnet. Durch die Anordnung der Berliner Verwaltung erhielt die Promenade am 30. April 1899 den Namen des deutschen Schriftstellers, der fünf Monate zuvor verstorben war. Die Namensgebung diente zu Ehren von Theodor Fontane, der in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag feiern sollte. Seit dem sind 122 Jahre vergangen.

Die Carl-von-Ossietzky-Schule und ihr Namensgeber

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Noch vor fünf Jahren schritt ich tagtäglich über die Fontanepromenade. Damals war ich eine Abiturientin an der Carl-von-Ossietzky-Schule und nutzte den Mittelstreifen, um noch in letzter Minute durch den Seiteneingang zum Unterricht zu gelangen. Für andere Schüler hatte die Fontanepromenade jedoch eine andere Bedeutung. Das naheliegende Grün war ein Fluchtort, wo sich die Schüler vor den Augen der Lehrer verstecken konnten. So hatten sie die Gelegenheit sich vor dem Unterricht zu drücken, um ihre Zeit auf der Promenade zu vertreiben.

Die Gemeinschaftsschule mit der gymnasialen Oberstufe sollte dabei nicht mit dem gleichnamigen Gymnasium in Berlin-Pankow verwechselt werden. Denn die Carl-von-Ossietzky-Schule war nicht immer eine Bildungsstätte gewesen. Der Berliner Stadtplan von 1927 zeigt, dass auf dem Platz des Schulgebäudes früher eine ehemalige Kaserne stand, die nach dem Krieg umgebaut wurde. 

Den Namen erhielt die Schule vom Hamburger Journalisten, der in den 1920er und 30er Jahren für die Wochenzeitschrift die Weltbühne schrieb und sich zum Chefredakteur aufgearbeitet hatte. Carl von Ossietzky war ein starker Kritiker des NS-Regimes und hielt sich nicht zurück seine scharfe Meinung zu publizieren. Aus diesen Gründen wurde er 1932 wegen Landesverrats zu 18 Monaten Haft verurteilt. Der Chefredakteur wurde ins KZ gebracht, wo er an Tuberkulose erkrankte. Wenige Tage vor seiner Entlassung am 6. November 1936 erhielt Carl von Ossietzky den Friedensnobelpreis, welcher ihm vom Nazi-Regime verwehrt wurde persönlich entgegen zu nehmen.

Der Namenswechsel

Die Fontanepromenade scheint wenig spektakulär zu sein, außer der Hausnummer 15. Denn an diesem Straßenabschnitt befindet sich ein graues Gebäude mit vergitterten Fenstern. Hinter dem Haus verbirgt sich mehr, als man auf dem ersten Blick zu erkennen vermag. Von 1938 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges stand dort das Berliner Zwangsarbeitsamt für Juden, welches auch unter „Zentrale Dienstelle der Juden“ bekannt war. In November des Jahres 1938, am Tage der Reichsprogromnacht, wurde den Berliner Juden die Arbeit verweigert. Sie waren auf das Arbeitsamt angewiesen, das sie an eine vorgeschriebene Dienststelle weiterleitete. Die Zwangsarbeit fand dabei unter schweren Verhältnissen statt. Meistens wurden die Beschäftigten in den „so genannten Judenkolonnen eingesetzt“, wo sie stark körperliche und schmutzige Arbeit verrichten mussten. Für die unfähigen Arbeiter drohte die Deportation in die Konzentrationslager. Anhand der menschenunwürdigen Bedingungen des Arbeitsamtes nannten die jüdischen Mitbürger es die „Schikanepromenade“. Vor allem der Dienststellenleiter Alfred Eschhaus war aufgrund seines gnadenlosen Auftretens gefürchtet.[1]

Durch die historische Aufladung wird hier der Fokus von Theodor Fontane verschoben. Doch verwenden die Berliner noch den Namen „Schikanepromenade“ oder gehört dieser der Vergangenheit an? Denn wie es aussieht, erinnert nur noch das leerstehende Gebäude und die Gedenktafel an die Geschichte der Promenade. Wäre eine Namensänderung zu Ehren der jüdischen Zwangsarbeiter nicht geeigneter gewesen? In Berlin gibt es nämlich acht Straßen, die nach dem deutschen Schriftsteller benannt worden sind.

Ist Theodor Fontane in unserer Zeit noch so präsent, wie wir zu denken glauben? Nach einer kleinen Umfrage unter meinen ehemaligen Mitschülern musste ich feststellen, dass keiner von ihnen wusste wer Fontane gewesen ist. Selbst ich muss zugeben, dass mir der Name Theodor Fontane bis zu meinem Studium nicht geläufig war. Im Lehrplan meiner Schulzeit tauchte der Schriftsteller leider auch nicht auf.

Fontane und der Antisemitismus

Theodor Fontane steht unter der Kritik, ein Antisemit zu sein. In seinen literarischen Werken lassen sich zwar versteckte, aber doch antijüdische Anspielungen finden. Für eine lange Zeit wurden diese Anschuldigungen von der Fontane-Forschung ignoriert oder sogar heruntergespielt. Seine Schriften lassen sich dabei in den Anspielungen unterscheiden, denn seine Romane verweisen keine „direkte Meinungskundgebungen des Autors [auf], vielmehr [sind sie] immer nur indirekt an der Darstellung jüdischer Figuren und an Äußerungen von Figuren über Juden [zu] beobachten.“ Im Gegensatz dazu weisen einige seiner lyrischen Texte direkte antisemitische Impulse auf (wie etwa die Gedichte Brunnenpromenade, Entschuldigung und Meyerheim). Hierzu hat der Literaturwissenschaftler Norbert Mecklenburg in seinem Buch Theodor Fontane. Realismus, Redevielfalt und Ressentiment eine ausführliche Untersuchung vorgelegt. (Vgl. den weiterführenden Blogeintrag.)

Die antisemitischen Aussagen des Schriftstellers öffnen dabei einen wiederkehrenden Diskurs in der Forschungsliteratur, der bis zum heutigen Tag weiterhin ausgetragen wird. Mecklenburg wie vor ihm Michael Fleischer sind dabei bestrebt, den Eigenarten des Antisemitismus bei Fontane auf den Grund zu gehen. Mecklenburg akzentuiert in diesem Zusammenhang den satirischen Zug, der in einigen Romanen Fontanes antijüdische Vorbehalte prägt. Erst genaueres Lesen legt ihn frei und erfordert heute unseren Einspruch.

Unzweifelhaft finden sich in den Briefen des Dichters an seine Tochter Martha und an seinen Sohn Friedrich offene antijüdische Urteile. Auch in seinen Notiz- und Tagebüchern lassen sich Spuren antijüdischer Haltungen entdecken. Ein Beispiel hierfür ist der Eintrag aus seinem Schlesien-Notizbuch von 1872, in dem er die Umgebung von Breslau beschreibt:

Die Stadt im Ganzen wirkt sehr gut; der neue wie der alte Theil haben ihre Vorzüge und Reize; nur die Bevölkerung macht in dem Mittelpunkt der Stadt und den angrenzenden alten Straßen keinen guten Eindruck. Zu viel Juden, zu viel Unsauberkeit und Häßlichkeit. […] Alles was zur Brunnen-Anlage gehört, liegt dich zusammen […] Ungenießbar wird es indessen durch die Unmasse von Juden, die sich umhertreiben, und nicht feinste Art. Es ist geradezu Juden-Badeort. Dazu gesellen sich die Polen, wodurch es – bei allem Respekt vor diesen- für einen Deutschen nicht gerade angenehmer wird.
[zit. nach 2, Gotthard Erler: Die sogenannte „Judenfrage“ bei Fontane]

Zu bemerken ist, dass diese Schriften erst nach dem Tod des Romanciers veröffentlicht wurden. Somit hatte Fontane seine antijüdischen Ressentiments selbst nie publik gemacht, sondern als „Alltagsantisemitismus“ unter seiner Familie geäußert. Interessant ist ebenfalls, dass Fontane mit mehreren bekannten jüdischen Personen befreundet war und zusammen arbeitete. In seinem Brief an Friedrich Paulsen, am 12. Mai 1898, ein paar Monate vor seinem Tod, schrieb er: „[…] Und das alles sage ich (muß es sagen), der ich persönlich von den Juden bis diesen Tag nur Gutes erfahren habe.“[zit. nach 2, Gotthard Erler: Die sogenannte „Judenfrage“ bei Fontane]. Diese Äußerung und einige weitere zeigen, dass Fontane eine eher zwiespältige Stellung zum Antisemitismus einnahm. In dieser Hinsicht ist es nennenswert, dass zu jener Zeit ein antijüdischer Grundtrend in Deutschland sich Geltung verschaffte, dem der Schriftsteller nachgab, wenn nicht teilte.

 

Fotos von der Verfasserin.

Literatur

[1] Vgl. Stella Flatten: Fontanepromenade 15. In: Graefe Süd. Hrsg. Von Sophie Aigner. Berlin 2013 (Ausgabe Nr. 14), S. 22-23.
[2] Vgl. Gotthard Erler: Die sogenannte „Judenfrage bei Fontane. Erstaunliche Überraschungen und tiefsitzende Schocks. Vortrag zum 31. Pankower Waisenhausgespräch am 6. Mai 2014 im Ehemaligen Jüdischen Waisenhaus in Berlin Pankow.

1 comments

  1. chama says:

    Wenn man in Betracht zieht, dass die Perspektive Fontanes und seiner Zeitgenossen ein andere ist als die heutige, wo wir den Antisemitismus sozusagen von heute aus in die Vergangenheit zurückverfolgen mit seiner schrecklichen historischen Konsequenz im Holocaust, kann man der Kritik des Autors wirklich nichts hinzufügen.
    Allerdings ist auch zu sagen, dass Fontane ein Kind seiner Zeit ist und wenn man dazu übergeht, wie es ja schon der Fall ist, Antisemitismus und Fremdenhass in der damaligen Literatur und Kunst aufzuspüren, dann wird man mit Sicherheit mehr als fündig…Das meine ich jetzt nicht als Rechtfertigung.
    Aber ich möchte glauben: Wenn Fontane in der heutigen Zeit, mit dem Bewusstsein, wohin diese Einstellung geführt hat, leben würde, gäbe es diesen Antisemitismus in seinem Werk wahrscheinlich nicht mehr. Vielleicht spielt da auch eine Art ‚provinzielles‘ Misstrauen gegen alles Exotische mit: Mir fällt dazu z.B. die Beschreibung des unheimlichen ‚Chinesen‘ bei Effi Briest ein.

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